Andreas B. Kilcher

mathesis und poiesis

Die Enzyklopädik der Literatur 1600 bis 2000
Cover: mathesis und poiesis
Wilhelm Fink Verlag, München 2003
ISBN 9783770538201
Gebunden, 536 Seiten, 40,00 EUR

Klappentext

Die Arbeit von Andreas Kilcher untersucht den Zusammenhang von Literatur und Wissen am signifikanten Beispiel der Enzyklopädie. Kilcher unterscheidet dabei für die Neuzeit drei enzyklopädische Schreibparadigmen: Litteratur, Alphabet, Textur. Litteratur ist die poiesis vor der goethezeitlichen Reduktion auf die "schöne Literatur", Literatur also auch als eine schriftliche Praxis des Wissens, die Formen und Funktionen der Enzyklopädie annehmen kann. Die Alphabetisierung des Wissens im 18. Jahrhundert machte dann aus Systemen enzyklopädische Wörterbücher und setzte so neue ästhetische Möglichkeiten frei. Im Schreibparadigma des Alphabets ist Literatur mithin nicht nur Medium, sondern auch Form der Enzyklopädie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2004

Steffen Siegel begrüßt diese Studie zum Genre der Enzyklopädik zwischen 1600 und 2000 schon deshalb so enthusiastisch, weil diese Gattung zwar in der letzten Zeit durchaus verstärkt in den kulturwissenschaftlichen Blick geraten ist, dieses Untersuchungsgebiet bisher aber nicht so weit gefasst wurde wie im vorliegenden Werk. Andreas B. Kilcher betrachtet in seiner Habilitationsschrift nicht nur einen weiten Zeitraum von 400 Jahren, sondern will auch statt lediglich einer weiteren "Gattungsgeschichte der Enzyklopädie" grundsätzlich jede Art von enzyklopädischen Werken, also beispielsweise auch ein Lehrgedicht von Lukrez oder den "Enzyklopädisten-Roman" Hubert Fichtes, in seine Untersuchung einbeziehen, lobt der Rezensent, der darin den "hohen Vorzug" dieser Studie preist. Siegel räumt zwar ein, dass die "Fülle" der analysierten Werke etwas überwältigen ist, hier wäre "weniger" sicherlich "mehr" gewesen, wie er betont. Dafür lobt er aber die "präzise systematische Reduktion" der enzyklopädischen Werke auf "drei einfache Grundformen" als sehr erhellend.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.04.2004

Eine Enzyklopädie der Enzyklopädik ist an sich schon ein Ding der Unmöglichkeit, meint Bernhard Dotzler, da ihr ein Streben zur Vollständigkeit zu eigen sei, die nie eingelöst werden könne, da sie sich ja sonst selbst enthalten müsse. Einen Ausweg aus diesem Dilemma versprechen sich heute viele Möchtegern-Enzyklopädisten vom Computer, der globale Vernetzung und endlose Datenströme suggeriert. Medientheoretiker, hält Dotzer dagegen, sprechen eher von der Abschaffung der Enzyklopädie durch die elektronische Suchmaschine. Andreas B. Kilcher hat eine konventionelle Enzyklopädik vorgelegt, die sich nur in einem Punkt von ihresgleichen unterscheidet, wie Dotzler erläutert: sie verfolgt die Literaturgeschichte der Enzyklopädik, das heißt die Schreibweisen, mit welchen die angehäuften Wissensbestände erfasst, erkundet, sortiert wurden. Kilcher selbst habe sich für eine systematische Ordnung der Zeit von 1600 bis 2000 entschieden, berichtet Dotzler. Damit werde er der ästhetischen Dimension seines Gegenstandes gerecht, indem seine literarhistorische Periodisierung Sprünge, Lücken und Verbindungen zwischen den historischen Schreibweisen aufscheinen lasse. Schon in der Romantik, führt Dotzler als Beispiel an, habe man eine Form der Fragmentarisierung entwickelt, die durchaus als Vorläufer heutiger hypertextueller Schreibverfahren identifiziert werden könne.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.02.2004

Sehr beeindruckt zeigt sich Cornelia Vismann von Andreas B. Kilchers umfassender Studie, die sich mit der enzyklopädischen Literatur von 1600 bis 2000 befasst. Kilcher folgend beschreibt sie Eigenschaften von enzyklopädischer Literatur wie Vollständigkeit und Nichtlinearität, Prinzipien, die Kilcher von seinem Helden Jean Paul aufgenommen habe. Wie Vismann darlegt, setzten poetische Enzyklopädien von der Romantik bis in die Moderne die Vernetzung von allem mit allem gegen die prinzipielle Durchdringung des Stoffes, assoziative Verbindungen gegen logische Verknüpfung. Mittels Querverweisen wurde unsystematisch Wissen zusammengestellt, das man gewöhnlich nicht zusammendachte. Kilchers Arbeit weist in den Augen der Rezensentin selbst enzyklopädische Züge auf. Was, umgekehrt und etwas kritischer formuliert, auch heißt, dass Kilcher bei seinen Gängen durch das Labyrinth von Literatur und Wissen "zwangsläufig" "den Faden" verliert. Das findet Vismann nicht allerdings nicht weiter schlimm. Sie empfiehlt, das Werk wie eine poetische Enzyklopädie zu lesen: beim Hin- und Herblättern halte es nämlich die "größten Überraschungen" bereit.
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