Gregor Hens

Matta verlässt seine Kinder

Roman
Cover: Matta verlässt seine Kinder
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783100325815
Gebunden, 143 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

Karsten Matta, vierzig Jahre alt und Familienvater, bereist seit fünfzehn Jahren die Welt für eine internationale Consulting-Firma. Bis er eines Tages im Warteraum eines Konsulats mit seinem bisherigen Leben bricht. Das Buch erzählt die Geschichte einer Liebe, die auch Selbstzerstörung ist, und einer Flucht, in die Matta alle hineinzieht, die ihn lieben. "Matta verlässt seine Kinder" ist die Geschichte eines verzweifelten Amoklaufs durch ein nur scheinbar friedliches Land.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.06.2004

Martin Krumbholz kann dem neuen Roman von Gregor Hens rein gar nichts abgewinnen und hat sich streckenweise sogar geärgert. Das Buch erzählt von dem Entschluss des 40-jährigen Karsten Matta, aus seiner Ehe und seinem Job auszubrechen und zu seiner Geliebten zu ziehen, fasst der Rezensent zusammen. Die Geschichte, unspektakulär und alltäglich genug, will der Autor aber "partout mit ungewöhnlichen Mitteln" erzählen und bietet deshalb jede Menge literarischer "Extravaganzen" auf, bemerkt der Rezensent unfroh. Ihn stören zum Beispiel die vielen Perspektivwechsel, die Hens von der Hauptfigur zu Nebenfiguren oder zu einem Ich-Erzähler springen lässt, genauso wie die Beliebigkeit der Ereignisse. Überhaupt erscheinen Krumbholz die geschilderten Ereignisse "unmotiviert" und zufällig und er hat den Verdacht, dass der Autor einfach einen "interessanten Text" um jeden Preis schreiben wollte. Für den Rezensenten sind das "ärgerliche Prätentionen" und letztlich komme der Roman dabei über eine "modische Attitüde" nicht hinaus.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.05.2004

Von der ersten Szene bis zum Ausstieg aus Georg Hens' Novelle ist der Text "ein Zittern unter Hochspannung", lobt Hubert Winkels. In der Geschichte eines Mannes, Krisen- und Kriegsbeobachter, Familienvater, dann arbeitslos und seine Frau betrügend, habe Hens den Stoff für einen großen Roman komprimiert und damit die "innere Spannung", auf die es ihm stets ankomme, bis zum Äußersten gesteigert. Dass sich dabei durch das gesamte Buch eine gewisse Künstlichkeit zieht, verzeiht der Rezensent dem "germanistisch durchtriebenen" Erzähler und "Filigranspezialisten" Hens gerne. Der Rezensent hält es für ein schieres "Kunststück", wie Hens die globale unbeherrschbare Gewalt zurückholt ins Innere seines Helden, in die Familie und die Liebesbeziehungen, und so zeigt, dass alles "im Kern die Gewaltförmigkeit" trägt. Das Ergebnis: "literarisch beglaubigte Weltinnenpolitik."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.04.2004

Auf einer erzählerischen Linie von "Fontane über Schnitzler und Frisch" sieht Hans-Peter Kunisch Gergor Hens' "Matta verlässt seine Kinder", einen "klassischen Ausbruchstext". Der Titelheld Matta verdient sein Geld als "post-conflict analyst"; er ist ein Egomane, der in Kriegs- und Krisengebieten das Terrain für Wiederaufbau-Firmen sondiert. Das allein zeige an, wie es um die Komplexität, auch Perversität der zeitgeschichtlichen Umstände bestellt ist. Matta kriegt den Rappel und verlässt seine Familie. Er kehrt einem Leben den Rücken, das ohnehin nur noch durch ein paar dünne Fäden zusammengehalten wurde, und trifft sich mit einer schwedischen Freundin. "Geschickt wie ein klassischer Erzähler" gehe er dabei vor, attestiert Hans-Peter Kunisch, indem er "sein Thema gleichermaßen realistisch wie modellhaft" organisiere in "dicht gedrängtem, direktem Stil". Zwar entwerfe Hens keine neue Ästhetik, füge aber die "Problematik zeitgenössischer Lebensformen der klassischen Novellenästhetik" ein. Der mit "subjektiver Kamera" aufgenommene Schluss des Buches - offenbar ein stilistisches Rencontre von Max Frisch und David Lynch - hinterlässt Kunisch zwar ratlos, aber dennoch: Hens habe "seinen Ruf als ebenso traditionsinteressierter wie vielversprechender Erzähler mit diesem Buch gefestigt".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.03.2004

Auch wenn man dem Autor vorwerfen könne, er habe seine Geschichte "allzu kaltblütig inszeniert", kann man sich der "erbitterten Energie" und der "Präzision" seiner Phantasie nicht entziehen, resümiert Jörg Magenau nach der Lektüre des neuen Werks von Gregor Hens. Die Geschichte, in der ein Mann erst den Job als Agent einer Consultingfirma hinschmeißt, seine Frau und Kinder verlässt, um in einem Autounfall kläglich zu verrecken, sei "gewürzt" mit den Zutaten "Sex, Gewalt, Elend und Krieg" und könne mitunter sehr "durchkonstruiert" wirken. Doch Hens habe aus der schmalen Erzählung eine "brisante Parabel" über "Gleichgültigkeit, Sehnsucht und Verlorenheit" gemacht, die den Leser "hilflos" zurücklasse. Ihm ist es gelungen, den Absturz eines Menschen ins Bodenlose so zu beschreiben, dass die "Bodenlosigkeit der Verhältnisse" selbst sichtbar wird, lobt Magenau.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.03.2004

Ein "starkes Ende" (ein halb abgetrennter Kopf auf einer Autobahn) und einen "starken Anfang" (die durch unendliches Warten auf einem Uhrzeiger gestaute Zeit) bescheinigt Rezensent Martin Lübke Georg Hens' Geschichte um den Amoklauf des vierzigjährigen Karsten Matta, internationaler Gutachter für Kriegsregionen. Dazwischen, das heißt nachdem Matta das Warten auf ein Visum aufgegeben hat, kündigt er seinen Job, verlässt Frau und Kinder und fährt nach Hamburg zu seiner Geliebten - hinein in das, was letztendlich zur "Katastrophe" wird. Der Rezensent gibt gerne zu, dass all das nicht sehr neu klingt, zumal es aus der 68er-Perspektive als "stinknormale Beziehungskiste" anmute, etwa wenn Theobaldy die offene Beziehung beschreibt oder Handkes "linkshändige Frau" in einer Laune die "Erleuchtung" kommt, sich von ihrem Partner zu trennen. Von dieser "Beiläufigkeit", so der Rezensent, ist bei Hens nichts geblieben, wie auch der Rückgriff aufs metaphysisch Kraftvolle (die anfängliche Metapher der gestauten Zeit) und die sehr Kleistsche Entladungskatastrophe (als Symptom der gottesfernen Moderne) belege. Hens tut vielleicht das, was jede Generation tut, schließt der Rezensent: "alte Hüte" neu erleben und neu beschreiben, innerhalb des eigenen Erfahrungshorizontes.