Michel de Montaigne

Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581

Cover: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783821807256
Gebunden, 433 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Übersetzt, herausgegeben und mit einem Essay von Hans Stilett. Neun Jahre lang saß Michel de Montaigne in seinem berühmten Turm und schrieb an den Essais - kaum waren sie 1580 erschienen, da machte er sich auf zu einer großen Reise in die Schweiz, Deutschland und Italien. Und auch dabei hatte der knorrige Eigenbrödler seine Eigenheiten. Was er am meisten hasste, war, durch irgendein ortsunübliches Verhalten auffällig zu werden - und so passte er sich den jeweiligen Sitten an. Er spart sich weitläufige Berichte über die gewöhnlichen Sehenswürdigkeiten und beäugt mit der ihm eigenen Unvoreingenommenheit die täglichen Sitten und Gebräuche der fremden Kulturen, wägt Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lebensweisen ab. Berichte über Hermaphroditen, über Ehen zwischen Lesben und Schwulen oder über die von den Schweizern beklagte allgemeine Sittenverderbnis findet er ebenso spannend, wie ihn die Koch- oder Tischsitten in Süddeutschland faszinieren. Er gibt öffentliche Bälle und stiftet Preise für die besten Tänzerinnen, in Venedig und Florenz studiert er eingehend die Bordelle, er erlebt Hinrichtungen und Teufelsaustreibungen und beobachtet ein jüdisches Beschneidungsritual.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2002

Heinz Schlaffer hat die Lektüre der Bäderreise von Montaigne durch Italien, Deutschland und die Schweiz Ende des 16. Jahrhunderts nicht als "reines Vergnügen" genossen. Zwar hat er in dem Tagebuch, das sich kaum mit Kunst und dafür umso mehr mit den körperlichen Gebrechen des Schreibenden und mit den Kuriositäten, Sitten und Gegebenheiten der bereisten Länder beschäftigt, allerlei interessante Eintragungen gefunden. Auch ist er von den Beobachtungen des französischen Schriftstellers beeindruckt, die die Tugenden des wahren Reisenden, nämlich "Aufmerksamkeit und Gelassenheit" demonstrierten. Doch sind diese interessanten Bemerkungen zwischen eher ermüdenden Beschreibungen der Reisebewegung verstreut, beklagt sich der Rezensent. Dass der Verlag diese "trockenen Passagen" durch eine übertrieben prächtige Aufmachung vergessen machen will, findet Schlaffer genauso unangemessen wie das euphorische Nachwort des Übersetzers. Die Übersetzung kritisiert er zudem als allzu "flott" und unpassend neudeutsch, wofür er einige sprechende Beispiele anbringt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.10.2002

An Reflektionskraft seien die "Essais" Montaignes seinem Reisetagebuch überlegen, gesteht Angelika Friedl, dennoch beweise die von Hans Stilett besorgte Neuübersetzung, dass Montaigne ein sprachgewandter und -gewaltiger Autor war, der gutes Essen und eine einfache und natürliche Sprache liebte. Teilweise gemahnt Friedl das Reisetagebuch aus dem Jahr 1580 an die Reiseführer von heute: zu jedem Dorf wird der Gasthof und die Qualität des Essens notiert. Über den Anlass der "italienischen" Reise Montaignes weiß man wenig, erzählt Friedl, als ein Motiv für diese Bäderreise vermutet man ein Nierenleiden Montaignes. Über die Welt der Bäder und Gasthöfe hinaus leiste sein Buch mehr als ein Reiseführer: es beschreibe einerseits die Landschaften, die er sieht, distanziere sich aber gleichzeitig vom Gesehenen, schreibt die Rezensentin. Montaigne ziehe stattdessen Vergleiche zur Antike, zu Frankreich, das ihm, augenfällig genug, zusehends unsympathischer wirkt, je näher er ihm bei der Rückreise rückt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.10.2002

Während Petrarca in seinem Reisebuch zum Heiligen Grab noch behaupten konnte, ein Autor müsse die Länder, die er beschreibt, nicht mit eigenen Augen gesehen haben, wurde die Reiseliteratur zwei Jahrhunderte später zur Erfahrungsliteratur, weiß Rezensent Dieter Richter. Darin kann es nach seiner Auffassung keiner der älteren Reiseberichte mit Montaignes "Journal de Voyage" aufnehmen, das nun in einer neuen, vollständigen Übersetzung von Hans Stilett vorliegt. Die Vielzahl von ebenso genauen wie farbigen Beobachtungen machen aus Montaignes Reisebuch eine "lebendige Quelle der Kulturgeschichte", freut sich Richter. Der empirische Blick des Philosophen gelte dabei nicht nur der umgebenden fremden Welt, sondern auch dem eigenen fremden Körper. Denn Montaignes Reisebuch ist zugleich ein Krankentagebuch, die Mitteilung seiner körperlichen Befindlichkeiten zieht sich als roter Faden durch das gesamte Buch, erläutert Richter. Montaigne versäumte keine Gelegenheit, sich Trink-, Bade- oder Schwitzkuren zu unterziehen. Zwar fand er auf seiner Reise nicht das Heilmittel gegen seine Nierenkolik, hält der Rezensent fest. Doch wie Montaignes Sekretär berichtet, fühlte sich der Philosoph nie so gut wie auf dieser Reise. Das beste Heilmittel war das Reisen selber.