Peter Handke

Versuch über den Stillen Ort

Cover: Versuch über den Stillen Ort
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
ISBN 9783518423172
Gebunden, 109 Seiten, 17,95 EUR

Klappentext

1989 veröffentlichte Peter Handke den Versuch über die Müdigkeit, ein Jahr danach folgte der Versuch über die Jukebox. Den vorläufigen Abschluß dieser erzählerischen Umkreisungen des Alltags bildete der Versuch über den geglückten Tag. Zwanzig Jahre später legt er einen neuen Versuch vor: Versuch über den Stillen Ort. "Lang lang ist es her, daß ich einen Roman des englischen Schriftstellers A.J. - Archibald Joseph , wenn ich mich nicht irre - Cronin gelesen habe, in einer deutschen Übersetzung, mit dem Titel 'Die Sterne blicken herab'. Es war ein ziemlich dickes Buch, aber es liegt nicht an dem Autor und seiner Geschichte, die mich damals mitgenommen und begeistert hat, daß ich mich an kaum welche Einzelheiten erinnern kann. Was mir von dem Roman geblieben ist, neben den Sternen, die fortwährend herabblicken: Eine englische Bergwerksgegend und die Chronik einer darbenden Bergleutefamilie, abwechselnd mit jener von betuchten Besitzern (wiederum: wenn ich mich nicht irre). Viel später, angesichts des Films 'Wie grün war mein Tal', von John Ford, gaukelten, im guten Sinn, die Bilder der Gesichter und Landschaften mir vor, daß es sich da, obwohl ich's doch besser wußte, nicht etwa um eine Verfilmung von Richard Llewellyns 'How Green My Valley was', vielmehr von Cronins 'The Stars Are Looking Down' handelte. Dabei habe ich doch von dem Epos der herabblickenden Sterne eine einzige Einzelheit behalten. Aber diese geht mir bis zum heutigen Tag nach, und sie ist es auch, welche den Ausgangspunkt für mein nun fast schon lebenslanges Umkreisen und Einkreisen des Stillen Orts und der stillen Orte bildet, und mit der jetzt hier dementsprechend der Anfang des Versuchs darüber gemacht werden soll." (Peter Handke)

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2012

Angesichts dieses bizarr anmutenden Geburtstagsbändchens zu Peter Handkes Siebzigstem hat Harald Jähner bloß einen Wunsch: Dass der Dichter bitte vom stillen Ort immer wieder zurückkomme zu den Leuten. Denn natürlich ist der Abort, um den geht es im Buch, hier nicht Anlass zu dumpfem Witz, wie Jähner vorsichtshalber feststellt, sondern, wir sind mit Handke!, um die Lust zur Einmischung, die sich abwechselt mit der Abstoßung beziehungsweise Absonderung, um im Bild zu bleiben. Für Jähner ist und war diese Bewegung immer ein großer Erkenntnisquell. Insofern hat er an diesem Buch einen "typischen Handke", ein bisschen Selbstironie ist auch dabei, gesteht er, aber vor allem Ernst und Präzision.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.12.2012

So abwegig und amüsant sich der "Versuch über den Stillen Ort" auch anhört: Peter Handkes neues Buch fügt sich harmonisch ins Œvre des Autors und ist durchaus nicht ironisch gemeint, beteuert Adam Soboczynski. Schon in seinen früheren "Versuchen" über die Müdigkeit, die Jukebox und den geglückten Tag sei es dem Autor schließlich darum gegangen, das "Alltagsbanale ins Zentrum" zu rücken und dadurch von seiner scheinbaren Banalität zu befreien. Und was gibt es schon Banaleres als die Toilette? Wobei sie hier kaum ihrer ursprünglichen Bestimmung dient, sondern vor allem als Ausweich- und Rückzugsraum fungiert. Richtig so, meint der Rezensent, denn das eigentliche Geschäft verrichtet Handke mit diesem Band metaphorisch selbst - was ist Literatur schließlich anderes als "das Lesen, das Verdauen von Gelesenem und das, pardon, Ausscheiden von eigentümlich Neuem?"

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2012

Das Klo: ein "Reflexionsort zu allen Zeiten", findet Andreas Platthaus - jedenfalls nach der Lektüre von Peter Handkes "Versuch über den Stillen Ort". Handke gehe es in seinen Betrachtungen nicht um ordinäre Geräusche und Gerüche, sondern um die Bedeutung des Aborts als irgendwie entrückter Raum, der zum "Sinnieren, Phantasieren und Imaginieren" einlädt, wie der Autor es beschreibe. Der Rezensent freut sich, dass Handkes neuestes Buch stilistisch nahtlos an seine drei Vorläufer (Müdigkeit, Jukebox und der geglückte Tag) anschließe. Derlei Versuche "abseits des ästhetischen Kanons" seien wohl ohnehin nur von Peter Handke zu erwarten, meint der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2012

Christopher Schmidt nutzt die Gelegenheit, die Peter Handke ihm mit diesem Bändchen so großzügig bietet - nämlich ein bisschen zu spötteln. Da schreibt einer über das stille Örtchen und wie es ihn zum Reden und Schreiben revitalisiert, denkt über Absonderung am Abort nach, als Flucht vor dem Sozialen etc. Das gibt Stoff für Satire, meint auch Schmidt, der das Buch allerdings geadelt sieht durch die Reihe der Versuche vom gleichen Autor, durch die neue Entspanntheit Handkes, die sich darin fortschreibt, durch Handkes Recherchen in japanischen Tempelklos, schließlich einfach dadurch, dass es Handke ist, der hier schreibt. Klolektüre deluxe eben.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.10.2012

Mit viel Lob bespricht Rezensent Martin Meyer Peter Handkes neues Buch "Versuch über den Stillen Ort" und bestätigt die sich aufdrängende Vermutung, dass es sich dabei um die Erlebnisse und Reflexionen des Autors auf der Toilette handelt. Der Kritiker liest hier, wie Handke schon als Kind auf dem großväterlichen Bauernhof in der Dunkelheit des abgeschiedenen Ortes verschwand, als Internatsschüler dort Schutz vor einer Realität voller Forderungen und Befehle fand oder in einer Tempelanlage im japanischen Nara die Toilette als Ort des Übergangs von der Bewegung zur Stille erlebt. Immer wieder, so Meyer, tritt der Abort in Handkes autobiografischer Erzählung als "Oase der Stille" auf, die nicht nur Schutz vor der Gesellschaft bietet, sondern gerade durch diese Isolation Momente des Innewerdens und der Geborgenheit gewährt. Als "Virtuose der Perzeption" schildere Handke nicht nur ebenso diskret wie unterhaltsam und detailverliebt die "Formen, Installationen und Technik" der Stillen Orte, sondern gewähre intime Einblicke in seine reiche Gedankenwelt, lobt der Kritiker. Sein Fazit: Eine Erzählung von "Natur und Mensch", die in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ihresgleichen sucht.

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