Annie Ernaux

Die leeren Schränke

Cover: Die leeren Schränke
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518225493
Gebunden, 218 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Sonja Finck. An einem Sonntag im Jahr 1961 sitzt die zwanzigjährige Literaturstudentin Denise Lesur in ihrem Zimmer und wartet - dass ihr Körper die Abtreibung vollzieht, die eine Engelmacherin im Verborgenen eingeleitet hat. Der gebildete, bourgeoise, selbstgewisse Marc hat Denise auf die Nachricht der Schwangerschaft hin direkt verlassen. Und das Milieu, das er verkörpert, hätte sich auch nie ganz in ihrem Körper beheimaten können. Während sie also wartet, denkt sie über ihre Kindheit und Jugend nach: Zerrissen zwischen dem Elternhaus - obgleich stolze Épicerie-Besitzer sind ihre Eltern den bescheidenen, ländlichen Verhältnissen der Herkunft nie wirklich entronnen - und den Mitschülerinnen jener besseren Schulen, auf die ihre guten Leistungen sie befördert hatten, fühlt sich Denise von beiden Seiten stets abgestoßen.Vulgär und wütend, voller Ablehnung gegen die bürgerlichen Angepasstheiten - Annie Ernaux umkreist in "Die leeren Schränke" ein frühes einschneidendes Ereignis, das ihr gesamtes Leben prägen wird. Und erfindet dafür eine völlig neuartige, aufwühlende literarische Form.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.01.2024

Im Tonfall unterscheidet sich Annie Ernaux' nun erstmals auf deutsch vorliegendes Romandebüt deutlich von den bekannteren, späteren Werken der Autorin, so Rezensentin Bettina Hartz. Und zwar ist der im Original knapp fünfzig Jahre alte Band weniger nüchtern, vielmehr wütend und aufbrausend geschrieben. Es geht, lernen wir, um Denise Lesur, eine junge Frau, die sich gerade einer illegalen Abtreibung unterzogen hat, nachdem sie vom Kindsvater im Stich gelassen wurde. Ernaux arbeitet laut Hartz bereits hier autofiktional, und sie verdichtet Selbsterlebtes geschickt mit literarischen Mitteln, etwa wenn sie ein ganzes Leben auf einen Tag Erzählzeit verdichtet. Wie auch in späteren Büchern entwirft die Autorin, zeichnet die Rezensentin nach, die Lebensgeschichte einer Frau aus der Unterschicht, die sich sozial und intellektuell von ihrer Herkunft emanzipiert, aber auch weiß, dass der Aufstieg Verluste mit sich bringt. Ernaux hat, meint Hartz, dieser Erzählung immer wieder neue Facetten abgewonnen, gerade auch sprachlich, und in diesem ersten Roman lodert die Prosa noch geradezu intoxinierend.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 22.11.2023

Wer denkt, dass er schon weiß, was ihn in diesem Roman von Annie Ernaux erwartet, täuscht sich, weiß Rezensentin Shirin Sojitrawalla. Es ist ihr Erstlingswerk von 1974 und es geht zwar wie in den folgenden Werken um ihre Herkunft und Familie, aber so hat man das noch nie gehört, staunt die Kritikerin: sehr emotional, aufgebracht, vulgär. Ihre Erzählerin Denise Lesur kommt wie Ernaux aus bescheidenem Elternhaus und blickt, vor einer Abtreibung stehend, auf ihr Aufwachsen dort zurück. Unterlegenheitsgefühle gegenüber den Bessergestellten, aber auch Lust und ein schwer zu stillender Lebenshunger sprechen aus diesem Text der damals dreißigjährigen Ernaux, so die Kritikerin. Das alles ist "kongenial" übersetzt von Sonja Fink, die den frechen Ton mit Begriffen wie "Armleuchter" und "Schnepfe" perfekt trifft, lobt Sojitrawalla.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 05.10.2023

In diesem Debütroman von Annie Ernaux, der nach knapp 50 Jahren auch auf Deutsch erscheint, findet Rezensentin Sigrid Brinkmann schon alle Themen, die das Werk der Nobelpreisträgerin ausmachen. Im Zentrum steht die zwanzigjährige Denise, Studentin und ungewollt schwanger, die eine illegale Abtreibung durchführen lässt, Brinkmann liest hier auch viel aus Annie Ernauxs eigener Biografie heraus, von dem Willen, der beengten sozialen Herkunft zu entkommen, von der Wut auf die Welt, vom Hin und Her zwischen bildungsbürgerlichem Studium und proletarischer Herkunft. Emotional aufgeladen und packend, urteilt die Kritikerin.