Eduard Seidler

Verfolgte Kinderärzte 1933-1945

Entrechtet - geflohen - ermordet
Cover: Verfolgte Kinderärzte 1933-1945
Bouvier Verlag, Bonn 2000
ISBN 9783416029193
Gebunden, 494 Seiten, 29,65 EUR

Klappentext

Nahezu jeder zweite Kinderarzt in Deutschland - ein Drittel davon Frauen - war nach 1933 im Sinne der nationalsozialistischen Gesetze jüdischer Herkunft oder galt als politisch missliebig. Ihre Erfolge und vor allem ihre Beliebtheit erregten schon vor 1933 die Missgunst vieler ihrer nichtjüdischen Kollegen. Mit der vorliegenden Studie untersucht zum ersten Mal eine deutsche medizinische Fachdisziplin die Hintergründe und die z.T. erschütternden Umstände der Verfolgung ihrer über 750 betroffenen Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Wien und Prag. Biographische Daten, Selbstzeugnisse und Briefe berichten von ihren einzelnen Schicksalen. Die Zerstörung der Existenz dieser Menschen wurde von der Mehrzahl der deutschen Kinderärztinnen und Kinderärzte jener Generation widerstandslos geduldet. Es ist daher das besondere Anliegen dieser Untersuchung, nicht nur die Erinnerung wach zu halten, sondern dem weiteren Vergessen und Verdrängen entgegen zu wirken.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.09.2000

Christoph Jahr bespricht zwei Bände zum Thema "Ärzte im Nationalsozialismus", die aus völlig unterschiedlicher Perspektive den Ärztestand jener Zeit ins Visier nehmen.
1) Michael H. Kater: "Ärzte als Hitlers Helfer"
Zu reißerisch findet Jahr den deutschen Titel dieses Standardwerks, das bereits 1989 im kanadischen Toronto als "Doctors under Hitler" veröffentlicht wurde. Das Buch zeichnet sich gerade durch profunde und differenzierte Recherche aus, so Jahr, die sich keineswegs nur auf den bekannten KZ-Arzt Mengele erstreckt, sondern die ganze Ärzteschaft unter die Lupe nimmt. Und dabei hat Kater Erstaunliches zutage gefördert, berichtet Jahr: gerade die Ärzteschaft war einer der am meisten naziorientierten Berufsstände. In Zahlen ausgedrückt: die Ärzte waren etwa im Verhältnis 3:1 in der NSDAP überrepräsentiert, in der SS sogar 7:1. Jahr erklärt diese Tatsache damit, dass der Elite- und Euthanasiegedanke eine große Faszination auf die Ärzte ausgeübt haben muss; "moralische Blindheit" war wohl die häufigste Krankheit der NS-Zeit, konstatiert der Rezensent.
2) Eduard Seidler: "Verfolgte Kinderärzte 1933-1945"
Der Antisemitismus war auch eine nützliche Angelegenheit für solche Ärzte, die sich so allzu großer Konkurrenz entledigt konnten, meint Jahr und berichtet weiter, dass 40 Prozent der medizinischen Hochschullehrer ihre Stelle aufgeben mussten. Neben den Hochschullehrern waren es die einfachen Ärzte, von denen etwa 15 Prozent als jüdisch klassifiziert wurden, und die Kinderärzte, von denen sogar 50 Prozent als jüdisch galten, die gezwungen waren, ihre Arbeit aufzugeben. Was mit ihnen passierte, listet ein von der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin in Auftrag gegebenes Buch auf, das, wie der Rezensent schreibt, naturgemäß unvollständig ausfallen muss. Etwa 600 Einzelschicksale konnten recherchiert werden, berichtet Jahr, einem Teil der jüdischen Ärzteschaft gelang die Flucht, viele andere starben durch Deportation.
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