Peter Sloterdijk

Was geschah im 20. Jahrhundert?

Unterwegs zu einer Kritik der extremistischen Vernunft
Cover: Was geschah im 20. Jahrhundert?
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518425077
Gebunden, 348 Seiten, 26,95 EUR

Klappentext

Peter Sloterdijk knüpft mit den sechs in diesem Bund vereinten, thematisch verbundenen Essays an seine monumentale Trilogie 'Sphären' an: In ihr ging es um nicht weniger, als um eine Explikation der Entwicklung der Menschheitsgeschichte anhand dieses atmosphärisch-ökologischen Konzepts. Es erlaubt Sloterdijk, das 20. Jahrhundert in ebenso radikaler wie überrachender Weise neu zu beschreiben. Sloterdijk analysiert diese Ära als eine Zeit der Erfüllungen: Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der triumphierenden Ungeduld, die zu allem fähig ist; es ist das Jahrhundert des sofortigen Vollzugs, in dem das Standrecht der Maßnahmen sich an die Stelle von Geduld, Vertagung und Hoffnung setzt. Diese Epoche kannte nie ein Prinzip Hoffnung, sondern immer nur ein Prinzip Sofort, das sich aus zwei kooperierenden Größen zusammensetzte, dem Prinzip Ungeduld und dem Prinzip Gratis. Diesen Prinzipien werden leitende Motive: Es geht von jetzt an immer darum, zu arbeiten, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Jede Anstrengung hat nur noch einen vorläufigen Charakter. Man ist zum letzten Mal geduldig, um endlich, nach dem großen Fund, nie mehr geduldig sein zu müssen. Der tiefste Traum Europas ist die Arbeitslosigkeit, die aus dem materiellen Wohlstand entspringt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.03.2016

Dirk Pilz stellt beinahe irritiert fest, dass die Texte in Peter Sloterdijks Buch viel klüger seien als seine Wortmeldungen in der Presse. In einem der erhellendsten Aufsätze etwa, meint Pilz, schreibe Sloterdijk von einem "Zeitalter der Gegenentdeckungen" und der "moralischen Gesamtverantwortung" Europas, während er in den Medien mit Begriffen wie "Überrollung" und "Flutung" hantierte. Allerdings seien auch die Widersprüche im Aufsatzband selbst riesig, bemerkt Pilz. Manche Texte Sloterdijks seien so simpel, dass sie eine "Beleidigung seiner analytischen Vernunft" darstellten. Der Rezensent befürchtet, der Denker habe sich in seinem eigenen Theoriedschungel verlaufen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.03.2016

Nach Lektüre dieser Sammlung verstreuter, teils "brillanter" Schriften lässt sich Peter Sloterdijk nicht mehr so ohne weiteres in neurechten Fraktionen verorten, wie dies vor kurzem nach seinem umstrittenen Cicero-Interview geschehen ist, schreibt Rezensent Ingo Arend, der den Befund "Verdacht auf philosophisch-publizistische Schizophrenie" äußert. Schließlich formuliere Sloterdijk hier mitunter (wenn auch nicht durchweg) deutlich sensibler, politisch weit weniger anrüchig und präziser seine Analysen der Gegenwart, die sich nach Ansicht des Kritikers auch mit weniger für Turbulenzen sorgenden Überzeugungen in Einklang bringen lassen. Dem Philosophen selbst rät der Kritiker unterdessen, vor dem nächsten, überschäumenden Lob auf Grenzen und Zäune doch einfach bei sich selber nachzulesen: Insbesondere in der Raumfahrt sehe Sloterdijk selbst schließlich das Potenzial zum "Weltgewissen", gibt Arend an die Adresse des Autors zu denken.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.03.2016

Gustav Seibt verzeiht dem genialen "Riesenkind" Peter Sloterdijk jede noch so irre Metapher und jeden noch so waghalsigen Begriffsbogen. Schließlich bietet ihm der Autor in den hier versammelten Aufsätzen "schön geschriebene" Betrachtungen zu Heidegger, Sphärenwalzer und jede Menge Fakten und kluge Diagnosen betreffend das vergangene Jahrhundert. Sloterdijks Hauptthese einer auf Basis des Steuerstaates gelungenen Lebensentlastung, scheint Seibt Freude zu machen. Zumal der Autor sich mit Rolf-Peter Sieferle auf einen laut Seibt wichtigen Gewährsmann beruft. Dass Konsum statt Arbeit nicht unbedingt Levitation bedeutet, wie es hier suggeriert wird, steht wohl auf einem anderen Blatt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.03.2016

Die FAZ hatte die gute Idee, den Historiker Andreas Rödder, Autor des viel besprochenen Bandes "21.0 - Eine kurze Geschichte der Gegenwart", zur Rezension des neuen Sloterdijk zu bitten. Er setzt sich dann auch in einem nicht allzu langen Artikel sehr intensiv mit den "unkonventionellen Assoziationen, überraschenden Analogien und originellen Perspektiven" des umstrittenen Denkers auseinander. Für einen Historiker erscheint Sloterdijks Mäandern zwar reichlich spekulativ, aber Rödder gibt zu, dass es ihm ebenso viel Bewunderung wie Skepsis abringt. Besonders befasst sich Rödder mit den von Sloterdijk aufgerissenen ökologischen Perspektiven: Wie Sloterdijk mahnt er eine "Kritik der prophetischen Vernunft" an: Die Bewahrung der Menschheit vor den ökologischen Katastrophen dürfe nicht in totalitäre Muster führen. Sloterdijk scheint durchaus auch optimistisch auf technische Bewältigungen der Gefahren zu setzen - liegt hiermit aber noch weit entfernt von aktuellen Debatten, schließt Rödder, den die Lektüre des Bandes merklich mitgerissen hat.
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