Mohamed Mbougar Sarr

Die geheimste Erinnerung der Menschen

Roman
Cover: Die geheimste Erinnerung der Menschen
Carl Hanser Verlag, München 2022
ISBN 9783446274112
Gebunden, 448 Seiten, 27,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt. Mohamed Mbougar Sarr erzählt von der Suche nach einem verschollenen Autor: Als dem jungen Senegalesen Diégane ein verloren geglaubtes Kultbuch in die Hände fällt, stürzt er sich auf die Spur des rätselhaften Verfassers T.C. Elimane. Dieser wurde in den dreißiger Jahren als "schwarzer Rimbaud" gefeiert, nach rassistischen Anfeindungen und einem Skandal tauchte er jedoch unter. Wer war er? Sarr erzählt von einer labyrinthischen Reise, die drei Kontinente umspannt. Ein Bildungsroman, eine radikal aktuelle Auseinandersetzung mit dem komplexen Erbe des Kolonialismus und eine Kriminalgeschichte.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 27.12.2022

Atemlos folgt Rezensent Christoph Vormweg dem französisch-senegalesischen Autor Mohamed Mbougar Sarr durch den mitreißenden Plot seines Romans. Sarr schickt seinen Erzähler, einen jungen Schriftsteller, auf die Suche nach dem verschollenen Autor T.C. Elimane, der einst zum "schwarzen Rimbaud" hochstilisiert, dann jedoch von der Literaturkritik in die Versenkung geschickt wurde. Aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Erzählformen kreist der Roman um das Leben des rätselhaften Autors und seiner Familie, erklärt Vormweg, der dabei vor allem von der Figur der senegalesischen Schriftstellerin Marème Siga D. fasziniert scheint. Wie Sarr aus postkolonialer Perspektive die Abgründe des 20 Jahrhunderts verbindet mit der französischen, aber auch senegalesischen Gegenwart, beeindruckt den Rezensenten sehr, der sich darüber hinaus an den Einflüssen postmoderner Erzähltheorie erfreute sowie an Verweisen zu Roberto Bolaño, Jean-Paul Sartre und Roland Barthes. Die Lektüre verlangt den Lesenden einiges ab, räumt der Rezensent ein, aber der Humor, der satirische Elan und die Erzählwut tragen ihn mit Leichtigkeit über alle Klippen hinweg.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.12.2022

2021 hat Mohamed Mbougar Sarr, ursprünglich aus dem Senegal stammend, den wichtigsten Preis für französischsprachige Literatur, den Prix Goncourt, für "Die geheimste Erinnerung der Menschen" bekommen, jetzt liegt der Roman auch auf Deutsch vor, worüber sich Isabel Barragán freut. Die Handlung findet sie anregend kompliziert, es geht um einen senegalesischen Autor, der sich auf die Suche nach einem ebenfalls schwarzen Schriftsteller macht, der nach einem Überraschungserfolg wieder in der Versenkung verschwunden ist. Diese Suche finde auf diversen Erzählebenen statt, was die Geschichte und die dahinterstehenden Überlegungen nach Identität und Erinnerung so reizvoll mache. Auch zur Rolle des realen Autors Sarr und seinem Verhältnis zum (post)kolonialen Literaturbetrieb macht sich die Rezensentin Gedanken, für sie sind sowohl Buch als auch Schreibender spannend. Besonders bemerkenswert findet sie Sarrs Perspektive auf an ihn herangetragene Vorstellungen: "Erwartung ist das Gegenteil von Schöpfung", meint er und bewegt Barragán nicht nur durch diese Unkonventionalität zu einer Empfehlung.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 03.12.2022

Hier hat sich ein Autor vorgenommen, unbedingt "literarisch zu glänzen" - mit traditionell postmodernen Formenspielen, kunstvoll eingewobenen Fremdtexten, einer vielschichtigen Handlung voller Volten, und zahlreichen literarischen Bezügen, die eine enorme Belesenheit offenbaren - so der Eindruck von Rezensent Tilman Krause. Doch dieser Drang kann der Qualität von Mohamed Mbougar Sarrs Roman kaum Abbruch tun, betont der Rezensent. Obwohl die Geschichte zu großen Teilen in den 30er Jahren spielt, handelt es sich nicht um einen historischen Roman - ganz im Gegenteil sogar. Sarr bezieht sich geschickt auf aktuellste Diskurse über Identitäten und Identitätspolitik, zum Beispiel, indem er einen fiktiven Roman aus dem Jahr 1938, verfasst von einem fiktiven Senegalesen zum "ideologischen Kampffeld" werden lässt, auf dem, statt Fragen nach der Qualität, Fragen nach der Identität des Autors ausgehandelt bzw. -gefochten werden, so Krause. Sarr geht es nicht um partikulare Eigenschaften, sondern darum, was es heißt, Mensch zu sein. Das, so wie sein immenses erzählerisches Talent, zeichnen diesen Autor aus und rechtfertigen den 2021 an Sarr vergebenen Prix Goncourt, so der überzeugte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.12.2022

Einen Roman im Roman hat Mohamed Mbougar Sarr hier vorgelegt, erzählt Rezensent Niklas Bender, und fährt fort, diese interessante Doppeltstruktur zu erläutern: Protagonist Diégane ist senegalesischer Exilautor, der mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist, als er auf die sagenumwobene Geschichte vom "Labyrinth des Unmenschlichen". stößt, ein legendärer Roman, dessen Entstehungsgeschichte und Autor Diégane durch die Erzählungen von dessen Cousine näher kennenlernt. Was Bender daran so überzeugt, ist zum einen das Myteriöse, das kaum Greifbare, mit dem Mbougar Sarr so virtuos zu spielen vermöge. Zum anderen begeistert den Rezensenten aber auch, wie viele verschiedene Genres, wie viele kulturelle Verweise und wie viele Stimmen in "Die geheimste Erinnerung der Menschen" zu Wort kommen. Der Autor lässt sich nicht davon leiten, was gerade angesagt und politisch opportun ist, sondern geht seinen eigenen Weg, erklärt Bender. Vielleicht ist es auch das, was ihn so schwer fassbar mache, resümiert der Kritiker, und empfiehlt den Lesern dringend, sich ein eigenes Bild zu machen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 24.11.2022

Dirk Fuhrig ist hellauf begeistert von Mohamed Mbougar Sarrs Roman "Die geheimste Erinnerung der Menschen", der sich so anspielungsreich wie kritisch mit dem Eurozentrismus beschäftigt. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, sei das Buch eine "glänzende Satire auf den französischen und frankophonen Literaturbetrieb". Diégane Latyr Faye heißt die senegalesische Hauptfigur, die ein verloren geglaubtes Kultbuch aus den 1930er Jahren findet, geschrieben von dem damals in Frankreich als "schwarzer Rimbaud" gefeierten Romandebütanten T.C Elimane (!), der nach Plagiatsvorwürfen in der Versenkung verschwand. Weil er Afrikaner war? Weil er die Usancen des Pariser Literaturbetriebs nicht beherzigte? Zwar sind Fuhrig einige Erzählstränge zu verästelt, aber das macht der freche, frische und respektlose Ton für ihn allemal wett -  zumal die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruhe.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.11.2022

Rezensentin Cornelia Geißler ist überwältigt von diesem Roman, den sie als "funkelndes Werk" preist, als Feier des Lesens und "mitreißenden Strudel". Dem Prix Goncourt sei dank, dass der französisch-senegalesische Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr nun auch in Deutschland zu entdecken sei. Worum es geht? Ein Schriftsteller, Senegalese in Paris, folgt den Spuren eines anderen - malischen - Autors, der 1938 für seinen Roman "Das Labyrinth der Unmenschlichkeit" bejubelt wurde, um kurz darauf des Plagiats bezichtigt und in die Versenkung geschickt zu werden. Wie Sarr aufbauend auf dieser Geschichte sein Werk entfaltet, in Tagebuchnotizen, Briefen und Monologen, poetisch und szenisch zugleich, wie er Fragen von Authentizität und Aneignung behandelt und die Fiesheiten des Literaturbetriebs offenlegt, das haut Geißler um. Die Verweise auf Roberto Bolaño erscheinen ihr angesichts der vielen Spiegelungen folgerichtig, aber auch mit Blick auf den Lesesog, den dieses Werk entfalte. Gewaltig, staunt sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.11.2022

So etwas ist selten im Pariser Literaturbetrieb, sagt Rezensentin Annabelle Hirsch zu Beginn ihrer Kritik, die auch ein Porträt des Autors ist: Mohamed Mbougar Sarr ist fähig zu Selbstironie. Und diese Qualität ist, so scheint es, auch wesentlich für das Buch. Denn Sarr stellt alle jene Fragen nach Identität und Kolonisierung, die heute die modischen Diskurse beherrschen, aber, glaubt man Hirsch, der Ton ist ein ganz anderer als heute üblich, nicht der des pikierten Opfers, sondern reflektierend über die Situation frankophoner afrikanischer Autoren, die in Paris reüssieren wollen und sich dann dafür schämen, in diesem metropolitanen System angekommen zu sein. Sarrs Medizin, die er mit dem fiktiven Autor T. C. Elimane lernt, den der Ich-Erzähler im Roman sucht: das Lachen. Hirschs Kritik liest sich als eine eindringliche Einladung, sich auf dieses komplexe und doch unterhaltsame Spiel mit den Identitäten einzulassen.