Franco Moretti

Falsche Bewegung

Die digitale Wende in den Literatur- und Kulturwissenschaften
Cover: Falsche Bewegung
Konstanz University Press, Göttingen 2022
ISBN 9783835391499
Gebunden, 175 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Bettina Engels. Diagramme, Zeitreihen, Netzwerke, Histogramme… Vor fünfzehn oder zwanzig Jahren hätte man in Artikeln über das Kino und die Musik, die Literatur und die bildende Kunst noch nichts davon gefunden. Die Visualisierung kultureller Daten ist es, was die digital humanities auf den ersten Blick von den älteren geisteswissenschaftlichen Verfahren unterscheidet. In seinem neuen Buch reflektiert Franco Moretti einige der stillschweigend geteilten, manchmal vielleicht nur unbewusst mitgeführten Prämissen dieser neuen Untersuchungspraxis - geleitet von der Überzeugung, dass diese Praxis sehr starke theoretische Voraussetzungen mit sich führt, die offen gelegt werden müssen. "Falsche Bewegung" bietet eine ebenso ehrliche wie anspruchsvoll-kritische Einschätzung der sogenannten "quantitativen" Wende in den Literatur- und Kulturwissenschaften, zu der der Autor selbst mit der Gründung des Literary Lab 2010 in Stanford einen entscheidenden Impuls gegeben hat. Seine Synthese, die die Wegmarken abschreitet, die nach und nach auf der Forschungsroute der hier versammelten Beiträge erreicht wurden, eröffnet neue Perspektiven auf das, was für die humanities an diesem strategischen Wendepunkt auf dem Spiel steht: Was hat der quantitative Ansatz erreicht, welche Erwartungen wurden (nicht) erfüllt und was geschieht mit der wissenschaftlichen Vorstellungskraft in den humanities, wenn Probleme der Statistik und Programmierung Fragen nach der Form in den Hintergrund drängen?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2022

Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel kennt ihren in Stanford lehrenden italienischen Kollegen als schillernden Theoretiker, der einerseits mit genauer Lektüre aus dem europäischen Roman eine Mentalitätsgeschichte des Bürgertums destillierte, anderseits zum Propagandisten des Distant Readings wurde. In seiner Studie "Falsche Bewegung" nun vollzieht er eine radikale Kehrtwende und erklärt das Projekt der "digital humanities" für gescheitert. Das überrascht Weigel nicht, die quantitative Literaturanalyse scheint ihr von vornherein allein einer fragwürdigen Drittmittelpolitik geschuldet gewesen zu sein. Dass Moretti sich so erstaunt über das Scheitern zeigt, verwundert die Rezensentin allerdings, als alter Marxist hätte er ahnen können, wie ttheoriearm ein quantitativer Zugriff sei. Auch als Kenner von Aby Warburg hätte er es besser wissen müssen. Schon Warburg kommentierte, wie Weigel zitiert, seinen eigenen gescheiterten Versuch, Symboltheorie mathematisch zu konzipieren: "Husarenstimmung aus Californien grämlichem Preußentum gewichen".
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