Benjamin von Stuckrad-Barre

Noch wach?

Roman
Cover: Noch wach?
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2023
ISBN 9783462004670
Gebunden, 384 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Berlin: Eine junge Frau erzählt von ihrem neuen Job bei einem großen Fernsehsender, von ihrem neuen Chef, ihrem neuen Leben. Sie wirkt glücklich, beseelt, hoffnungsfroh, es klingt gut. Zu gut?In Los Angeles geht derweil eine Welt unter. Ein Mann, der damit prahlt, als Berühmtheit könne man sich gegenüber Frauen alles herausnehmen, wird Präsident der Vereinigten Staaten. Im Garten des legendären "Chateau Marmont", diesem Nachtspielplatz verwöhnter Hollywood Kids jeden Alters, vertreibt sich eine illustre Bande auf der Flucht vor der Realität die Zeit. Auch der Erzähler ist hier - und Rose McGowan, die Schauspielerin, der man nachsagt, neuerdings irgendwie anstrengend geworden zu sein. Kurz darauf erschüttert der Weinstein-Skandal Hollywood, und Rose McGowan ist eine der ersten Frauen, die sexuelle Belästigung durch den bis dahin von ganz Hollywood hofierten Filmproduzenten öffentlich gemacht hat. Rose verschwindet, aber sie hinterlässt dem Erzähler eine kryptische Nachricht - oder ist es vielmehr ein Auftrag? Wieso wendet sie sich ausgerechnet an ihn? Von Hollywood aus verbreitet sich die #MeToo-Bewegung um die ganze Welt. Doch die alten Machtstrukturen sind widerständiger, als man in der ersten Euphorie vielleicht denken mochte. Zurück in Berlin findet sich der Erzähler nicht mehr nur als Liegestuhlbeobachter, sondern nun als Akteur mitten in einem unübersichtlichen Geschehen wieder, das ihn in einen tiefen persönlichen Konflikt stürzt. "Noch wach?" ist ein Sittengemälde unserer Zeit, er erzählt von Machtstrukturen und Machtmissbrauch, Mut und menschlichen Abgründen.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 02.05.2023

In einer ausführlichen Rezension widmet sich Kritikerin Mara Delius dem als Schlüsselroman über den MeToo-Skandal beim Axel-Springer-Verlag gehandelten Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Freundschaft zwischen dem Ich-Erzähler und seinem Chef, dem Vorsitzenden eines großen Medienunternehmens. Hier macht die Kritikerin einen ersten problematischen Punkt aus: Wo es eigentlich um Frauen gehen soll, bleiben literarisch Männer die "treibenden Kräfte". Während der Ich-Erzähler im Laufe der Geschichte eine Läuterung durchläuft und die Frauen in ihren Anschuldigungen gegen den Chefredakteur der Firma unterstützt, tut sein Freund das Gegenteil, die "Bromance" zerbricht. Steckten hinter all dem nicht die wahren Ereignisse in der Redaktion der Bild-Zeitung, wäre Stuckrad-Barres Roman literarisch nicht relevant, meint die Kritikerin. Brillanz beweist er dennoch auf der literarischen Oberfläche, durch die authentische Nachahmung der skandalheischenden "Bild"-Sprache, durch seine "groteske Komik" und auch durch die zumindest angedeutete Selbstkritik des Autors. In die Tiefe geht das leider nicht, seufzt die Kritikerin, Stuckrad-Barre ist eben doch kein Böll.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.04.2023

Rezensentin Iris Radisch findet an Benjamin von Stuckrad-Barres Enthüllungsroman vor allem skandalös, dass der Kampf für Frauenrechte hier vorgeschoben wird, um (wieder einmal) nur über Männer zu schreiben. Zunächst einmal ist die Kritikerin sehr skeptisch, was die Läuterung von Stuckrad-Barres Erzähler-Alter-Ego angeht: Der ehemalige "Premium-Mitarbeiter" eines "machoiden Boulevardkonzerns" verurteilt auf einmal die moralisch fragwürdigen Methoden seines Chefs und dessen schäbigen Umgang mit Frauen. Die Gründe für diesen Sinneswandel erfahren wir nicht, stellt Radisch fest, überhaupt hält sie diese Transformation des Erzählers zum "sanften Frauenversteher" für höchst unglaubwürdig. Kaum fassen kann die Kritikerin, wie das weibliche Personal hier dargestellt wird: Die Praktikantinnen, die reihenweise dem Drängen des Chefredakteurs nachgeben, erscheinen als hilflose Dummchen, so Radisch. Generell verhindert das "gnadenlos durchironisierte Figurenpersonal" eine ernsthafte Debatte über Machtmissbrauch, wie man es von dem so rezipierten "MeToo-Buch" erwartet hätte, seufzt die Kritikerin, und findet es um so schlimmer, dass die meisten Kritiker diesen "Etiketten-Schwindel" nicht durchschauen. Eine Sache muss Radisch dieser "Männer-Show" lassen: unterhaltsam ist sie allemal.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 24.04.2023

Rezensentin Miriam Zeh sträubt sich gegen diesen Roman, der über eine zuvor nie gesehene "mediale Startrampe" in die Bestseller-Listen hochgeschossen wurde. Dass ein Autor sich hinter der Fiktion versteckt, um dadurch ungeniert bloßstellen zu können, gehöre zum Wesen eines Schlüsselromans, stellt sie fest, und Benjamin von Stuckrad-Barre beherrsche das Spiel auf dieser Klaviatur hervorragend. Nur recht durchsichtig verschleiert erzähle er in seinem typischen Sound aus "Protz und Ironie" vom Ende seiner Männerfreundschaft mit Springer-Chef Mathias Döpfner. Wie er sich dabei als Avantgardist der #MeToo-Bewegung geriert, geht der Rezensentin gehörig gegen den Strich. Nicht nur dass Stuckrad-Barre zehn Jahre lang gutbezahltes Aushängeschild des Springerverlags und "selbst Nutznießer des patriarchalen Machtsystem" war und jetzt den moralisch Erwachten gibt, macht ihr das Unterfangen unangenehm. Auch der "aufdringliche Erzähler", der einer einzigen Frauenfigur halbwegs Raum lässt, steht literarisch doch in krassem Widerspruch zu seiner Behauptung, er habe sein Verhältnis zur Macht verändert, wie Zeh kühl bemerkt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.04.2023

Rezensentin Julia Encke ist hin und weg von Benjamin von Stuckrad-Barres Roman, in dem der eng an den Autor angelehnte Erzähler in die #MeToo-Bewegung hineingerät. Denn das Buch habe noch viel mehr zu bieten, als der an sich schon sehr unterhaltsame Abgleich von Fiktion und den Missbrauchsrealitäten im Springer-Universum, die der Roman verhandelt: So findet Encke etwa höchst eindrücklich, wie präzise Stuckrad-Barre als Insider die Typen dieser Medienbosse und ihre "Beschwichtigungsformeln" zeichne; gnadenlos auch gegenüber sich selbst - zum Retter der betroffenen Frauen schwinge sich der Autor keinesfalls auf, lobt sie. Auch, wie die allmähliche Distanzierung vom Freund und Sender-Besitzer beschrieben wird, nicht ohne die Freundschaft im wehmütigen Rückblick noch einmal aufleben zu lassen, packt die Kritikerin. Veredelt werde das Ganze schließlich durch von Stuckrad-Barres Fähigkeit, die verschiedensten Rhetoriken durchzuspielen und vorzuführen; seien es "Therapie-Buzzwörter", Umgangssprache, Journalisten- oder Juristen-Slang, staunt Encke. Das "Beste, was man derzeit lesen kann", schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.04.2023

Rezensent Dirk Knipphals sieht in Benjamin von Stuckrad-Barres Roman über die Ursprünge von #MeToo zwischen Hollywood und dem Berliner Verlagswesen einen "Abgesang" und zum Teil eine "Abbitte, mitgemacht zu haben", aber keine "schmierige Anbiederung", was er zu schätzen scheint. Denn auch wenn der dem Autor sehr ähnliche Protagonist im Romanverlauf die Erkenntnis darüber gewinnen darf, wie hanebüchen die Zustände des sexuellen Missbrauchs sind und er einen Coup gegen den Chefredakteur des "nur leicht camouflierten" Springer-Verlags plant, kommt es zu keiner Erleichterung, sondern geht einiges schief und steht am Ende des Romans nur die "Hilflosigkeit" der Betroffenen, zu denen auch der Erzähler selbst gehört. Wie Stuckrad-Barre das anfänglich vorgeführte "Virtuosentum" des Erzählers zunehmend in den Hintergrund treten lasse, scheint Knipphals für einen interessanten erzähltechnischen Move zu halten, auch wenn der Roman in der Mitte etwas "kollabiere". Insgesamt ein Buch das vom eigenen "Verstricktsein in haltlose Zustände", von denen es erzählt, auch weiß, lobt Knipphals.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.04.2023

Rezensentin Elena Witzeck, die nach Michael Hanfeld den Roman als zweite FAZ-Redakteurin bespricht, erkennt die Qualität von Benjamin von Stuckrad-Barres Roman im Wechselspiel zwischen Schlüsselroman und sprachlich gekonntem Ausgedachten. Hier findet sie das Buch mal brüllend komisch, mal nah an der Missbrauchsdebatte, um die der Text kreist. Was genau hier der Wirklichkeit entnommen, was imaginiert ist, möchte Witzeck gar nicht so genau wissen. Ein Buch wie ein Nachmittag am Pool des Chateau Marmont in Los Angeles, meint sie. Bis die SMS des notgeilen Chefredakteurs an die Mitarbeiterin eintrifft: "Körper an Körper JETZT." Und plötzlich ist es wieder ein "Sittenstück" um Macht und Loyalität.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.04.2023

Rezensent Michael Hanfeld hat keine Probleme, das Rätsel von Benjamin Stuckrad-Barres "Schlüsselroman" zum MeTooSkandal beim Springer-Verlag zu lösen. Zwar spielt sich das Geschehen in einem Fernsehsender ab, dessen "machtgeil-rechtsverdrehter" Chefredakteur junge Frauen anbaggert und mit Karriereversprechen lockt, bis sie nachgeben, um sie danach links liegen zu lassen. Die Parallelen zur realen Affäre um Julian Reichelt und Mathias Döpfner sind aber so offensichtlich, dass die Behauptung zu Beginn des Buches, das Geschehen sei fiktional, ein bisschen albern wirkt, findet der Kritiker. Zur rechtlichen Absicherung war dies aber wohl notwendig, meint er. Hanfeld ist beeindruckt von diesem "Sittengemälde", in dem der Autor das Geschehen der letzten zwei Jahre genau und mit "zunehmender Wut" über den Umgang mit den Opfern zusammenfasst.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.04.2023

Rezensent Jan Sternberg hat wie so viele den "Schlüsselroman" Benjamin von Stuckrad-Barres gespannt erwartet und ist nicht enttäuscht. Natürlich erkennt er hinter der angeblich fiktiven Geschichte sofort die Hauptprotagonisten im MeToo-Skandal um den Springer-Verlag, sowie Stuckrad-Barre selbst, der sich als namenloser Ich-Erzähler tarnt. Der "krawallige" Chefredakteur alias Julian Reichelt, dem im Buch von der Moderatorin Sophia vorgeworfen wird, seine Position ausgenutzt zu haben, um sie zu einer Affäre zu bewegen, ist noch die "uninteressanteste Person" in diesem Buch, schreibt Sternberg anerkennend. Dass der Autor seinen Text realistisch und ernüchternd enden lässt, schätzt der Kritiker sehr, damit ist das hier keine "Heldenreise", sondern einfach Literatur, und "noch nicht einmal kleine", schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.04.2023

Die NZZ lässt mit Marc Felix Serrao, Chefredakteur der NZZ in Deutschland, und Lucien Scherrer, gleich zwei Redakteure den mit viel Tamtam angekündigten und erwarteten Springer-Schlüsselroman von Benjamin von Stuckrad-Barre besprechen. Die Meinung der beiden Kritiker fällt allerdings einstimmig aus: Es handelt sich im Wesentlichen, wenig überraschend, um eine "Abrechnung" mit Springer, eine "Hinrichtung" von Mathias Döpfner, den zunächst heißgeliebten Freund des Autors, und natürlich nicht zuletzt um ein Pamphlet gegen Bild und dessen Ex-Chefredakteur Julian Reichelt, resümieren die Rezensenten. Die Beteiligten sind, obwohl namentlich nicht genannt, unverkennbar. Und so lesen wir von einem mächtigen Verleger in der Midlife-Crisis, ein "megalomanischer Boomer", und von einem Chefredakteur, bezeichnet als "abstoßender Telegramgruppenheiliger", der als Chef eines "bürgerkriegsgeilen Wutsenders", seine Macht hemmungslos missbraucht. Das alles ist gut geschrieben, und wer Interna erwartet, wird bedient, halten die beiden Kritiker fest. Aber es bleibt eben alles auch vorhersehbar und einseitig, räumen Scherrer und Serrao ein, die daran erinnern, dass es Chauvinismus auch in anderen Verlagen gab und gibt. Und die Absicht des einst von Springer hofierten Autors ist auch eine Spur zu offenkundig, monieren sie.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.04.2023

Marlene Knobloch gibt sich alle Mühe eine Literaturkritik und keine "Schlammschlacht-Exegese" zu schreiben. Eine Menge Medieninsider-Infos erhält sie hier zwar, aber unter literarischen Gesichtspunkten fällt der Roman durch, meint sie. Die Sphäre von Macht und Machtmissbrauch fängt Stuckrad-Barre gut ein, spannend zu lesen ist auch, wie er die ganze "Perversion" des nicht näher benannten Boulevardmediums offenlegt. Und auch aus der Geschichte des Zerbrechens einer Männerfreundschaft hätte ein großartiger Roman werden können, denkt sich die Kritikerin. Doch dafür bleiben ihr die Figuren am Ende zu eindimensional. Dass Stuckrad-Barre "Verachtung" kann, weiß Knobloch, aber selten schilderte er sie so nuancenlos, seufzt sie: Insbesondere der "Erzähler", Alter Ego des Autors und plötzlich "blitzmoralisiert", komme hier über eine "Echt-krass-Haltung" nicht hinaus. Von Tragik keine Spur - und selbst die aneinandergereihten Bekenntnisse von Frauen lesen sich wie "Blog-Einträge", stöhnt Knobloch, die die Lektüre von Stuckrad-Barres Vorbild, Bret Easton Ellis, vorzieht.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.04.2023

Rezensent Volker Weidermann freut sich sehr. Stuckrad-Barre, dieser Repräsentant einer einst so leichthin zynischen Popliteratur, ist moralisch geworden. "Wie bitte? Ausgerechnet Stuckrad-Barre?" Ja, Stuckrad-Barre, und noch schöner ist, dass sich diese überraschende Moral ausgerechnet gegen jene Medienfiguren richtet, die alle Journalisten, die nicht im Springer Verlag arbeiten (und einige von diesen) sicherlich am meisten hassen. Die Presse macht ein Ereignis daraus, größer als der Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Es ist aber auch ein toller Roman, versichert Weidermann. Weinstein, Döpfner, Reichelt, alle kriegen ihr Fett ab. Ja, Stuckrad-Barre hat immer schon das Fiktive mit dem eigenen Leben verflochten, vor kurzem noch soll er als Autor des Springer Verlags 40.000 Euro verdient haben. Im Monat, so Weidermann. Aber jetzt - so zärtlich der Autor, so verständnisvoll und lauter mit den Frauen, die Reichelts Opfer wurden und die sich ihm oder dem Ich-Erzähler - wer will da entscheiden? - anvertraut haben. Unbedingt lesen, großartige Prosa gibt's noch dazu, versichert der Kritiker.