Abdulrazak Gurnah

Das verlorene Paradies

Roman
Cover: Das verlorene Paradies
Penguin Verlag, München 2021
ISBN 9783328602583
Gebunden, 336 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Inge Leipold. Ostafrika, Ende des 19. Jahrhunderts: Der zwölfjährige Yusuf führt mit seiner Familie ein einfaches Leben auf dem Land. Als der Vater sich mit seinem kleinen Hotel verschuldet, wird Yusuf in die Hände von Onkel Aziz gegeben und landet im lebhaften Treiben der Stadt, zwischen afrikanischen Muslimen, christlichen Missionaren und indischen Geldverleihern. Die Gemeinschaft dieser Menschen ist alles andere als selbstverständlich und von subtilen Hierarchien bestimmt. Yusuf hilft in Aziz' Laden und bei der Pflege seines paradiesisch anmutenden Gartens. Doch als der Kaufmann ihn auf eine Karawanenreise ins Landesinnere mitnimmt, endet Yusufs Jugend abrupt. Die gefährliche Unternehmung bringt Krankheit und Tod und zeigt allen Teilnehmern schmerzhaft, dass die traditionelle Art des Handels keine Zukunft mehr hat. Was Yusuf erlebt, lässt ihn erwachsen werden. So verliebt sich der junge Mann nach seiner Heimkehr kopfüber, aber er und alle um ihn herum werden brutal mit der neuen Realität der deutschen Kolonialherrschaft konfrontiert.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.12.2021

Rezensent Dirk Knipphals freut sich über die neue Aufmerksamkeit für Abdulrazak Gurnahs Romane. Die nach der Nobelpreisverleihung an Gurnah erfolgte Neuausgabe des vorliegenden Romans führt den Leser laut Knipphals nach Ostafrika in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und mitten hinein in eine multiethnische Gemengelage und den europäischen Kolonialismus. Vor diesem Hintergrund erzählt der Autor laut Knipphals die Coming-of-Age-Geschichte seines Helden Yusuf, der von der Reise einer Handelskarawane zurückkehrt. Besonders an der Geschichte ist für den Rezensenten einerseits das Nebeneinander von Schönheit und Grauen und ein gewisser "poetischer Überfluss", der eine Kluft zwischen den Erlebnissen der Figuren und ihren Erzählungen darüber sichtbar macht, andererseits der "tragische Grundton" des Buches.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 13.12.2021

Rezensent Jan Drees ist beeindruckt von Abdulrazak Gurnahs Roman, der ihn mitten hinein in das bunte Sansibar um 1900 führt, ihm sowohl die multiethnische Bevölkerungsstruktur des Landes erschließt als auch das brutale Wirken der Kolonialisten. Dass der Autor mit Direktheit, Derbheit und Lebensfreude nicht spart, gefällt Drees ebenso gut wie Gurnahs menschenfreundlicher Blick auf seine Figuren und seinen naiven Helden Yusuf, der sich zu behaupten sucht. Insofern ist das Buch keine Anklage und keine Ausstellung von Exotismus, sondern ein Fest des Erzählens über das von Leid und Absurdität geprägte menschliche Miteinander, findet Drees.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.12.2021

Rezensentin Sylvia Staude freut sich über einen Blick auf die Kolonisatoren Afrikas durch die Kolonisierten in Abdulrazak Gurnahs Roman von 1994. Der Blick ist scharf, versichert Staude, wenn der Autor entlang der Koran-Geschichte des Propheten Yusuf den Entwicklungsroman des 12-jährigen Yusuf in Tansania vor dem Ersten Weltkrieg erzählt. Was der Junge als Lehrling bei einem Händler, in den Fängen einer schönen Mistress oder mit den "hässlichen" Europäern" in der ostafrikanischen multiethnischen Gesellschaft erlebt, malt Gurnah laut Staude auf anregende Weise, wenngleich ohne jegliche Psychologie oder komplexe Figurenzeichnung. Das Ende findet Staude verblüffend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.12.2021

Rezensent Felix Stephan kann nur ratlos quittieren, dass sich die Deutschen bisher kaum für Abdulrazak Gurnahs Romane interessiert haben. Sie kommen doch allenthalben in ihnen vor, wenn auch nicht unbedingt in einer schmeichelhaften Version, sondern in der rotgesichtig wilhelminischen. Aber auch darüber hinaus gibt es für Stephan viel zu entdecken in diesem ersten, seit der Verleihung des Literaturnobelspreise wieder erhältlichen Roman von 1994 des tansanisch-britischen Autors. Gurnah erzählt darin nicht in Anlehnung an die Bibel, sondern an den Koran die Geschichte des Jungen Yusuf, der von seiner verschuldeten Eltern an einen wohlhabenden Händler verkauft wird. Wie illusionslos Gurnah hier vom präkolonialen Sansibar erzählt, das von arabischen Sklavenhändlern, Gewalt und öffentlicher Folter gezeichnet ist, das imponiert Stephan. Aber auch wie Gurnah anhand der versklavten Jungen diskutiert, ob die innere Freiheit neben der äußeren Gültigkeit beanspruchen kann, bewegt den Rezesenten.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 07.12.2021

Rezensentin Sigrid Löffler empfiehlt diesen nun neu aufgelegten Roman von Abdulrazak Gurnah zum Kennenlernen des Literaturnobelpreisträgers. Erzählt wird, wie meist in Gurnahs Romanen, die Kolonialgeschichte Ostafrikas aus der Perspektive der Einheimischen, erklärt die Kritikerin. In diesem Fall ist es der zwölfjährige Yusuf, von seinen Eltern als Sklave verkauft, der seine Beobachtungen auf einer großen Handelsfahrt in der Karawane seines Herrn schildert. Löffler taucht ein in ein lebhaftes "Biotop" unterschiedlichster Kulturen und begegnet deutschen Militärs ebenso wie den strengen Moralgesetzen des Islam. Vor allem aber bewundert die Kritikerin, wie der gelehrte Literaturwissenschaftler Gurnah Elemente aus dem Koran, der Bibel, dem Werk Shakespeares, "Tausendundeine Nacht" und Klassikern der westlichen Moderne kunstvoll verknüpft.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 04.12.2021

Rezensent Richard Kämmerlings empfiehlt Abdulrazak Gurnahs Roman, der schon 1994 erschien und nun wieder in der Übersetzung von Inge Leipold verfügbar ist, um sich ein differenzierteres Bild postkolonialer Literatur zu machen. Denn außergewöhnlich komplex angelegt seien die verschiedenen Ebenen und Machstrukturen in seinem Roman, der von einer Jugend im kolonisierten Ostafrika Ende des 19. Jahrhunderts erzählt. So werden etwa die deutschen Besatzer, der muslimische Glauben oder die Karawanenwirtschaft stets in ihrer Ambivalenz beschrieben, ohne die Dinge dabei zu beschönigen, lobt Kämmerlings. Das Problem, dass Gurnahs Figuren hier teilweise "diffamierende" Sprache benutzen, sieht der Kritiker durch einen entsprechenden Disclaimer des Verlags und auch dadurch, dass das Buch klüger als seine Figuren sei, eingeholt. Auch andere Werke Gurnahs wie "Afterlife" oder "Desertion", auf die Kämmerlings einen Blick wirft, zeichnen sich durch Hellsicht und das "Urtrauma der Entwurzelung" aus, analysiert der Kritiker - gerade "alteingesessenen" Nordeuropäern legt er die Literatur des diesjährigen Nobelpreisträgers ans Herz.