Karl Ove Knausgard

Der Morgenstern

Roman
Cover: Der Morgenstern
Luchterhand Literaturverlag, München 2022
ISBN 9783630875163
Gebunden, 896 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Es ist Sommer in Norwegen. Eigentlich eine beschauliche, sonnengetränkte Zeit. Doch nun scheint etwas aus den Fugen geraten zu sein. Krabben spazieren an Land, Ratten tauchen an überraschenden Stellen auf, eine Katze kommt unter seltsamen Umständen ums Leben. Kurzum: Die Tiere verhalten sich wider ihre Natur. In seinem neuen Roman schildert Karl Ove Knausgård eine Welt, in der die Natur und die Menschen aus dem Gleichgewicht sind, obwohl das Buch eigentlich ganz realistisch vom Leben einiger Menschen, neun an der Zahl, während mehrerer Hochsommertage erzählt, und zwar in deren eigenen Worten. Da ist der Literaturprofessor Arne, der mit seiner Familie die Tage im Sommerhaus verbringt, an sich selbst zweifelt und mit seinem Nachbarn Egil über den Glauben an Gott diskutiert. Da ist die Pastorin Kathrine, die plötzlich merkt, dass sie ihre Ehe als Gefängnis empfindet. Da ist der Journalist Jostein, der auf einer exzessiven Trinktour von den mysteriösen Morden an Mitgliedern einer Death Metal Band hört, während seine Frau Turid in einer psychiatrischen Anstalt als Nachtwache arbeitet. Ihnen allen unerklärlich ist das Auftauchen eines neuen Sterns am Himmel, den auch die Wissenschaft nicht wirklich erklären kann. Ist er der Vorbote von etwas Bösem oder im Gegenteil die Verheißung von etwas Gutem?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.05.2022

Rezensent Aldo Keel stellt sich mit Karl Ove Knausgard die Frage nach dem Tod und seiner Wirklichkeit. Für Keel gelingt dem Autor mit diesem Buch der Ausbruch aus dem Kerker der Autofiktion. Stark findet Keel die Konzentration des massigen Textes auf zwei Sommertage in Bergen und das Erscheinen eines Himmelsphänomens, das die Menschen aus der Fassung bringt. Krebse fliegen und Tote erwachen zum Leben und Keel fühlt sich wie bei Stephen King. Oder wie bei einem spirituell gewordenen Knausgard.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.04.2022

Rezensentin Iris Radisch lässt sich (noch) nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen vom neuen Roman-Projekt des Norwegers Karl Ove Knausgard. Der Auftaktband ist für sie jedenfalls nicht viel mehr als ein messiehaftes Sammelsurium von "Mystery-Plunder" um einen Schicksalsstern und allerhand Wider- und Übernatürliches, das über eine Handvoll langweiliger Durchschnitts-Bergener hereinbricht, garniert mit Knausgardscher Ausführlichkeit über diese und jene Nebensächlichkeit, mit Alltagsphilosophie und spekulativer Theologie. Den "Superplan" der hinter all dem steckt, kann Radisch einstweilen noch nicht erkennen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.04.2022

Rezensent Matthias Hannemann vermag nicht zu entscheiden, ob Karl Ove Knausgards Roman von 2020 ein großer Wurf ist. Knausgards detailversessenes Schreiben, seine existenzialistisch geprägte Sprache und das Alltägliche des Beschriebenen nehmen Hannemann allerdings wiederum gefangen. Wenn der Autor gewöhnliche Menschen wie den Literaturprofessor Arne, die Pastorin Katherine oder die OP-Schwester Solveig mit dem Übersinnlichen konfrontiert, assoziativ, bedeutungsheischend, fragmentarisch, und doch auf zarte Weise miteinander verbunden, scheint Hannemann jedoch auch oft frustriert zu sein, weil der Text und seine eigenen Gedanken ihn immer wieder in die Irre leiten. Vielleicht lässt sich im Fortgang des neuen Roman-Zyklus sagen, ob es sich um etwas Großes handelt, meint er.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.04.2022

Rezensent Peter Urban-Halle freut sich, dass Karl Ove Knausgård nach seinem autobiografischen Großprojekt "Min Kamp" literarisches Neuland beschreitet - nämlich fantastisches. In der norwegischen Stadt Bergen steht plötzlich ein neuer Stern am Himmel, und darunter spielen sich allerlei Lebenskrisen ab: eine Pastorin, die vom Glauben abfällt, ein frustrierter Journalist und Alkoholiker, eine manisch-depressive Ehefrau, eine überqualifizierte Kassiererin. Die großen Fragen nach Leben und Tod, Glauben und Wissen und nach Verheißung und Apokalypse verhandle Knausgård dabei ohne jegliche Esoterik, findet Urban-Halle, sondern in "unprätentiösem" und "klarem" Stil. Den Vorwurf des "literarischen Manspreadings" kann der Kritiker nicht verstehen; er sieht männliche und weibliche Figuren hier gleichermaßen differenziert gezeichnet und lobt auch Knausgårds hohes Maß an Selbstreflexion.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.04.2022

Rezensentin Johanna-Charlotte Horst empfiehlt den neuen Knausgård Roman allen Fans genauso wie denen, die nicht am Privatleben des Autors interessiert sind. Diesmal habe der norwegische Autor mit einigen Gewohnheiten gebrochen und teilt die Ich-Erzählstimmen zwischen neun Personen auf, die von ihrem Alltag berichten. Der steht unter einem unguten Stern - im wahrsten Sinne, denn ein neuer Stern schwebt wie ein Damoklesschwert über den Dorfbewohnern, wird für kuriose Begebenheiten verantwortlich gemacht und führt doch nie zur befürchteten Apokalypse, resümiert die Rezensentin. Diese "epische, präzise" Erzählung birgt einiges an Bezügen zur aktuellen Lage, bemerkt Horst mit Blick auf die Klimakrise, die Kriege und die Pandemie. Berauscht von der typischen "Poetik des Rohen" Knausgårds, löst sich die Rezesentin nur schwer von den Seiten. Dieser Sog wird jedoch vom Ende abgebremst, bedauert Horst, denn die essayistischen Erläuterungen einer Figur über Tod und Grenzen des Schreibens entwickeln für sie nur "flachen Tiefsinn". Trotzdem füge sich dieser Roman mit dieser Thematik ganz wunderbar in das Gesamtwerk des Autors ein, so die Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.04.2022

Rezensent Tobias Rüther empfiehlt den neuen Roman von Karl Ove Knausgard den Fans des Norwegers und dessen umfangreichen, grandios "verlaberten" Texten. Wie Knausgard diesmal die Ankunft des Jüngsten Gerichts aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, vom Kita-Mitarbeiter Emil, der Kassiererin Iselin, dem Journalisten Jostein, dem Bibelforscher Egil und einigen anderen Menschen am Fjord, das findet Rüther bei aller Düsternis wieder einmal erstaunlich unterhaltsam. Als Collage aus Erzählung und Essay um die Fragen nach Tod, Körper und Traum reißt ihn der Text mit. Vor allem die Beiläufigkeit dieser "Meditation einer Endzeiterfahrung" hat Rüther fasziniert.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.04.2022

Obwohl Rezensentin Julia Lorenz um den Vorwurf des "literarischen Manspreadings" weiß, den Karl Ove Knausgård sich von der Kritik eingehandelt hat, ist sie erst einmal fasziniert von seinem neuen Roman. Knausgard erzeugt eine eine schwelende Stimmung des Unheils in der dystopischen Geschichte über einen am Himmel erscheinenden Feuerball, der die Welt aus den Fugen bringt, lobt sie. So versiert erzählt Knausgård, dass Lorenz anfangs nur die etwas gröber gezeichneten Frauenfiguren störend auffallen. Dann jedoch stellt sie fest, "auf wessen Kosten" diese ganze Spannung geht: auf die Bewohner eines Behindertenheims zum Beispiel, die als "ständig onanierend" und böse dreinblickend dargestellt werden, oder auf seine Exfrau, deren bipolare Störung hier wieder als Vorlage für eine zur Schreckensgestalt verzerrten Frauenfigur diene, und überhaupt auf alle Figuren, weil sie zu "demonstrativ unheimlichen Statisten" reduziert würden. So wenig moralische und ästhetische Ambivalenz findet Lorenz hier, dass sie sich am Ende der Bilanz der Autorin Berit Glanz anzuschließen scheint: Ein "ausbeuterisches" Schreiben betreibe Knausgård.