Dzevad Karahasan

Einübung ins Schweben

Roman
Cover: Einübung ins Schweben
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518431221
Gebunden, 304 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Bosnischen von Katharina Wolf-Grießhaber. Peter Hurd, Altphilologe und Mythenforscher, kommt zu einer Lesung nach Sarajevo - wenige Tage vor Beginn des Krieges. Als sein Übersetzer und Bewunderer Rajko ihn am Busbahnhof wieder verabschieden will, fasst Peter spontan den Entschluss zu bleiben: die Chance, mitzuerleben, wie Menschen sich in Extremsituationen verhalten, will er sich nicht entgehen lassen. Mit Rajko teilt er den Alltag, er begleitet ihn durch die unter Granatenbeschuss liegenden Nachbarschaft, lernt Freunde und Verwandte kennen, auch Sanja, in die er sich verliebt. Eines Tages macht er sich allein auf den Weg und kehrt zurück, kaum wiederzuerkennen …

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2023

Intellektueller Wahnsinn: Das ist das prägende Momentum im neuen Roman von Dževad Karahasan, konstatiert Rezensent Malte Osterloh, dem vor der Figur des Peter Hurd genauso graut wie er seinen Erfinder bewundert. Erzählt wird von der Belagerung Sarajevos, die im August 1995 begann. Ein Altphilologe aus Wales besucht einen bosnischen Schriftsteller. In den gelehrten Gesprächen der beiden wird schnell klar: Für den Gast ist der Krieg ein Selbsterfahrungstrip, in dem er Leid und Zerstörung nicht nur ignoriert, sondern als Vehikel nutzt, um wie Dante durch die Hölle zu schreiten. Obwohl in diesem Roman von Karahasan gelacht und getanzt wird, schreibt der Rezensent, zerbrechen die beiden Protagonisten am Ende zwangsläufig an ihren Erfahrungen, Grenzen zu übertreten. Besonders die plastische Zeichnung der Figuren hat Osterloh erneut davon überzeugt, dass der Goethepreisträger Karahasan ein Meister der Erinnerung ist.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 23.02.2023

Rezensentin Ursula März schätzt den schwarzen Humor und die erzählerische Virtuosität dieses Antikriegsromans von Dzevad Karahasan. Entstanden ist der Roman aus einer Sammlung von Essays und Prosaskizzen, in denen der Autor seine eigenen Erfahrungen während der Belagerung Sarajewos kurz nach seiner Flucht niederschrieb. Erzählt wird vom walisischen Philologen Peter Hurd, der einen Vortrag in der Stadt halten soll und vom Krieg überrascht wird, berichtet die Rezensentin. Zusammen mit dem muslimisch-bosnischen Dichter Rajko Surup, aus dessen Perspektive erzählt wird, erlebt er die brutalen und surrealen Seiten des Konflikts, dabei fühlt sich der "hochmütige Bildungshumanist" zusehends angezogen von den Perversionen des Krieges und begibt sich auf einen "existenziellen Grenz- und Selbsterfahrungstrip", der in der Katastrophe endet, so März. Die Handlung bietet Karahasan die Vorlage für eine philosophische Kritik an reinem Intellektualismus, der ohne Liebe zum Menschen wertlos ist, schließt die Rezensentin beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.02.2023

Für Rezensentin Ilma Rakusa ist der Bosnier Dzevad Karahasan ein Schriftsteller von Weltrang. In seinem neuen Buch dreht sich wieder einmal alles um Sarajevo und um die Freundschaft als verlässliche Größe, erklärt Rakusa. Der Leser folgt einem Altphilologen und seinem Freund, einem Dichter, durch die belagerte Stadt, erlebt Drogenrausch und Auflösungszustände angesichts von Gewalt und Ohnmacht, so Rakusa. Neben philosophischen Gesprächen und einer klaren, schönen Sprache ohne Firlefanz bietet der Text laut Rakusa Humor und die souveräne Zusammenschau von Historie und Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.01.2023

Dževad Karahasans neuer Roman erzählt von der Belagerung Sarajevos 1992 - aber er reicht weit über den Krieg hinaus, lobt Rezensent Tilman Spreckelsen. Der Goethe-Preisträger, der heute 70 Jahre alt wird, kreist um zwei Figuren: Einen bosnischen Dichter und Übersetzer und einen gefeierten Intellektuellen aus Wales, den Bombenhagel und Not enthusiasmieren. Nähe und Distanz auf allen Ebenen sind für Spreckelsen die herausragenden Merkmale dieses Buches mit seinen langen, klugen Dialogen, das auch "Welcome to hell" heißen könnte. Karahasan macht dem Kritiker das Grauen des Krieges deutlich, und die unterschiedlichen Arten, es zu verarbeiten. Nur der Intellektuelle steht außerhalb des Geschehens, er scheint es wie einen Film zu betrachten, über den er räsonieren kann, auch wenn Menschen vor seinen Augen verbluten. So kann man die große "Idee eines zivilen Lebens" durch Großkotzigkeit klein machen, während andere sie mit ihrem Mitgefühl hochhalten, lernt der Rezensent aus diesem "großartigen" Roman. 
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.01.2023

Was Rezensent Lothar Müller über Sarajevo im Jugoslawien-Krieg liest, erinnert ihn an die Ukraine 30 Jahre später. Wie ein langer Brief kommt Müller der neue Roman Dževad Karahasans vor, der am 25. Januar 1953 knapp 200 Kilometer von Sarajevo entfernt geboren wurde. Jahrzehnte, schreibt der Rezensent, habe der Entwurf für diese Geschichte in Karahasans Schublade gelegen, und Müller ist berührt, dass er nun auf Deutsch vorliegt. Wieder schreibe Karahasan über seine eigenen, traumatisierenden Erlebnisse in Sarajevo. Dieses Mal im "Meister-Schüler-Verhältnis" zwischen einem walisischen Altphilologen und einem muslimisch-bosnischen Übersetzer, die sich über Mythologie austauschen, so Müller.. Die Dichte dieser großen Erzählung, in der die "Stimme der Stadt" über allem schwebt, ist für den Rezensenten ein weiterer beeindruckender Teil eines Schreibprojekts, das seinesgleichen suche. 
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