Hermann Lübbe

Modernisierungsgewinner

Religion, Geschichtssinn, Direkte Demokratie und Moral
Cover: Modernisierungsgewinner
Wilhelm Fink Verlag, München 2004
ISBN 9783770539420
Gebunden, 220 Seiten, 27,90 EUR

Klappentext

Kulturkritiker beklagen Säkularisierung, Moralverfall, Erinnerungsverluste und Gefährdungen demokratischer Selbstbestimmung durch Expertenherrschaft. Diese Klagen sind nicht grundlos. Wichtiger und interessanter sind gegenläufige Tendenzen. Just die Lebensvorzüge der modernen Zivilisation verschaffen denjenigen Lebensproblemen, auf die sich vernünftigerweise einzig religiös antworten lässt, zusätzliche Aufdringlichkeit. Sogar als politischer Faktor ist die Religion wieder präsent - auch im Westen. Je freier wir leben, umso wichtiger wird die Moral, und nicht zuletzt die Folgen misslingender moralischer Selbstbestimmung machen das sichtbar. Die Grundsätze der Moral erfreuen sich unwidersprechlicher öffentlicher Geltung, und gelegentlich verführt uns heute moralisierender Übereifer zu Gewissensaufrufen, wo es, statt an gutem Willen, an Sachkunde und technischer Könnerschaft mangelt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.04.2005

Georg Kohler begrüßt ausdrücklich die neue Aufsatzsammlung des Gegenwartsanalytikers Hermann Lübbe. Ihre Besonderheit, so Kohler, liegt darin, dass sie Modernisierung nicht "in erster Linie unter den negativen Vorzeichen eines Verlustgeschehens interpretiert", sondern stattdessen eine Reihe von "Modernisierungsgewinnern" diagnostiziert: Religion, Geschichtssinn, Direkte Demokratie und Moral. Diese vier Prinzipien profitieren bei Lübbe von der Dialektik gegenwärtiger Modernisierungsprozesse, was laut Auffassung des Rezensenten eine ebenso provokante wie anregende Behauptung darstellt. Sie werde jedoch verständlicher, wenn man Lübbes besonders Fortschrittskonzept in den Blick nimmt, in Kohlers Praphrasierung: Fortschritt "produziert nicht lediglich Anderes, sondern emphatisch 'Neues', d.h. Solches, was das Bekannte überbietet: neues Wissen, neue Ausdrucksformen, neue Chancen - und neue Schwierigkeiten". Fortschritt hat nicht den Verlust von Moral mit sich gebracht, sondern vielmehr eine ehrlichere Einsicht in ihre Notwendigkeit. Seine Empfehlung lautet: "Wieder einmal Lübbe lesen"!

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.10.2004

Mit diesem Essayband, so der Rezensent Ludger Heidbrink, macht Hermann Lübbe seinem Namen als "letzter großer Dialektiker der Weltgeschichte" alle Ehre. An drei Zeitphänomenen, so Heidbrink, verdeutlicht Lübbe, dass genau die Dinge sich verstärkt zurückmelden, von denen man glaubte, man habe sie im Zuge der Modernisierung überwunden. So antworte ein verstärktes und radikaleres Interesse am Religiösen auf die fortgeschrittene Säkularisierung der westlichen Welt; ebenso ergebe sich aus der erhöhten Schnelllebigkeit ein größeres Interesse am Vergangenen, das sich in intensiver Denkmalpflege niederschlage; und schließlich besinne man sich in Zeiten wachsender Globalisierung auf die Bedeutung des Regionalen. Der Rezensent hat offenbar nicht nur an der Feststellung, "dass die Gewinner der Modernisierung am Ende diejenigen sind, die von ihr überholt wurden", seine Freude, sondern auch am sprachlichen Ausdruck der zwölf Essays, die "schöne Begriffe wie 'Vergangenheitsvergegenwärtigungspraxis'" enthalten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.08.2004

Durchaus wohlwollend hat Rezensent Paul Nolte das neue Buch von Hermann Lübbe aufgenommen. Der als "neokonservativ" oder zumindest "wertkonservativ" geltende Philosoph stand laut Nolte vor zwanzig Jahren oft im Mittelpunkt öffentlicher Kontroversen, wobei insbesondere Jürgen Habermas als Hauptgegner fungierte. Im Vordergrund seines neuen Buches sieht Nolte eine skeptische Theorie von Moderne und Aufklärung. Lübbe frage nach den unvermeidlichen Kosten des Fortschritts und danach, wie die Menschen die Dynamisierung der modernen Welt aushalten und kompensieren können. Das Fragezeichen, das der Philosoph hinter Fortschritt, Aufklärung und Modernisierung setze, bilde auch bei seiner Beschäftigung mit den Themen Religion, Geschichtssinn und Direkter Demokratie den rote Faden. Insgesamt findet Nolte die Schlussfolgerungen des Philosophen "höchst interessant"; sie folgten keineswegs Klischees konservativer Modernekritik. "Auf jeden Fall muss man ihn kennen", resümiert Nolte im Blick auf Lübbes Skepsis gegen über der Moderne, "um solche Grundfragen diskutieren zu können."