Norbert Gstrein

Der zweite Jakob

Roman
Cover: Der zweite Jakob
Carl Hanser Verlag, München 2021
ISBN 9783446269163
Gebunden, 448 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

"Natürlich will niemand sechzig werden." Damit beginnt Jakobs Lebensgeständnis. Dem bekannten Schauspieler, über den ein Verlag eine Biografie plant, graust es vor dem Kommenden. Da stellt ihm seine Tochter die Frage, die alles sprengt: "Was ist das Schlimmste, das du je getan hast?" Jakob erinnert sich an einen Filmdreh an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Die Morde an Frauen und das Elend dort bekam er bloß distanziert mit - aber zwei Mal war er plötzlich mittendrin. Er schämt sich, ringt mit den simplen Urteilen der Welt und sehnt sich in gleißenden Erinnerungen nach dem Glück. Warum ist er kein Original, sondern stets nur "der zweite Jakob"?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.10.2021

Als ziemlich unangenehm empfindet Rezensentin Judith von Sternburg die Lektüre von Norbert Gstreins für den Deutschen Buchpreis nominiertem Roman. So stehe man als Leser der Geschichte um einen Schauspieler, der vornehmlich als Frauenmörder gecasted wird und früh Zweifel an der eigenen Selbstdarstellung äußert, von der ersten Seite an misstrauisch gegenüber - was stimmt hier, und steckt nicht vielleicht doch etwas von der Rolle in ihm selbst, fragt die Kritikerin sich. An der Vertuschung eines Unfalltodes war der Protagonist einst zumindest beteiligt, wie sie später erfährt. Aber von einer bequemen Kriminalhandlung keine Spur - stattdessen ein selbst für Gstrein besonders "rigoroser" Roman, der Sternburg "einsam" und hilflos zurücklässt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.10.2021

Rezensentin Judith von Sternburg sieht Gespenster mit Norbert Gstreins neuem Roman. So richtig angenehm ist ihr die Lektüre nicht. Das liegt schon am Protagonisten, der Sternburg weder zuverlässig erscheint noch geheuer. Ein Schauspieler, der sich als  Vertuscher eines schrecklichen Unfalls zu erkennen gibt (oder war seine Rolle dabei doch tragender?), ein Erzähler, dem man nicht glaubt. Den Gefallen, den Text als Krimi zu gestalten, tut der Autor der Rezensentin auch nicht. Eigenwillig ist das Buch aber allemal, findet Sternburg.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.09.2021

Rezensent Hubert Spiegel fragt sich, wie der Autor das macht. Norbert Gstreins neuer Roman erscheint dem Rezensenten fast unwahrscheinlich mit seiner waghalsigen Erzählkonstruktion und der Vielzahl an Themen, Motiven, Orten und Verweisen. Dass es Gstrein dennoch gelingt, das Viele zu bündeln und sogar eine nachvollziehbare Vater-Tochter-Geschichte zu erzählen mit einer Hauptfigur (Tiroler, Schauspieler), die laut Spiegel sowohl etwas von Gstrein selbst als auch eine Menge von früheren Romanfiguren des Autors hat, findet der Rezensent sagenhaft. So unzuverlässig dieser Protagonist ist, der im Zuge der Handlung retrospektiv eigene Verfehlungen auf- und auch wieder zudeckt, so fasziniert ist Spiegel von ihm.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.04.2021

Für Rezensent Hubert Winkels hat sich Norbert Gstrein mit diesem Buch ein feines Geburtstagsgeschenk zum 60. gemacht. Derart jugendlich wild und gekonnt antirealistisch erzählt der Autor eine zwischen Tirol und New Mexico spielende Geschichte über einen schauspielernden Outlaw mit Schuldkomplex. So, dass Winkels recht bald nicht mehr weiß, was daran wahr, was bloß ausgedacht ist. Dazu passt die Rahmenhandlung: Biograf interviewt Protagonisten. Dass am Ende nicht mal der Tod sicher ist, verblüfft und unterhält Winkels gleichermaßen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 20.03.2021

Vorsicht, warnt Rezensent Helmut Böttiger. So harmlos, wie der Roman am Anfang tut, ist er nicht. Das liegt vor allem an der Hauptfigur, dem Schauspieler Jakob Thurner, der, obwohl er immer aus der Ich-Perspektive erzählt, in jeder Episode ein anderer zu sein scheint. Familienprobleme und Schwierigkeiten am Dreh-Set an der amerikanisch-mexikanischen Grenze tauchen auf, erfahren wir, Thurner wird immer undurchsichtiger und unsympathischer. Der Begeisterung für den Roman tut das jedoch keinen Abbruch, versichert der Rezensent. Er lobt das Buch als großen Künstlerroman und "funkelndes literarisches Vexierspiel".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.02.2021

Rezensent Roman Bucheli erfährt bei Norbert Gstrein, dass niemand Herr seiner eigenen Geschichte ist, weder im Jetzt noch betreffend die Vergangenheit. Gestreins Held, ein alternder Schauspieler mit einem dunklen Geheimnis, regt Bucheli mächtig auf, weil er so ein Jammerlappen ist und er alles, was er anfasst, verbockt. Dass Bucheli seiner Geschichte dennoch folgt, bis Gstrein seine Figur quasi in Grund und Boden geschrieben hat, liegt am Tempo, an der dichten Struktur der Story und an ihrer Beiläufigkeit, die Bucheli für kunstvoll hält.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.02.2021

Ist Hilmar Klute nun erschüttert oder begeistert von diesem Roman, den er ausführlich nacherzählt und in seinen Motiven auf den vorigen Roman des Schriftstellers, "Als ich jung war", bezieht? Auf jeden Fall hat ihn die darin steckende Wut, wohl auf die "Gegenwart" in toto, einigermaßen umgehauen. Daneben hat ihn auch das Spiegelkabinett der Anspielungen und literarischen Verweise fasziniert, das immer wieder auch zu einem Spiel mit biografischen, selbstbezüglichen Elementen wird. Die Geschichte eines alternden Schauspielers, der sich mit seiner Tochter und einer Lebensschuld herumschlägt, ist für diesen Kritiker in ihrer komplexen Konstruktion jedenfalls auch eine Art künstlerische Selbstverortung - und überhaupt eine "Kunstleistung", was ein kleines bisschen ambivalent gemeint sein könnte.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 15.02.2021

Rezensent Christoph Schröder führt in einer ausführlichen Besprechung das  komplexe Handlungsfeflecht vor Augen, das Norbert Gstrein in seinem neuen Roman ausbreitet. "Der zweite Jakob" erzählt vom erfolgreichen Innsbrucker  Schauspieler Jakob Thurner, dem kurz vor dem sechzigsten Geburtstag ein Biograf zu Leibe rückt, und auf einer zweiten Zeitebene von Dreharbeiten im Süden der USA, an der Grenze zu Mexiko in den achtziger Jahren. In diesen letzteren, atmosphärisch sehr suggestiven Passagen fühlt sich der Rezensent an die Filme von David Lynch erinnert. Dank Gstreins stilistischer Eleganz und melodiöser Sprache merke der Leser gar nicht, warnt der Rezensent, welch Ungeheuerlichkeiten ihm da in "Schönheit und Raffinesse" untergejubelt werden. Doch was Gstrein eigentlich wolle, erkennt Schröder auch: Im Grunde sei der Roman ein "groß angelegtes Identitätsauslöschungsprogramm", ein Gegenprogramm zu den identitätspolitischen Debatten, die den Menschen auf Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht festlegen wollen, glaubt Schröder: Ein Roman, der auf Menschlichkeit beharrt.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 13.02.2021

Rezensent Richard Kämmerlings sieht in Norbert Gstreins neuem Roman alles andere, nur kein Alterswerk. Wie der Autor einmal mehr einen unzuverlässigen Erzähler einführt, einen Schauspieler in diesem Fall, der sein Leben Revue passieren lässt und damit eine tief sitzende Schuldfrage und Lebenslüge, scheint Kämmerlings lesenswert. Gstreins Rekonstruktionen sind für ihn kammerspielartige Preziosen, kriminalistische Verhöre, die den Leser immer wieder mit neuen Wendungen überraschen. Das erinnert Kämmerlings an Max Frisch, noch mehr aber an Gstrein.

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