Christian Geulen

Wahlverwandte

Rassendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert
Cover: Wahlverwandte
Hamburger Edition, Hamburg 2004
ISBN 9783930908950
Gebunden, 411 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

Der Rassendiskurs beruhte nie allein auf dem schlichten Glauben an ewige Unterschiede, sondern vor allem auf einem instrumentellen Wissen vom Leben und Überleben der Körper und Bevölkerungen. Dieses Wissen zu einem Maßstab politischer Gemeinschaftsbildung in der Moderne gemacht und damit Partikularität und Differenz von einer Herausforderung politischen Denkens in ein manipulierbares Objekt biopolitischer Kontrolle verwandelt zu haben, ist das bis heute nachwirkende Erbe der Verschränkung von Rassendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.11.2004

Christian Geulen beschreibt den rassistischen Diskurs des 19. Jahrhunderts - zumindest teilweise - als Ausdruck "politischer Rationalität", und damit mag sich der Rezensent Kersten Knipp gar nicht anfreunden. "Die Niedertracht der Praxis", meint er, "gerät darüber gefährlich weit aus dem Blick". Nun fragt man sich zwar, was daran gefährlich ist, wenn jemand die Genealogie eines gefährlichen Denkens rekonstruiert - und die Vorstellung der nationalen als rassische Gemeinschaft war in der Tat, wie Geulen offensichtlich deutlich macht, der ideologische Kitt der Nationalstaaten -, doch die Studie hat dem Rezensenten ein paar Anlässe für sein Moralargument geliefert, indem er die "Diskrepanz zwischen Ideologie und geschichtlicher Wirklichkeit" nicht genug herausgearbeitet hat: zwischen amerikanischer Melting-Pot-Theorie und Ausrottung der Ureinwohner beispielsweise. Allerdings: Wenn man das richtig versteht, geht es dem Buch gerade darum, die diskursive Konstruktion der Nation beziehungsweise des nationalen Gedankens nachzuvollziehen - in diesem Sinne ist die Kritik nicht ganz nachvollziehbar.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.08.2004

Als gescheitert betrachtet Rudolf Walther diesen Versuch Christian Geulens, den Rassendiskurs theoretisch neu zu ordnen. Gegen die These eines graduellen Übergangs vom Nationalismus zum rabiaten Rassismus wolle Geulen in seiner diskurstheoretisch angelegten Studie mittels Foucaults Konzept der "Biopolitik" zeigen, dass der Rassendiskurs auf anderen Grundlagen beruhe als jener über Nationalismus. Zwar rechnet Walther dem Autor an, dass er mit seiner Studie die Augen für einige bisher übersehene Aspekte der Diskussion über Nation und Rasse öffne. Insgesamt aber vermag ihn die Arbeit nicht zu überzeugen. So hält er Geulen seine "forschen Reduktionen und Gleichsetzungen" vor, mit denen er sich auf das Gebiet der "Spekulation und der beliebigen Zurechnungen". Etwa, wenn er versuche, die verschiedenartigen, in ihrer Bedeutung nicht analysierten Diskurse über Nationalismus, Rassismus, Sexualität, Antisemitismus, Kolonialismus zueinander in Beziehung zu setzen, ohne präzise zu analysieren, wie der vermeintliche Zauberschlüssel funktioniere. Oder wenn er den Rassendiskurs explizit zum "Agenten" der Geschichte überdehne und damit alle anderen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Interessengegensätze einfach ausblende. Generell kritisiert Walther die Neigung des Autors zu "verallgemeinernden interpretatorischen Verkürzungen", die empirisch nicht gedeckt seien. Oft blieben nur bloße Behauptungen ohne argumentative Basis.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.05.2004

Dagmar Pöpping zeigt sich sehr angetan von dieser Dissertation über die Entwicklung des Rassendiskurses vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zur Nazizeit von Christian Geulen. Der Bielefelder Historiker stützt sich bei seinen Überlegungen auf die Thesen des Philosophen Michel Foucault, der die Bevölkerung des 19. Jahrhunderts als das "biopolitische Objekt" des Staates verstand, erklärt die Rezensentin. Auch wenn sie meint, dass die "analytische Kraft" von Geulens Untersuchung des Rassendiskursen "begrenzt" ist und sie auch bemerkt, dass der Autor sich weder mit den historischen und sozialen Umständen, noch mit seiner "Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte" genauer beschäftigt, lobt sie trotzdem die "große Anschaulichkeit" der vorgeführten Beispiele. Besonders das Kapitel über die deutsche Kolonialpolitik findet sie in dieser Hinsicht sehr erhellend. Außerdem hat sie der Ausblick, den der Autor auf die aktuellen biopolitischen Diskurse wirft, sehr überzeugt, insbesondere die Hinweise auf den politischen Umgang mit dem Terrorismus, bei dem Terroristen zum "Globalfeind" für die "schiere biologische Existenz" gemacht werden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.04.2004

Ziemlich unwirsch behandelt Franziska Augstein Christian Geulens Buch über Nationalismus und Rassismus, in dem der Historiker zu zeigen versucht, dass der Rassendiskurs im 19. Jahrhundert "keine Radikalisierung des Nationalismus im Sinne einer Intensivierung nationalen Bewusstseins" mit sich brachte, wie Augstein zitiert, sondern seine Radikalität "in der radikalen Umdeutung der Nation zu einem biopolitischen Programm" bestand. Das findet Augstein nicht ganz falsch, aber in der Sache auch nicht wirklich neu. Neu ist für sie allenfalls Geulens Ansatz, die Dinge als Diskurs zu behandeln, was ihr aber nicht reicht. Auszusetzen hat Augstein außerdem manche Ungenauigkeit, eine Reihe von "anachronistischen Fehlinterpretationen sowie fehlende "Systematik und Stringenz".
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