Vorworte

Leseprobe zu Meryem Alaoui: Pferdemund tut Wahrheit kund

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Der folgende Blick durchs Schlüsselloch zeigt Alaouis Protagonistin von ganz ungewohnter Seite - unbändig, fröhlich, tanzend zu einem Lied ihrer Lieblingssängerin Najat Aatabou. Vergessen Sie Chaplins Brötchentanz, Gene Kelly und die wogenden Massenauftritte Bollywoods: Bühne frei für Dschmiaa!

Ich habe eben aufgelegt, Pferdegebiss war dran. Meine Güte, es war das reinste Theater, bis ich überhaupt mein Handy fand. Kaum frequentiere ich die Filmszene, verliere ich schon fast den Verstand.

Als ich vorhin aus dem Bad zurückkam, machte ich mich wie üblich daran, die Slips zu waschen. Ich legte ein Lied von Najat auf, das ich mag.

Es handelt von einer jungen Frau, die sicher ist, dass ihr Kerl sie hintergeht. Sie merkt es am verräterischen Schimmern, das seinen Blick trübt. Da sie sich ihm bereits völlig hingegeben hat, versteht sie nicht, wie er sich von einer anderen hat erobern lassen können. Und aufgeben will sie ihn nicht, weil sie überzeugt ist, dass sie füreinander gemacht sind. Deshalb erzählt sie das allen, die es hören wollen. Alles total gewöhnlich also. Aber das Lied gefällt mir. Ich höre es mir oft an, bei voller Lautstärke.

Ehrlich gesagt fühlt es sich gut an, ein Dach über dem Kopf zu haben, wo man tun und lassen kann, was man will, ohne dass sich ein Schnüffler in dein Leben einmischt. Seit meine Tochter und Halima weg sind, gibt es bei mir nur noch die Wände, den Fernseher, das Radio und mich. Ich mache, was ich will. Und drehe die Lautstärke maximal auf. Wenn ich Lust habe, kann ich die Musik so laut stellen, dass mir die Trommelfelle platzen.

Nun gut, jedenfalls habe ich vorhin die CD gestartet und mich ans Waschen gemacht. Als das Lied anfing, sang ich über die Schüssel gebeugt mit. Ich hielt die Slips in den Händen, rieb sie gegeneinander und trällerte zur Musik. Irgendwann richtete ich mich auf, um ein bisschen zu tanzen, weil ich das mag. Vor allem wenn der Rhythmus so mitreissend ist wie bei diesem Stück. Ich rieb ein bisschen schneller und begann mich in den Hüften zu wiegen und auf den Boden zu stampfen. Tapp, tapp, tapp!

Das Lied wurde schneller. Das Publikum applaudierte Najat und stiess Schreie aus, es klang wie das Rauschen einer Welle. In diesem Moment trifft der Kerl seine Freundin.

Die Stimmung heizte sich auf.

Ich folgte dem Rhythmus. Stampfte immer lauter und machte immer ausladendere Bewegungen mit den Hüften.

Die junge Frau sieht dem Kerl in die Augen und merkt, dass etwas nicht stimmt.

Ich begann mich um mich selbst zu drehen, die Arme ausgestreckt, und dazu trampelte ich weiter mit den Füssen. Geräuschvolle, knallende Schritte.

Die junge Frau sagt, er könne über sie verfügen, sagt, sie gehöre ihm.

Ich folgte dem Rhythmus. Drehte und drehte mich wie ein Kreisel, die Arme offen wie ein fliegender Vogel, in jeder Hand einen Slip.

Das Mädchen erinnert ihn daran, dass sie sich bei seinem ersten Lächeln hingegeben hat. Dass sie den Verstand verlieren wird.

Ich nahm mein Kopftuch ab, weil es mich einengte. Band es mir straff um die Hüften und verknotete es auf der Seite. Meine Pobacken klatschten gegeneinander wie die Flügel eines Schmetterlings.

Die junge Frau sagt, sie habe ihm vertraut.

Ich nahm die Spange weg, befreite mein Haar. Schwang meinen Kopf hin und her. Das Haar war noch nass vom Bad, Tropfen fielen mir auf die Schultern und spritzten gegen die Wände.

Nun bittet die junge Frau Gott um Verzeihung dafür, dass sie vom rechten Weg abgekommen ist. Schuld daran seien seine Schönheit und seine schönen schwarzen Augen.

In diesem Moment vergass ich alles um mich herum. Diese ganze Geschichte war nicht mehr mein Problem. Ich wollte mir plötzlich dringend einen Slip in den Mund schieben. Einfach so. Während ich mit allen Zähnen draufbiss, tauchte ich die Hände in die Schüssel, um weitere Slips aus dem Wasser zu fischen. Die bnader* wurden immer wilder. Meine Ohren verschmolzen mit ihren gespannten Häuten.

Ich fing an, überall an mir Slips aufzuhängen. Am Kopftuch über dem Po. An meiner Kehle. Auch am Kleid. Ich stopfte mir den Mund voll, hielt andere in den Händen. Überall Slips! In diesem Moment war mir egal, was die junge Frau sagte. Sie durfte es gern ihrem Arsch erzählen! Ich wollte tanzen. Die Slips, die ich überall verteilt hatte, baumelten im Rhythmus der Musik. Mein Po hüpfte auf und ab. Der Kopf wirbelte auf dem Hals hin und her. Das Kleid hob sich im Takt mit den Füssen, die Sandalen hatte ich an die Wand geschleudert.

Und durch diesen ganzen Partylärm hindurch hörte ich das Handy klingeln. Keine Ahnung, wie das möglich war. Ich spitzte die Ohren. Schaute überallhin und versuchte, dem Ton zu folgen, konnte ihn aber nicht orten.

Najat liess es weiter krachen. Ich sah unter den Kissen nach. Machte sie mit meinen Händen nass. Die Slips, die an meiner Hüfte hingen, trieften. Die Haare pissten mir die Arme voll.

Ich stellte mich aufrecht mitten ins Zimmer. Sah mich um, sah Slips in jeder Ecke, Wasser an den Wänden und auf den Matratzen. Vor meinen Augen erschien ein Hund, den jemand aus dem Meer gezogen und zu mir gebracht hatte, um ihn dann aufzufordern: "Los, schüttle dich." So sah es hier aus.

Da musste ich auf einmal dermassen lachen! Es platzte wie ein Feuerwerk aus mir heraus und wollte nicht mehr aufhören. Eine Salve nach der anderen. Ich lachte und lachte wie eine Verrückte. Und bekam beim Gedanken daran Angst, dass jemand reinkommen, mich so sehen und mich tatsächlich für übergeschnappt halten könnte. Und mich daraufhin in die Trente-six* schickt. Deshalb hastete ich mit meinem zerrauften Haar zur Tür und drehte den Schlüssel im Schloss um. Auf einmal fühlte ich mich wie eine Dämonin oder wie Aischa Kandischa*. Da musste ich noch mehr lachen. Ich lehnte mich an die Tür, und während ich langsam zu Boden rutschte, gluckste ich immer weiter. Keine Ahnung, wie lange ich so dasass.

Ich lachte, bis ich ausgelacht hatte. Nach dem letzten Hickser wischte ich mir die Tränen ab und dankte unter uns gesagt Gott für diesen Frieden. Ich hatte schon lange nicht mehr so gelacht. Vielleicht überhaupt noch nie.

Die Leute sagen, es sei nicht gut, wenn man so viel lacht. Es bedeute, dass der Satan in der Nähe ist. Dass er deine Unaufmerksamkeit ausgenutzt hat, um sich an dich ranzumachen. Dass er schon zum Sprung bereit ist.

Wenn du mich fragst, haben Leute, die solches Zeug erzählen, einfach irgendwelche Komplexe. Sie erzählen es, weil sie sich in ihrem Leben zu Tode langweilen und
möchten, dass alle so elend leben.

Oder es sind Paranoiker, die nicht ertragen, dass jemand lacht, weil sie sich dann angegriffen fühlen.

Oder vielleicht stammt dieser Quatsch auch einfach von einer Schnarchnase mit faulem Gebiss. Und wir müssen uns nun diese Märchen anhören, weil der Typ sich seine Zähne nicht rechtzeitig hat in Ordnung bringen lassen. Dieser Dreckswichser!

Wobei, soll ich dir die Wahrheit sagen? Selbst falls diese ganze Geschichte stimmen sollte, lautet die Wahrheit, dass es mir schnurz ist. Natürlich ist der Satan in der Nähe! In wessen Nähe soll er denn sonst sein, wenn nicht in meiner?

*

Schliesslich fand ich das Handy, als ich die ganze Unordnung wieder aufräumte. Es lag auf dem Küchenregal. Die Nummer auf dem Display war mir unbekannt. So legte ich das Gerät an seinen Platz zurück. Wer was von mir will, soll den Anruf selber bezahlen.

Pferdegebiss rief nochmals an. Sie wollte wissen, ob ich es mir überlegt hätte, redete klar und deutlich und kam gleich zur Sache. Ich mag direkte Leute, solche, die ohne Umschweife reden. Was ich tun müsste, erklärte sie, sei einfach. Ich würde mich an ein paar Abenden mit ihr zusammensetzen, schwatzen, ihr erzählen, was ich zu erzählen bereit sei. Einfach frisch draufloserzählen. Sie würde mir Fragen stellen, die ich nur beantworten müsse, wenn sie für mich kein Problem darstellten. Und falls möglich, würde ich sie mit einer oder zwei meiner Freundinnen bekannt machen. Aber nur falls möglich, sonst sei es auch kein Problem. Für sie wäre es schon eine grosse Freude, wenn ich zusagen würde. Sie sagte auch, dass sie vom Filmbudget siebzigtausend Rial für mich reservieren wolle. Aus eigener Tasche bezahlt. Als ob es für mich einen Unterschied machen würde, woher sie das Geld nimmt. Hauptsache, sie zahlt, oder?

Mir war schon vor ihrem Anruf klar gewesen, dass ich zusagen würde. Es war mir klar, seit ich sie im Verschlag gesehen hatte. Und der Abend in der Bar bestätigte mir erst recht, dass ich mit ihr arbeiten würde. Mir war klar, dass das, was sie wollte, für mich einfach wäre. Worum ging es? Reden und sich mit Bier volllaufen lassen? Im Auto durch das Viertel kurven, während die normalen Leute schlafen? Ich erzähle ihr Geschichten, und sie nimmt daraus, was sie braucht, um selber eine zu machen? Wenn das so ist, kann ich gern jede Woche bei einem Film mitmachen.

Als es ums Geld ging, habe ich gar nicht zu verhandeln versucht. Einerseits weil sie nochmals anrief, als Samira gerade da war, und ich ihr ja nichts erzählt hatte. Andererseits weil ich vorhabe, die ganze Zeit, in der sie hier ist, umsonst zu saufen und zu rauchen. Und glaub mir, ich werde es hinkriegen, dass sie ihr Budget verdoppeln muss.

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* Bnader: Plural von bendir: traditionell mit Ziegenhaut bespanntes Perkussionsinstrument.
* Trente-six: Französisch für "sechsunddreissig". Psychiatrische Klinik in der Nähe von Berrechid, 36 Kilometer südlich von Casablanca.
* Aischa Kandischa: In der marokkanischen Volksmythologie sehr präsenter weiblicher Dschinn. Manche stellen sie sich als Dämonin mit gespaltenen Füssen vor, andere als Hexe oder Gespenst von umwerfender Schönheit. Einig ist man sich über ihren boshaften Charakter.


Mit freundlicher Genehmigung des Lenos Verlags