Peter Nadas

Schauergeschichten

Roman
Cover: Schauergeschichten
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022
ISBN 9783498002282
Gebunden, 576 Seiten, 30,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer. Im Verlauf weniger Tage begegnen uns namenloses Elend, Schwäche, Abhängigkeit und Gewalt, in einer Welt, die an Céline und Tschechow erinnert, in der Sprache sich in ihr Gegenteil verwandelt, die Unfähigkeit zu sprechen. Rohe Gier und plötzliche Großmut wechseln einander ab, während dämonische Triebkräfte die Leben der Menschen chaotisch steuern. Dabei fließt die Erzählung ruhig dahin, schlägt Bögen, versammelt immer mehr Orte und Akteure und trägt uns ohne Aussicht auf Rettung einem alles umfassenden Unheil zu. 

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 01.11.2022

Sehr wort- und zitatreich bespricht Wolfgang Schneider den neuen Roman von Peter Nadas, den er dennoch nicht ohne Einschränkungen empfiehlt. Wenn ihn Nadas hier in ein ungarisches Dorf der Sechziger entführt und dabei ein Gemälde wie von Hieronymus Bosch entwirft, spürt der Kritiker auf jeder Seite den Satan wüten. Ob eine dauerfurzende und bellende Hilfsarbeiterin es mit dem ganzen Dorf hinterm Plumpsklo treibt, eine Zwergin einen bösen Athleten gebiert oder die Dorfbewohner wüst und obszön über die Kollektivierung fluchen - stets regiert "die rohe Libido", das "Kranke und Defizitäre", bemerkt der Kritiker, der das Buch auch als "Inklusionsroman" liest. Nadas Kunst, das "Groteske" zu zeichnen, sein Gespür für Psychologie, die sinnliche Sprache und die Wucht der Bilder beeindrucken Schneider einmal mehr. Dennoch hält der Autor den Kritiker nicht über die knapp sechshundert Seiten bei der Stange: Die Spannung lässt nach, mitunter wird auch viel "gebrabbelt", seufzt er. Heinrich Eisterer bewältigt die Übersetzung souverän, der Rhtyhmus der Sprache bleibt erhalten, das Melodische des Ungarischen leider nicht, schließt Schneider.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2022

Rezensent Lothar Müller fühlt sich an den "roman fleuve" erinnert mit dem neuen Roman von Peter Nadas. Keine Kapitel, dafür Dialoge, Dialoge. Dazu mythische Elemente, hinter denen Müller den Kern des Textes vermutet: das Wünschen und Sehnen der Figuren. Nadas' in der Gegend um die Donauinsel Szentendre spielender horrorhaltiger "Dorfroman" begeistert Müller aber auch durch seine sprachliche Wucht und seine Musikalität. Das Dorf als Chor und Sprachkosmos, aus dem einzelne "Oberstimmen" ragen, so erlebt Müller das Panorama, in dem es nicht zuletzt um die Bändigung des Bösen geht, wie er feststellt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.2022

Hymnisch bespricht Rezensent Hubert Spiegel den lang erwarteten neuen Roman von Peter Nadas. Knapp sechshundert Seiten Trostlosigkeit und wenig liebreizendes Personal, keine Kapiteleinteilung und erst zum Ende kommt Tempo auf - der Kritiker ist sofort gebannt. Mitgerissen vom Bewusstseinsstrom des Textes blickt Spiegel nicht nur in ein ungarisches Dorf um 1960, in dem Lüge, Habgier und Missgunst regieren, sondern auch direkt ins Innerste der Figuren. Vor allem ist es die alte Teres Varnagy, die den Rezensenten fasziniert: Von ihrer adligen Familie einst wegen eines Fehltritts verstoßen, zeitlebens im Dienst fremder Herren, brabbelt sie heute nur noch boshaft vor sich hin, wird vom Dorf geschmäht, kümmert sich aber liebevoll um die geistig behinderte Tagelöhnerin Rosa. Eine "unvergessliche Frauengestalt", staunt Spiegel, der aber auch den Rest des vom Schicksal gebeutelten Personals ins Herz schließt. Vor allem aber bewundert er Nadas' genaue Beobachtungsgabe, sein "feines Ohr", das auch Ungesagtes wahrnimmt, auch wenn er seine Figuren noch so viel schimpfen und fluchen lässt. Das grandiose Finale und die brillante Übersetzung von Heinrich Eisterer vollenden den Roman, schließt der Rezensent, der nebenbei auch Nadas pünktlich zu dessen Achtzigstem erschienenen Essay "Schreiben als Beruf" empfiehlt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2022

Gleich zwei Ausstellungen mit Fotografien von Peter Nadas sind derzeit in Frankfurt zu sehen, Rezensentin Iris Radisch trifft sich mit Nadas vor Ort, um in dessen Kosmos zu tauchen und einem der "virtuosesten Autoren seiner Zeit" zu huldigen. Aber so viel vorweg: Nach dem Gespräch kann uns Radisch erläutern, wo genau der Gegenwartsbezug des Romans, den ihre Kritikerkollegen nur erwähnen, genau liegt: Nadas führt uns in ein ungarisches Dorf während des Kadar-Regimes, um zur "ungarischen Realität" zurückzukehren, zu den Orban-Wählern, erläutert er ihr. Und so begegnet die Kritikerin hier den "Vorboten des Orbanismus", abgehängten Landarbeitern, die in heftiger Fäkalsprache fluchen, eine Sprache, die Heinrich Eisterer leider etwas fad ins Deutsche überträgt, räumt die Kritikerin ein. Davon abgesehen ist der Roman aber auch für Radisch ein Meisterwerk: In den Bann gezogen von den vielen grotesken Figuren und der Sphäre des "Obszönen", erfährt die Rezensentin allerhand aus dem "kollektiven Unbewussten" Mittel-Osteuropas, aber auch über die "dunkle Sehnsucht seiner Intellektuellen nach Selbstauslöschung", wie sie schreibt. Ein hemmungs- und gnadenloser Roman, der "verstört", schließt sie zufrieden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.10.2022

Rezensent Paul Jandl sieht Peter Nadas mit seinem neuen Roman "Schauergeschichten" ganz auf der Höhe seiner Kunst. Ein "Wimmelbild" à la Hieronymos Bosch eröffnet sich dem Kritiker hier, der sich von Nadas in die sechziger Jahre der Janos-Kadar-Ära in Ungarn entführen lässt und zwischen Budapester Ritz und archaischem Landleben pendelt. Jandl begegnet hier einer Zwergin, die einen gewalttätigen Riesen gebärt, einer "dauerfurzenden", aber warmherzigen Tagelöhnerin, Exorzisten und Dorfhirten, die "schwängernd über die Flure" ziehen. Gebannt lauscht der Kritiker zudem den Dialogen, die die Figuren in diesem "barocken" Panorama über die Welt führen und in denen Nadas verschiedenste Diskurse aufeinanderprallen lässt, wie Jandl versichert, ohne dies näher zu erläutern. Er liest hier einen "hochintellektuellen Thesenroman" voller überschäumender Kraft und bei aller Enthobenheit der Zeit auch einen sehr aktuellen Text, kurz: "große Kunst".