Christoph Hein

Verwirrnis

Roman
Cover: Verwirrnis
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
ISBN 9783518428221
Gebunden, 303 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Friedeward liebt Wolfgang. Und Wolfgang liebt Friedeward. Sie sind jung, genießen die Sommerferien, fahren mit dem Fahrrad die weite Strecke ans Meer, und reden stundenlang über Gott und die Welt. Sie sind glücklich, wenn sie zusammen sind, und das scheint ihnen alles zu sein, was sie brauchen. Doch keiner darf wissen, dass sie mehr sind als beste Freunde. Es sind die 1950er-Jahre, sie leben im katholischen Heiligenstadt, und für die Menschen um sie herum, besonders für Friedewards strenggläubigen Vater, ist ihre Liebe eine Sünde. Käme ihre Beziehung ans Licht, könnten sie alles verlieren. Als sie zum Studium nach Leipzig gehen - Friedeward studiert Germanistik, Wolfgang Musik -, finden sie dort eine Welt gefeierter Intellektueller, alles flirrt geradezu vor lebendigem Geist. Und sie lernen Jacqueline kennen, die ihnen gesteht, dass sie eine heimliche Beziehung zu einer Dozentin hat. Zu viert besuchen sie die legendären Vorlesungen im Hörsaal vierzig, gehen ins Theater, tauchen gemeinsam ein ins geistige Leben der Stadt.Und da reift in den drei Freunden der Plan: Wäre es nicht die perfekte 'Tarnung', wenn einer von ihnen Jacqueline zum Schein heiraten würde?

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.01.2019

Carsten Otte empfiehlt Christoph Heins neuen Roman allen Verfechtern einer "natürlichen Familienordnung". Er selbst liest das Buch einerseits als rührendes, sehr persönliches Porträt von Heins Lehrer, dem homosexuellen Literaturwissenschaftler Hans Mayer, andererseits als historisch-politische, eher nüchterne Chronik ostdeutscher Verhältnisse am Beispiel der Figur des Friedeward Ringeling und seiner Kindheit in Heiligenstadt in den 1950er Jahren. Wie Hein von Züchtigungen erzählt, vom Widerstand gegen Partei und Stasi, und wie er dabei subtil Fakten und Fiktion mischt und auch noch Fragen an unsere Gegenwart provoziert, gefällt Otte ausnehmend gut.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 29.12.2018

Rezensentin Katharina Teutsch gefällt an Christoph Heins Roman über das Schwulsein in der DDR vor allem der Ton des Chronisten. Dass der Autor Fakten darstellt, aber weder moralisiert noch psychologisiert, findet sie schön. Das Individuum erscheint als Produkt einer Gesellschaft, die nicht bewertet wird, nur beschrieben, meint sie, der Text wird zum Verständigungsapparat zwischen Einzelschicksalen und Zeitläufen. Berührend ist die Geschichte über die Liebe zweier Männer und den Verrat dieser Liebe laut Teutsch trotzdem.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2018

Eindringlich findet Rezensent Fridtjof Küchemann Christoph Heins neuen Roman. Erstaunliches und Bestürzendes entdeckt er, wenn Hein Entwicklungen und Stimmungen in der DDR einfängt, und zwar aus der Perspektive seines schwulen Helden Friedeward Ringeling, der dem Autor derart plastisch gelingt, dass Küchemann den Namen googelt. Die Befürchtung, dieser Ansatz könnte dem ohnehin von Repression bestimmten Leben in der DDR im Buch die Schärfe nehmen, kann Küchemann entkräften. Im Gegenteil, meint er, manche Ängste und Zwänge kommen nur noch dringlicher im Text ans Licht, auch wenn der Autor sich für die familiären Verhältnisse seiner Figuren ganz unabhängig von ihrer politischen Relevanz interessiere. Eine "Sorgfalt im Biografischen", die den Rezensenten überrascht.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.10.2018

Rezensent Jens Jessen schätzt Christoph Heins zurückgenommenen, schlichten Ton - in anderen Romanen. Wenn ihm Hein hier allerdings von dem schwulen Friedewald Ringeling erzählt, der für die Stasi erpressbar wird, da er seine Homosexualität verheimlicht und der auch nach dem Zusammenbruch der DDR den Selbstmord einem Coming Out vorzieht, findet Jessen Heins "nüchterne" Sprache nicht nur ein wenig gestelzt, sondern in ihrer Kargheit mitunter auch "kitschig". Etwas mehr Persönlichkeit für Heins Helden hätte sich der Kritiker außerdem gewünscht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.08.2018

Rezensent Paul Jandl liest in Christoph Heins neuem Roman über deutsch-deutsche Traumata und uralte Ängste. Für Jandl ein zeitgeschichtliches wie arachaisches Buch mit beklemmenden Szenen von Patriarchalität und Züchtigung, Doppelleben und anderen Leiden. Groß findet Jandl, wie das Moralische bei Hein von seiner unmoralischen Seite gezeigt wird, wie Menschenverachtung in der Nachkriegsgesellschaft fortlebt, im Westen wie im Osten. Die Geschichte lebenslanger Flucht und Anpassung angesichts gesellschaftlicher Sexualmoral ist für Jandl ein faszinierender Bildungsroman.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.08.2018

Für Rezensentin Judith von Sternburg war Christoph Heins neuester Roman "Verwirrnis" eine "funktionstüchtige Schleuse zurück ins 20. Jahrhundert". Mit viel Leichtigkeit erzähle Hein hier von den Erfahrungen Friedeward Pius', des Sohns eines erzkatholischen Rohlings, der seine Homosexualität ausleben wolle. Es geht dabei laut Sternburg weniger um die psychologische Verwirrnis der Hauptfigur als um die Verwirrungen der Menschen um Friedeward herum, die seinem Liebesglück mit dem auserwählten Wolfgang im Weg stehen. Dass die Geschichte mit dem Ost-West-Konflikt verknüpft werde, wobei der Westen in Sachen Toleranz nicht gerade als großes Vorbild erscheine, hat die Rezensentin als lehrreiche Mahnung empfunden. Insgesamt scheint sie die ironische und hintersinnige Erzählung sehr genossen zu haben.