Steffen Greiner

Die Diktatur der Wahrheit

Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern
Cover: Die Diktatur der Wahrheit
Tropen Verlag, Stuttgart 2022
ISBN 9783608500172
Gebunden, 272 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Vor 100 Jahren gab es die ersten Querdenker, heute haben sie wieder Konjunktur, sehen sich im Besitz einer "Wahrheit", die die vermeintlichen Lügen des Establishments besiegt. Darin zeigt sich eine oft übersehene Subströmung der politischen Geschichte Deutschlands. Dieses Buch macht sie sichtbar. Im Berliner Scheunenviertel, wo mit den "Hygienedemos" im April 2020 die Bewegung der Corona-Leugner*innen begann, gründete 1918 Filareto Kavernido seine Kommune. In Stuttgart, wo die Querdenker den größten Zulauf finden, vereinigte Gusto Gräser 100 Jahre zuvor gegenkulturelles Hippietum und Impf-Feindschaft. Und in Hildburghausen, Wahlkreis von Hans-Georg Maaßen und rechte Hochburg, ließ der Maler und völkische "Christrevolutionär" Max Schulze-Sölde seinerzeit die Grenzen von Links und Rechts verwischen. Sie alle sind der Ursprung einer spirituellen Querfront, die heute auf den Straßen präsent ist. Wie schnell kann Harmlosigkeit in Totalitarismus kippen? Was bleibt von den alten Utopien, nachdem sie von rechts vereinnahmt wurden? Steffen Greiner dokumentiert eine deutsche Unterströmung, deren Einfluss auf das Freiheitsverständnis vieler zu lange unterschätzt wurde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.2022

Der hier rezensierende Historiker Alexander Gallus ist "irritiert" vom Umgang mit Geschichte in Steffen Greiners Buch. Zwar sei die Abhandlung über sämtliche Vertreter des Querdenkertums zu Anfang des 20. Jahrhunderts, darunter Gusto Gräser, Louis Haeusser und Max Schulze-Sölde, "schwungvoll" und unterhaltsam zu lesen - vor allem die dabei zu beobachtenden "Querfronten" zwischen linken und rechten, anarchistischen und autoritären Ansichten findet der Kritiker dabei interessant. Allerdings, und das stört Gallus, werde dabei zu wenig historisch differenziert, wirke die Darstellung dabei wie zu "einem Drama zusammengeschoben". Auch wenn die "Drohkulisse" der Zunahme rechter Ansichten die damaligen und die heutigen Querdenker verbinde, müsse man die verschiedenen Generationen doch sauberer ins Verhältnis setzen, als Greiner das tut, moniert Gallus - zum Beispiel hätte er gerne gewusst, ob die heutigen Querdenker überhaupt um ihr Erbe wissen. Zu viel "andeutungsvolles Raunen" und zu wenig stichhaltige Argumentation, meint der Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 22.02.2022

Rezensentin Angela Gutzeit lobt Steffen Greiners Versuch, dem Phänomen "spiritueller Querfronten" näherzukommen. Greiners sprunghafte, von Beobachtungen und Reflexionen durchzogene Erzählweise, die die Rezensentin von den Lebensreformbewegungen im 19. Jahrhundert bis zur Querdenker-Szene von heute in Thüringen oder Stuttgart und wieder zurück führt, fordert Gutzeits Aufmerksamkeit. Doch weder was Brüche noch eventuelle Kontinuitäten betrifft, kann der Autor ihr überzeugende Belege liefern. Stattdessen trifft Gutzeit auf "problematische Verkürzungen", wo etwa eine Unterscheidung zwischen Esoterikern der Nachkriegszeit und entsprechenden Bewegungen in der NS-Ära notgetan hätte, wie sie findet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.02.2022

Rezensentin Michaela Schwinn erkennt die Gefahr in Steffen Greiners Buch über Wanderprediger, Aussteiger und "Querdenker" darin, dass der Leser meinen könnte, es gäbe eine direkte Linie von einem Louis Haeusser oder dem Hippie Gusto Gräser zu den von Rechtsextremen bevölkerten "Querdenker"-Demos. Für Schwinn eine Verharmlosung. Seinem Anliegen, deutsche Geschichte zu ergründen und Parallelen aufzuzeigen, steht der Autor laut Schwinn aber mitunter auch selbst im Weg, indem er sich in kommentierenden Abschnitten allzu sehr in den Vordergrund spielt oder zu rasant durch die Zeiten und von Trump zu Hitler und weiter zu Xavier Naidoo hüpft.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.02.2022

Interessante Lektüre, findet Rezensent Florentin Schumacher diese Geschichte der Querdenker von den 1920er Jahren bis heute. Aber er ist auch ein bisschen enttäuscht. Doch erst mal zum Positiven: Gern gelesen hat Schumacher die Geschichten von den bunten Vögeln, die es in den 20er Jahren als Reformer auf den Monte Verita, ins Berliner Umland oder in Stuttgart auf den Acker zog, um frei von der Moderne mit der Natur zu leben. Parallelen zu den heutigen Querdenkern gibt es reichlich: das Völkische, die Ablehnung der Schulmedizin, der Reinheitswahn, der damit einher geht, der Antisemitismus vieler Anhänger, das Selbstversorger-Prinzip, dem auch Hitler huldigte, der, wie wir erfahren, in Dachau sogar eine "anthroposophisch inspirierte Heilpflanzenplantage" anlegen ließ. Aber irgendwann wird es dem Rezensenten zu viel: Anders als heutige Querdenker, waren die antimodernen Wanderprediger des letzten Jahrhunderts echte Asketen, meint Schumacher. Autor Steffen Greiner gerieten die Unterschiede aus dem Blick und ein "lustvollen Grusel" am Vergleich überlagere irgendwann das Erkenntnisinteresse. Wenn Greiner Lebensreform, Nationalsozialismus und Querdenken einfach in Eins setzt, macht er es sich zu einfach, findet der Kritiker.