Dincer Gücyeter

Unser Deutschlandmärchen

Roman
Cover: Unser Deutschlandmärchen
Mikrotext Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783948631161
Gebunden, 216 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

"Unser Deutschlandmärchen" ist eine Familiengeschichte in vielen Stimmen. Frauen mehrerer Generationen und der in Almanya geborene Sohn erinnern sich in poetischen, oft mythischen, kräftigen Bildern und in Monologen, Dialogen, Träumen, Gebeten, Chören. Dinçer Güçyeter erzählt vom Schicksal türkischer Griechen, von archaischer Verwurzelung in anatolischem Leben und von der Herausforderung, als Gastarbeiterin und als deren Nachkomme in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Die Handlung, die sich vom Anfang des letzten Jahrhunderts bis beinah in die Jetztzeit erstreckt, lässt nichts aus, keine Vergewaltigung, kein Missverständnis, keinen Konflikt am Arbeitsplatz, ganz gleich ob in der Schuhfabrik, beim Bauern auf dem Feld oder in der eigenen Kneipe. Und dann ist da noch die Erwartung der Mutter an den heranwachsenden Sohn, der ihr als starker Mann zur Seite stehen soll, selbst jedoch eine gänzlich andere Vorstellung von einem erfüllten Leben hat …

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.04.2023

Für die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse drückt Rezensent Paul Jandl dem nominierten Dinçer Güçyeter und seinem ersten Roman die Daumen: Güçyeter habe, selbst Sohn türkischer Gastarbeiter, die Geschichte migrantischer Utopien und Hoffnungen geschrieben, die allzu oft niedergeschmettert wurden. Eine Geschichte, erklärt Jandl, die viel mit dem Leben des Autors gemeinsam hat, die aufzeigt, wie toxische Männlichkeit und das Schweigen der überarbeiteten, sich aufopfernden Mutter ineinanderwirken und verhindern, dass die neue Heimat Deutschland zum erhofften Paradies wird. Den Kritiker beeindruckt dabei vor allem das Spiel mit Sprache: Sprachlosigkeit, Sprachfindung und Sprachwerdung finden in der Figur des Protagonisten zusammen, der als einziger in der Familie gut Deutsch spricht und deswegen bei allen Terminen "wie eine Aldi-Tüte mitgeschleppt" wird. Der Lyriker Güçyeter hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben, das Rebellion und Märchen zugleich ist, schließt Jandl.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.04.2023

Rezensent Ronald Düker applaudiert diesem Roman von Dinçer Güçyeter, den sie als Porträt seiner von Anatolien nach Deutschland eingewanderten Familie liest. Es geht um die Kindheit des Autors in einem ruppigen Industriearbeiter-Umfeld, beide Eltern haben als Gastarbeiter harte Jobs und kaum Freizeit oder Geld. Auch Dinçer muss bald in der Fabrik arbeiten, so Düker, aber mit dem Bier- und Pornokosmos seiner Kollegen kann er sich nicht identifizieren, lieber liest er Dostojewski, was ihm in der Gemeinde den Ruf als "Schwuchtel" einbringt. Der Kritiker weist darauf hin, dass die Bezeichnung als "Roman" der vielfältigen Gestaltung des Textkorpus nicht ganz gerecht wird, der von Theaterdialog über "expressionistisch-bebende" Lyrik zu nüchtern beschreibender Prosa reicht. Die literarische Qualität der Geschichte besteht laut Rezensent auch in der Vielstimmigkeit des Textes: Der Autor greift hier vor allem die weibliche Perspektive auf, den "Chor der duldend schweigsamen Mütter", die ihren Männern dabei zusehen müssen, wie sie das hart erarbeitete Geld verjubeln.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.02.2023

Wie Dinçer Güçyeter die westdeutsche Einwanderungspolitik in Literatur transformiert hat, wird zu Recht bejubelt, schwärmt Rezensentin Karen Krüger. 62 Jahre nach dem sogenannten "Anwerbeabkommen" erfährt sie durch den stark autofiktionalen Roman des Peter-Huchel-Preisträgers 2022 ein großes Lese-Glück. Einzigartig sei Güçyeters messerscharfes Sezieren, wie die ersten Arbeitsmigranten in die BRD reisten ohne je wirklich anzukommen - und darüber jahrzehntelang geduldig schwiegen. Fasziniert ist Krüger auch vom außergewöhnlichen Aufbau dieses perspektivreichen Familienromans mit seinen eingewobenen, genreübergreifenden Elementen Gedicht und Gebet. Dieses "eigenwillige, raue Buch" müsse man unbedingt lesen, ist die Rezensentin überzeugt.   
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 25.11.2022

Rezensentin Julia Schröder findet Dincer Gücyeters Roman ungewöhnlich und überraschend, so gar nicht wie andere von der Kindergeneration geschriebene Einwanderergeschichten. Wie der Autor vom Aufwachsen in zwei Welten erzählt, von der Suche nach Heimat und Identität, persönlich, in wechselnden Tonlagen, scheint Schröder lesenswert. Das lyrische Talent des Autors schlägt sich laut Schröder auch in der Prosa nieder als Rap-Collage, Bilderreichtum und Verdichtung, erklärt sie.