Hans Joas

Die Sakralität der Person

Eine neue Genealogie der Menschenrechte
Cover: Die Sakralität der Person
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN 9783518585665
Gebunden, 303 Seiten, 26,90 EUR

Klappentext

Ein hartnäckiger Meinungsstreit der letzten Jahrzehnte dreht sich um die Frage, welchen Ursprungs die Idee der Menschenrechte ist. Verdanken wir sie unserem christlich-jüdischen Erbe oder ist sie eine Erfindung der Aufklärung? Weder das eine noch das andere, behauptet der Sozialtheoretiker Hans Joas und erzählt in seinem Buch eine ganz andere Geschichte der Menschenrechte. Im Stile einer "historischen Soziologie" fördert er dabei eine überraschende dritte Sicht der Dinge zutage: Der Glaube an die universale Menschenwürde ist das Ergebnis eines Prozesses der Sakralisierung, in dessen Verlauf jedes einzelne menschliche Wesen mehr und mehr als heilig angesehen wurde.
Diesen Prozess zeichnet Joas in exemplarischen Studien etwa über die Abschaffung der Sklaverei sowie anhand der Genese paradigmatischer "Erklärungen der Menschenrechte" nach und analysiert ihn als eine komplexe kulturelle Transformation: Erfahrungen von Gut und Böse mussten vor dem Hintergrund unterschiedlicher Werttraditionen diskursiv artikuliert, in Rechten kodifiziert und in Praktiken gelebt werden. Die Menschenrechte, so zeigt sich, sind eben nicht das Ergebnis eines bloßen Konsenses über ein universalistisches Prinzip, sondern entstammen einem langen kulturübergreifenden Gespräch über Werte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.11.2011

Nein, an ein Ende glaubt der Rezensent die Geschichte der Menschenrechte auch mit diesem Buch nicht gekommen. Allerdings ist das schon ein enormes Lob für Hans Joas und sein Unternehmen einer Genealogie der Menschenrechte, weil darin die von Dirk Lüddecke befürchtete Entzauberung nicht stattfindet. Stattdessen verbindet Joas die Nachzeichnung ihrer Entstehung anhand ausgewählter historischer Ereignisse (Abschaffung der Folter, der Sklaverei, Deklaration der Menschenrechte am Ende der Französischen Revolution) mit ihrer Affirmation. Dass sich Joas dabei konzeptionell an Emile Durkheim orientiert, wie Lüddecke feststellt, hilft ihm indessen wenig dabei, den Rezensenten von der Stichhaltigkeit der These zur Sakralisierung des Menschen zu überzeugen. Denn erstens muss Lüddecke zusehen, wie sich das Heilige in Joas' Verständnis ziemlich klein macht und schließlich fast verschwindet, und zweitens leuchtet ihm das Ganze eh nicht ein. Sakrales nämlich, meint er, lade nicht unbedingt zu affirmativer Empathie ein (eher noch zu distanzierter Ehrfurcht). Als wichtiges Buch möchte Lüddecke den Band dennoch bezeichnen, weil Joas die wechselseitigen Bedingungen menschlichen Denkens und Handelns, aus denen die Idee von Menschenwürde und Menschenrechten entstehen konnten, sehr ausgewogen darstellt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2011

Von einem gelinden disziplinären Verdrängungskampf zwischen Soziologie und Philosophie einmal abgesehen, den Otfried Höffe in diesem Buch des Soziologen und Sozialphilosophen Hans Joas ausmacht, erscheint dem Rezensenten der Versuch einer Entstehungsgeschichte der Menschenrechte unter besonderer Beachtung von Genese und Geltung als zwei Seiten derselben Medaille, als ein brillant gelungenes Unterfangen. Mit Joas' Überspitzungen und Ausblendungen kann Höffe leben. Berühmte Vorläufer des Autors und seiner These vom sakralisierten Menschen vermag der Rezensent nämlich selber zu identifizieren, auch wenn Joas sie nicht immer ausdrücklich nennt. Höffe geht die einzelnen Kapitel für uns durch und landet schließlich bei einer Nachzeichnung der Entstehung der Menschenrechtserklärung und einem Ausblick in die Zukunft, für die sich der Autor das Zusammenwirken der drei für seine "affirmative Genealogie" entscheidenden Bereiche wünscht: Praktiken, Werte und Institutionen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2011

Der Rechtsphilosoph Christoph Möllers mag es gar nicht, dass die Menschenrechte als Gegenstand der akademischen Auseinandersetzung so fest in der Hand der Juristen sind, weswegen er grundsätzlich begrüßt, dass sich ein Sozialphilosoph wie Hans Joas der Frage nach ihrer Begründung annimmt. Dann aber wird sein Urteil zwiespältig: Überzeugend findet er das Buch, wenn es die Menschenrechte nicht allein als abstraktes Universales begreift, sondern aus ihrem historischen und religiösen Kontext heraus erklärt, auch wenn er den Rückgriff auf Emile Durkheims Idee von der Sakralisierung der Person etwas problematisch findet. Dann aber macht er  weitere Einwände geltend: Irritierend findet Möllers die Kopplung der Menschenrechte an die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, auf die Joas rekurriert. Auch dass die die Freiheit, die Selbstbestimmung des Menschen keine Rolle spiele, findet der Rezensent zweifelhaft (hier kommt ihm das theologische Fundament schon nicht mehr evangelisch, sondern katholisch vor). Bedauerlich auch, dass Joas zwischen Menschenrechten und Menschenwürde nicht unterscheidet, auch nicht zwischen Würde, Werten und Leben. Schließlich weist der Rezensent darauf hin, dass Joas nicht über die Menschenrechte selbst spricht, sondern nur über ihre Begründbarkeit. Etwas überraschend dann sein abschließendes Urteil: ein "wunderbares Buch".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2011

Woher kommt die Menschenrechtskultur? Dieser Frage geht der Soziologe und Sozialphilosoph Hans Joas laut Rezensent auf eine für ihn genuine Art und Weise nach, indem er konkurrierende Ursprungserzählungen, religiöse wie säkulare, zueinander ins Verhältnis setzt und schließlich eine alternative Perspektive aus beiden anbietet. Joas' These von der Sakralisierung des menschlichen Einzelwesens, entliehen, wie Uwe Justus Wenzel herausfindet, bei Durkheim, ist für den Rezensenten insofern neu, als der Autor hier erstmals Genese und Geltung dieses Prozesses in einer Betrachtung vereint. Die Einzelskizzen, aus denen Joas seinen Text webt sind für Wenzel aufschlussreich. Betreffend aktuelle Menschenrechts- und Menschenwürdedebatten vermag ihm der Band allerdings bloß Ausgangspunkt sein.