Alexander Kluge

Chronik der Gefühle

Band 1: Basisgeschichten, Band 2: Lebensläufe
Cover: Chronik der Gefühle
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518412022
Gebunden, 1600 Seiten, 81,81 EUR

Klappentext

Zwei Bände im Schuber, mit zahlreichen Fotos. Die "Chronik der Gefühle" ist ein in der Gegenwartsliteratur singuläres Unternehmen: Sie erzählt in Lebensläufen und Geschichten von den Erfahrungen und vor allem den Gefühlen, mit denen wir auf Zeit, Epoche und deren Brüche reagieren. Alexander Kluges Opus magnum ist ein durch Zeit und Geschichte mäanderndes Buch der Emotionen, das aus immer neuen Blickwinkeln unsere manchmal rätselhaften, manchmal seltsam resistenten Verhaltensweisen, Reaktionen und Leidenschaften zu ergründen sucht. Die beiden Bände "Basisgeschichten" und "Lebensläufe" enthalten sämtliche erzählerischen Texte Kluges in einer Dramaturgie, die "funktioniert" wie unsere Erinnerung: von der Gegenwart aus rückwärts.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.12.2000

Andrea Köhler ist nicht nur begeistert von Kluges Erzählwerk, sie weiß es uns auch mitzuteilen. Wie der Autor sein "Paralleluniversum" entwirft "aus jenen geschichtsmächtigen Kräften, die aus der offiziellen Historiographie weitgehend ausgeklammert bleiben", lassen die von ihr gewählten Textbeispiele ganz gut erahnen. Außerdem macht sie uns mit dem Rüstzeug des Autors vertraut: Genauigkeit, Scharfsinn und Phantasie, Einfühlungsgabe und ein unsentimentaler Sinn für Komik und Schrecken sorgten dafür, dass Kluge dem ambivalenten Urgrund all unserer Handlungen und Entscheidungen nahe komme. Wirklich brauchbar für den Umgang mit den beiden je gut 1000 Seiten starken Bänden scheint auch Köhlers "Navigationshilfe" zu sein: Wenn subjektive Orientierung wirklich die Klammer ist, "die diese Enzyklopädie der Erregungszustände zusammenhält", wie es die Rezensentin zu wissen glaubt, dann stellt "unsystematische Neugier" in der Tat eine sinnvolle Lektürehaltung dar.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.12.2000

"Dickbände" nennt Michael Rutschky die beiden in der Tat äußerst umfangreichen Bücher der "Chronik" - "Basisgeschichten" und "Lebensläufe" -, in denen Kluges "gesammeltes, erweitertes und neu geschnittenes Erzählwerk" Platz hat. Platz hat darin vor allem auch Kluges geschickter Umgang mit Dichotomien, wie uns Rutschky, voller Sympathie dabei für seinen Schutzheiligen aus den "schrecklichen Siebzigern", wissen lässt: Neben dem von Rutschky zum "zentralen Kunstgriff" des Autors erklärten Ignorieren der Unterscheidung von theoretischer Argumentation und Erzählung hören wir von sage und schreibe VIER weiteren Fällen, in denen Kluge die Kategorien einfach unterläuft. Dieser Umstand, die daraus resultierenden Möglichkeiten des Autors, und ebenso sein "absolutes Gehör für Namen" seien doch bitteschön die eine oder andere Dissertation wert! findet unser Rezensent. Dies um so mehr, als sich mit den beiden nun erschienenen Bänden die Möglichkeit zu "neuer Konzentration" auf das Klugsche "Text-, Film- und TV-Universum" bietet.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.11.2000

Ein buchstäblich gewichtiges Buch, zum Aufmacher der Literatur-Beilage erhoben: über 2000 Seiten umfasst die Sammlung von Kluges Erzählungen, von denen etwa 700 Seiten neue Geschichten enthalten. Eine "erste Werkausgabe" des Autors, meint Michael Rohrwasser, und zugleich ein "Monolith", den kein Rezensent sich wirklich einverleiben kann. Gut, dass man auf - für die "Chronik" neu geordnete - bekannte Geschichten und bekannte Erzählmuster stößt: Rohrwasser sieht nach wie vor "sprachliche Sorglosigkeit" am Werk, gepaart mit einem Sinn für Komik, einer irritierenden Sprunghaftigkeit und der Kälte des antipsychologischen Blicks, die den Rezensenten frösteln macht. Diese Mentalität des Chirurgen, der sein "Menschenmaterial" den seltsamsten Versuchsanordnungen überliefert, empfindet Rohrwasser auf die Dauer als abstoßend, ebenso wie die überwältigende Materialmenge, die den Begriff einer Chronik ad absurdum führt. Dagegen führt er jedoch Kluges Neugier und Scharfsinn für immer neue, nie probierte Konstellationen an, sein Interesse für Geschichte, seine Faszination am Unverstandenen, die sich für ihn in rätselhaften Bildern - wie dem vom Stillstand der Geschichte - niederschlägt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.10.2000

Mit dieser Zusammenstellung von Kluge-Texten aus den letzten fast vierzig Jahren beschäftigt sich Jörg Drews in einer ausführlichen, etwas verquasselten Besprechung. Es ist eine Würdigung des Phänomens Alexander Kluge geworden, der als Regisseur, Fernsehmann, Journalist und einziger "erzählerischer Fortsetzer und Erbe der Frankfurter Schule" über viele Jahrzehnte hinweg "etwas" zu erzählen versuchte, "das aus der Geschichte zu lernen wäre". Zwar ist vieles, das die Gegenwart ausmacht, so Drews, nicht mehr als großer Wurf, aber immerhin noch "in Splittern" erzählbar, und diese Bruchstücke eben hat Kluge gesucht und gefunden und sie in höchst kondensierter Form wiedergegeben. In all dem spielen der Zweite Weltkrieg und die Gefühlslandschaften der Deutschen eine wichtige Rolle. Kluges eigene Entwicklung ist ablesbar in seiner stetig wachsenden Achtung für die "Kategorie des Erlebens", meint Drews; zwar ist der Schriftsteller ein "humanistischer Erzähler", schreibt er, aber nicht "moralisch" geht er darin vor sondern, wie sein häufiger Gesprächspartner Heiner Müller auch, eher "strukturell". Reizvoll für den Rezensenten sind auch die satirischen, geradzu "komödiantischen" Texte Kluges und, damit verwandt, die Kluge?schen Erfindungen von "Dokumenten", den Goethe?schen "Geheimschriften" beispielsweise, die es zwar nicht gibt, die in ihrer Erfindung durch den Autor jedoch sowohl überzeugen als auch seine aufklärerische Technik illustrieren, d.h. "Misstrauen gegen die Eindeutigkeit des Dokuments" zu säen. Eine Hommage an Kluge!
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

Mit großer Begeisterung bespricht Rezensent Martin Lüdke Alexanders Kluges gesammelte Erzählungen, Analysen und Anekdoten, die jetzt, auf zwei Bände verteilt, unter dem Titel "Chronik der Gefühle" erschienen sind. Als "Jahrhundertbuch" bezeichnet Lüdke die Sammlung von Texten, in denen Kluge nach eigene Angaben versucht "die Kritische Theorie [der Frankfurter Schule] fortzuschreiben und zwar mit erzählerischen Mitteln". Als in dieser Tradition der Totalität stehend beschreibt Lüdke den Ansatz des Autors. In seinen Arbeiten verwende Kluge Bildmaterialien, "die oft eine andere Geschichte, neben der sprachlich dargestellten erzählen". In der Summe und der Komplexität sei das schwer zu verdauen, weswegen Lüdke den häppchenweisen Konsum von Kluges Arbeiten empfiehlt.