Alois Berger

Föhrenwald, das vergessene Schtetl

Ein verdrängtes Kapitel deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte
Cover: Föhrenwald, das vergessene Schtetl
Piper Verlag, München 2023
ISBN 9783492071062
Gebunden, 240 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Von 1945 bis 1957 lebten im bayerischen Wolfratshausen im Ortsteil Föhrenwald zeitweise mehr als 5000 Juden, Überlebende des Holocaust - mit Synagogen, Religionsschulen und einer eigenen Universität für Rabbiner. Föhrenwald hatte eine jüdische Selbstverwaltung, eine jiddische Zeitung und eine jüdische Polizei. 1957 wurde Föhrenwald aufgelöst, die Bewohner auf deutsche Großstädte verteilt. Föhrenwald wurde umbenannt und aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Der Ort steht exemplarisch für einen weitgehend unbekannten Teil der deutschen Geschichte. Der Autor ist dort aufgewachsen, er hat das Schweigen erlebt. Er verwebt die Spurensuche in seiner Heimat mit den Geschichten der Überlebenden - denen, die nach Israel gingen, und denen, die aus dem Land der Täter nicht wegkonnten. "Ich habe meine gesamte Jugend in einer Art Theaterkulisse verbracht, einer sehr schönen, fast kitschigen Theaterkulisse mit verschneiten Bergen am Horizont, glasklaren Seen, mit malerischen Bauerndörfern und barocken Kirchen. Natürlich war das alles real, aber die Bilder im Kopf bekamen zerschlissene Ränder und fadenscheinige Stellen, als ich herausfand, dass mitten in dieser friedlichen Landschaft ein blinder Fleck war, eine sehr große undurchsichtige Leerstelle, über die nie geredet worden war." Alois Berger

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.11.2023

Rezensent Klaus Hillenbrand rechnet es Alois Berger hoch an, die vergessene Geschichte des einstigen DP-Lagers Föhrenwald aufzuarbeiten: Wo man es nicht vermutet hätte, im tiefsten Bayern in der Nähe von Wolfratshausen, fanden nach dem Krieg mehr als fünftausend vertriebene Jüdinnen und Juden Zuflucht; manche vorübergehend, manche bis zu ihrem Tod, wie Hillenbrand bei Berger liest. Der Journalist, aufgewachsen in Wolfratshausen in einer streng katholischen Familie, nähert sich dieser Geschichte über die Sprachlosigkeit, die nach der Schließung des Lagers 1957 in Bezug auf Föhrenwald in der Umgebung herrschte und die die Kindheit des Autors prägte: Über Gespräche mit Lehrern oder Mitschülern vermittelt Berger der Leserschaft Spannendes über das Leben im Lager, über Glaubenskonflikte, die Selbstverwaltung oder die kindliche Perspektive auf das Umfeld, lobt der Kritiker. Ein erhellendes Buch und ein Einspruch gegen ein Schweigen aus Scham, schließt Hillenbrand anerkennend.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.07.2023

Rezensent Bernd Noack lernt mit Alois Bergers Buch einen wenig bekannten und skandalösen Abschnitt deutscher Nachkriegsgeschichte kennen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde in Wolfratshausen in Bayern eine der größten jüdischen Siedlungen Europas gegründet, erläutert Noack. Der Ortsteil "Föhrenwald" entwickelte sich zu einem autarken Mikrokosmos, der Holocaust-Überlebenden einen Ort bot, an dem relative Sicherheit und Normalität herrschten. Berger beschreibt nun in seinem Buch, wie die katholische Kirche das Aus für die Siedlung herbeiführte, so der Rezensent: 1956 kaufte sie das Gebiet, siedelte die jüdischen Bewohner aus und ließ "katholische Heimatvertriebene" mit ihren Familien dort wohnen. Heute erinnert ein Museum an die Vertriebenen von Föhrenwald, schließt der Kritiker, und nun auch Bergers Buch.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.05.2023

Rezensentin Felicitas Amler liest bei Alois Berger interessiert und entrüstet von der Geschichte des jüdischen Stetls "Föhrenwald", in dem in der Nachkriegszeit Tausende jüdische Holocaustüberlebende wohnten - bis es von der katholischen Kirche zwangsgeräumt wurde. Kaum zu fassen, wie ein ganzes Dorf aus dem "kollektiven Gedächtnis" verschwinden kann, so die Rezensentin. Berger hat diese skandalöse Begebenheit "gründlich recherchiert" und ein Buch darüber veröffentlicht, das außerdem zum rechten Zeitpunkt kommt, wie Amler anmerkt: Gerade hat ein Museum eröffnet, das die Geschichte des Stetls aufarbeitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus einer Siedlung, die die Nazis für Zwangsarbeiter im Wolfratshausener Forst in Bayern errichtet hatten, ein Camp für Displaced Persons, erklärt Amler nach Berger. Das Camp entwickelte sich zu einem Rückzugsort für Juden und Jüdinnen und besaß als Stetl unter anderem bald Synagogen, Kultur-und Sportstätten, Geschäfte und sogar eine eigene Polizei. Viele hätten bleiben wollen, doch der "schwer NS-belastete" Theodor Oberländer übergab als Staatssekretär für Flüchtlingsfragen das Gebiet der katholischen Kirche, die dort deutsche Heimatvertriebenen ansiedelte - 1957 wurden die letzen jüdischen Bewohner des Stetls "zwangsweise auslogiert", liest Amler bei Berger.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.05.2023

Rezensent Hannes Hintermeier empfiehlt Alois Bergers Recherchearbeit über das vergessene Auffanglager Föhrenwald im Loisachtal. Fort lebten nach Kriegsende mehrere tausend jüdische "Displaced Persons". 1957 kaufte die Katholische Kirche das Gebiet und vertrieb die Juden und ließ dort ausschließlich katholische Familien wohnen, erfährt Hintermeier. Viele Jahre wollte die nichtjüdische Bevölkerung von dieser Geschichte nichts mehr wissen. Lieber erzählt man sich, die Verfolgung von Katholiken sei Hitlers Hauptverbrechen gewesen, so der Rezensent, der umso froher ist, wie der Autor in seinem Buch aufgrund von Einzelschicksalen und Zeitzeugeninterviews Weltgeschichte und Lokalgeschichte verbindet und diese weitgehend verdrängte Geschichte aus der Zeit des jüdischen Neuanfangs überaus lesenswert erzählt. Die Auseinandersetzungen von Ostjuden, Zionisten, deutschen Politikern und Besatzungsmächten nach 1945 um das Lager Föhrenwald kann Berger laut Rezensent überzeugend vermitteln, ohne je das Leid der dort lebenden Juden aus dem Blick zu verlieren.
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