Raschid al-Daif, Joachim Helfer

Die Verschwulung der Welt

Rede gegen Rede. Beirut - Berlin
Cover: Die Verschwulung der Welt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518124772
Kartoniert, 199 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

aus dem Arabischen von Günter Orth. Mit einem Nachwort von Joachim Sartorius. Der libanesische Autor schreibt ein Protokoll, dessen Gegenstand sein deutscher Kollege ist - und zwar als Privatperson. Er kommentiert dessen gleichgeschlechtliche Lebensweise, beschreibt Ansichten zu Sexualität, Liebe und Moral, die ihm fremd sind. Der deutsche Autor reagiert darauf mit radikaler Offenheit, schildert die Begegnung aus seiner Sicht und zeigt am Text des libanesischen Kollegen dessen eigene, zwischen Tradition und Moderne hin und her gerissenen Vorstellungen von Männer- und Frauenrollen auf. Am Ende macht der auf beiden Seiten mit dem Mut zur Selbstentblößung geführte Dialog erschreckend deutlich, wie sehr im Verhältnis zwischen Orient und Okzident das Private das Politische ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.08.2007

Als "Lehrstück west-östlicher Missverständnisse, Neurosen, Phobien, Ängste, Vorurteile" würdigt Stefan Weidner dieses Buch des Berliner Schriftstellers Joachim Helfer und seines libanesischen Kollegen Raschid al-Daif, das aus dem Projekt "West-Östlicher-Diwan" hervorgegangen ist. Dabei geht es darum, deutsche mit im islamischen Kulturkreis beheimateten Schriftstellern zusammen zu bringen. Was im vorliegenden Fall nicht ganz geklappt zu haben scheint. Wie Weidner berichtet, erzählt Raschid al-Daif die Begegnung mit seinem homosexuellen Berliner Kollegen als eine Bekehrungsgeschichte ganz nach orientalischen Geschmack, in der Helfer sich in Beirut in eine Frau verliebt und mit ihr ein Kind gezeugt habe. Für Weidner ein "hochkomisches Kabinettstück" und wahrscheinlich das "schrägste" Buch des Jahres, liest man die Geschichte nur mit einem Minimum an Ironie. Dieses vermochte Helfer, der sich persönlich getroffen fühlte, offenbar nicht, weshalb er darauf bestand, in der vorliegenden Ausgabe al-Daifs Erzählung immer wieder zu unterbrechen und mit kritischen Kommentaren zu versehen. Das Ganze mutet Weidner aberwitzig an. Wüsste man nicht, dass es die beiden Schriftsteller wirklich gibt, konstatiert er, müsste man das Buch für eine "genial fantasierte Erzählkonstruktion" halten. Deutlich ist für ihn: während al-Daif augenzwinkernd mit den Klischees des homophoben arabischen Macho hantiere, erliege Helfer "ohne Ironie den umgekehrten Klischees des postmodernen und metrosexuell aufgeklärten Abendländers über die moralisch und kulturell zurückgebliebenen Araber".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.12.2006

Regelrecht die Hutschnur geplatzt ist Michael Kleeberg bei der Lektüre der "Verschwulung der Welt". Vom Titel einmal abgesehen, den der Rezensent als den "grässlichsten" des Jahres bezeichnet, ist es Joachim Helfer, der ihn auf die Palme bringt. Zum Einen habe Helfer das gelungene "Vexierspiel" seines Gegenübers Rashid al-Daif mit seinen Einlassungen und Kommentaren mutwillig "dekonstruiert" und zerpflückt. Der Rezensent rät hier, Helfers Einschübe zu ignorieren und erst al-Daifs Text im Ganzen zu lesen. Zur Weißglut bringt Helfer den Rezensenten aber mit der "kolonialistisch begütigenden Herablassung" gegenüber dem libanesischen Pendant. Wenn Helfer al-Daif schließlich einfach so Antisemitismus unterstellt, kann Kleeberg nicht mehr an ein Versehen, Unverständnis oder Ironiefreiheit glauben und konstatiert, dass der Autor hier alle arabischen Intellektuellen en gros beleidigt. Und "das finde ich verwerflich".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.12.2006

Durchwachsen, aber doch amüsant, jedenfalls für "die LeserInnen", findet Renee Zucker dieses Buch Joachim Helfers und Rashid al-Daifs, das auf das Austauschprogramm "West-Östlicher Diwan" zurückgeht. In diesem Rahmen trafen sich Helfer und der libanesische Autor al-Daif in Berlin und Beirut 2003, um einen interkulturellen Dialog zu führen und darüber zu schreiben. Allerdings ging die schöne Idee in die Hose, zwischen den Autoren gab es Missverständnisse und schließlich veritablen Streit. Den Knackpunkt sieht Zucker in den unterschiedlichen Auffassungen von Homosexualität, die den schwulen Berliner Helfer und den heterosexuelle Araber al-Daif schließlich entzweiten. Als Gespräch eines Arabers und eines Europäers über Sexualität scheint Zucker das Buch recht interessant. Besonders unterhaltsam wird das Buch für sie, wenn al-Daif wiedergibt, was er von Helfers Beschreibungen des deutschen Umgangs zwischen den Geschlechtern verstanden hat. Insgesamt ist für Zucker die Frustration der Autoren spürbar. "Beide bemühen sich etwas verlogen um den anderen", resümiert sie, "und beide ärgern sich über das Gegenüber - höflich - und zum Amüsement des Lesers, vor allem der Leserin, auf mittelständischem Niveau."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.11.2006

Es muss eine recht ungleiche Begegnung gewesen sein, als sich Joachim Helfer und sein libanesischer Kollege Rashid al-Daif im Rahmen des Projekts "West-Östlicher Diwan" trafen, mutmaßt Rezensent Falk Stakelbeck. Und al-Daif dürfte kaum gewusst haben, auf wen er sich da einlässt, schließlich seien Helfers Bücher, die "ebenso subtil wie monoman" die eigene schwule Lebensgeschichte Helfers ausbeuten, bisher nur auf Deutsch erschienen. Doch al-Daif hat sich darauf eingelassen, das Ergebnis ist dieser Dialog. Hierbei ist der Rezensent auf einige "köstliche Kabinettstücke" gestoßen, aber auch auf Ängste und Vorurteile. Al Raif habe sich weit aus dem Fenster gelehnt und mache dabei nicht immer eine glückliche Figur, beschreibt Stakelbeck seinen Eindruck. Helfer gesteht er zwar zu, auf "naheliegende Polemiken" zu verzichten, fragt sich aber dennoch, ob ihm das letzte Wort in Form eines nachträglichen Kommentars wirklich zusteht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.11.2006

Hussain al-Mozany bespricht ein Gemeinschaftswerk des libanesischen Autors Raschid al-Daif und des deutschen Autors Joachim Helfer, das aus dem Projekt "West-Östlicher Diwan" hervorgegangen ist. Anstatt über ihre Erfahrungen im jeweiligen Gastland zu schreiben oder sich zum literarischen Schaffen des anderen zu äußern, ist im Protokoll des libanesischen Autors al-Daif und in den Kommentaren dazu von Joachim Helfer lediglich vom jeweiligen Gegenüber die Rede, wobei höchst intime Details ausgeplaudert werden, wie der Rezensent etwas konsterniert feststellt. Denn al-Daif schreibe fast ausschließlich über die Homosexualität Helfers und habe sich zur Aufgabe gemacht, ihn wieder zu seiner verschütteten Männlichkeit zu führen, während Helfer das Thema, ohne plausiblen Grund, wie der Rezensent findet, noch um den Holocaust und arabischen Antisemitismus ausdehnt. Wer sich nun allerdings vom arabischen Autor mehr dazu oder zu den libanesischen Glaubenskriegen erhofft hat, wird enttäuscht, kritisiert al-Mozany. Zudem sind ihm die Kommentare des deutschen Autors schon ihrer Länge wegen zu narzisstisch, und so kann er alles in allem diesem Buch nicht allzu viel abgewinnen.
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