Eva Menasse

Vienna

Roman
Cover: Vienna
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2005
ISBN 9783462034653
Gebunden, 432 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Eva Menasse macht das Erinnern zum Ausgangspunkt des Erzählens und entwirft mit den Geschichten einer Wiener Familie mit jüdischen Wurzeln den Bilderreigen einer Epoche."Mein Vater war eine Sturzgeburt": Kopfüber, wie die Hauptfigur, fällt der Leser in diesen Roman und erlebt, wie die Großmutter über ihrer Bridge-Partie beinahe die Geburt versäumt. So kommt der Vater der Erzählerin zu Hause zur Welt, ruiniert dabei den kostbaren Pelzmantel und verhilft der wortgewaltigen Familie zu einer ihrer beliebtesten Anekdoten. Hier, wo man permanent durcheinander redet und sich selten einig ist, gilt der am meisten, der am lustigsten erzählt. Fragen stellt man besser nicht, obwohl die ungewöhnliche Verbindung der Großeltern, eines Wiener Juden und einer mährischen Katholikin, im zwanzigsten Jahrhundert höchst schicksalsträchtig ist...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.03.2005

Ein Romandebüt wie "Vienna" hätte der Rezensent Paul Jandl von der Journalistin Eva Menasse nicht erwartet. Denn die stark an die eigene jüdische Familiengeschichte angelehnte Erzählung erweise sich als Ansammlung von Anekdoten. Dabei missfällt dem Rezensenten, dass die sonst für ihre "kritische Treffsicherheit" bekannte Menasse sich so rückhaltlos dem witzelnden Familienduktus eines "Onkel-und-Tanten-Konglomerats" überlässt: "Was haben wir gelacht - das ist eine Formel mit hohem Ausschließungsgrad." Darum hat der Rezensent auch gleich zwei vernichtende Beschreibungen parat: Menasses Debüt sei ein "kreuzbraver Roman, der die Anekdote, die eher zum Altherreninstrument literarischer Humorkultur verkommen ist, wieder in Amt und Würden setzt" sowie "ein Schmunzelbuch, das sich seine Harmlosigkeit auch nicht durch avancierten Stil verdirbt". Und die "Scheherazade des Scherzes" geht laut Rezensent in der "heiteren Selbstüberbietung" so weit, dass Exil und Tod, kaum angesprochen, zugunsten der nächsten Pointe ins Hintertreffen geraten, und dass so "die einzig ernste Frage des Romans", die nämlich nach der jüdischen Identität, nicht gebührend behandelt werden kann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.03.2005

Mäßig begeistert zeigt sich Ulrich Rüdenauer von Eva Menasses Wien- und Familienroman, der seines Erachtens an die Tradition jüdisch-humoristischer Literatur anknüpfen will. Nicht dass Menasse dieses Unterfangen gar nicht gelungen wäre, eher im Gegenteil; der locker-lakonisch-witzige Gestus sei so dominant, versichert Rüdenauer, dass sich bei ihm Ermüdungserscheinungen einstellten. "Die Pointendichte entspricht etwa dem Kabarettprogramm eines Stand up-Comedian", behauptet er und schreibt dies dem Einfluss des Tagesjournalismus zu, dem die Autorin als Broterwerb im täglichen Leben nachgeht. Anekdote um Anekdote webe Menasse die skurrile und abenteuerliche Geschichte ihrer Eltern und Großeltern zu einem Flickenteppich zusammen, so Rüdenauer und merkt boshaft an: aber "nach einem Perser soll's ausschauen". Er konstatiert eine gewisse Geschwätzigkeit, eine Sammelwut, hinter der er durchaus auch die Verzweifelung der Verfasserin spürt, die sich so redselig und pointenreich gegen das Verschwinden der Erinnerungen zur Wehr setze. Eine Intention, die in der Umsetzung scheitert, zumal die Ich-Erzählerin, wie Rüdenauer feststellt, seltsam konturlos bleibt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 03.03.2005

Ursula März ist von diesem literarischen Debüt der Journalistin Eva Menasse regelrecht hingerissen und preist ihn als "rasanten Seiteneinflug" zur "Landebahn des literarischen Erfolgs". Sehr beeindruckend findet die Rezensent die Leichtigkeit, mit der sich die österreichische Autorin, Schwester des bekannten Schriftstellers Robert Menasse, eines Themas annimmt, das zwar nicht neu, dafür aber "nach wie vor schwierig" ist. Menasse erzählt von einer Wiener Familie, die, Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, zur Hälfte jüdische und zur Hälfte nichtjüdische Wurzeln hat ist und die auffällige "Ähnlichkeit" mit den Menasses hat, erklärt die Rezensentin. Das Problem jüdischer Identität wird in einer "Tragikomödie" entfaltet, wobei die Autorin das Thema nicht "ideologisiert", sondern vielmehr "charmant" und "erzählerisch" entfalte, so März angetan. Der Roman besteht "aus nichts als Anekdoten", die diese Familie in ihrem ureigenen "rhetorischen Code" verbinden und steckt voller Wiener "Schmäh und Pointen", "Jargons und Redensarten", bemerkt die Rezensentin amüsiert. Das Tragische der Geschichte, in deren Mittelpunkt der Vater der Erzählerin steht, der sich über seine Identität nicht klar werden kann und sich an der Frage abarbeitet, wer in seiner Familie eigentlich Jude, wer Nazi war, wird nur "in einem einzigen Satz" artikuliert und entfaltet gerade durch seinen reduzierten Ausdruck Wirkung, lobt März. Die Autorin treffe geradezu mühelos den erforderlichen "lakonischen Ton" und verbinde mit Selbstverständlichkeit "das Epische, das Politische, das Humoristische und das Essayistische", preist die begeisterte Rezensentin. Am Ende aber begreift sie die "Stärke" dieses Romans, die eben in der Leichtigkeit und in dem "mimetischen Sichtreibenlassen der Erzählerin" liegt, gleichzeitig als "Schwäche", weil hinter dem "Zauber" der Erzählung die "Technik" sichtbar wird, die jedem Satz noch "Pointen abverlangt". Diese Kritik findet März aber dann selbst etwas "ungerecht", hat sie sich doch selbst gerade "vergnügt" einem "bedeutsamen, aus der aktuellen Literatur herausragenden" Roman hingegeben.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.03.2005

"Wie eine luftige Mehlspeise mit dezent alkoholisiertem Kompott" hat sich Kristina Maidt-Zinke Eva Menasses "Vienna" zu Munde beziehungsweise zu Gemüte geführt, ein Buch, das jede Menge abenteuerliche Schicksale, skurrile Charaktere, fantasievolle Geschichten aufbietet und Familiengeschichte mit literarischer Camouflage verbindet. Da steht Menasse ganz in der Tradition ihrer fabulierwütigen, anekdotensüchtigen Familie, auch sie beherrscht ihr Handwerk, liefert ein "bravouröses" literarisches Debüt ab - Menasse arbeitet ansonsten als Journalistin - , und doch, überlegt die Rezensentin, bleibt sie darin ganz "die brave Tochter". Auf der einen Seite also die Schwelgerei in Anekdoten, auf der anderen Seite eine eher unkenntlich bleibende Ich-Figur, die über die ihr zugewiesene Funktion des Erinnerns, Erzählens, Archivierens hinaus keine individuellen Konturen annimmt. Je mehr sich Menasse der Gegenwart nähert, stellt Maidt-Zinke fest, desto problematischer werde ihr Erzählkonzept, das sich über die Mythen- und Anekdotenpflege hinaus nicht dazu eignet, hinter der familiären Fabulier- und Fantasierwut auch die negativen Erfahrungen in einer derart "wortgewaltigen Familie" auszudrücken.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.02.2005

Die Rezensentin Anne Kraume findet es spannend, wie die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse die Geschichte ihrer eigenen Familie mit der Geschichte der fiktionalen Familie verwebt - auch wenn sie sich ein bisschen wundert, dass Menasses eigene Rolle darin erstaunlich blass bleibt. Doch trotzdem ist ihr ein echtes Panorama gelungen, hinter dem "viel allgemeiner ein Jahrhundert Wiener, österreichischer und europäischer Geschichte" sichtbar wird. Zunächst wirkt die Geschichte wie eine relativ unstrukturierte Ansammlung von Anekdoten, "bei der erst allmählich deutlich wird, dass sie genau in dieser scheinbaren Kontingenz ein sehr systematisches Konstruktionsprinzip hat". Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass für die beschriebene Familie das Geschichtenerzählen höchst identitätsstiftend war: "Nur wer Geschichtenliefert, der existiert."