Wolfgang Scheppe (Hg.)

Migropolis

Venice and the Global Atlas of a Situation
Cover: Migropolis
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009
ISBN 9783775724852
Gebunden, 1344 Seiten, 68,00 EUR

Klappentext

In englischer Sprache. Von Wolfgang Scheppe und IUAV Class on Politics of Representation. Mit Essays von Giorgio Agamben, Valeria Burgio, Wolfgang Scheppe und mit 2.078 überwiegend farbigen Abbildungen, davon 158 Diagrammdarstellungen. Im Winter 2006 schwärmte ein Kollektiv von Studenten der IUAV Universität in Venedig aus, um ihre Stadt unter der Ägide des Philosophen Wolfgang Scheppe einer forensisch-strukturellen Kartierung zu unterziehen. Aus diesen Feldforschungen in der Tradition des Situationismus entwickelte sich ein urbanistisches Projekt, in dessen dreijährigem Verlauf ein gigantisches Archiv aus zehntausenden Fotos, Fallstudien, Bewegungsprofilen und statistischen Daten entstand. Der Sehnsuchtsort Venedig - am Kreuzungspunkt dreier Korridore der Migration - erscheint darin als europäische Frontstadt und exemplarischer Prototyp für die Eskalation der globalisierten Stadt, in der eine dezimierte innerstädtische Bevölkerung mit dem Millionenheer des Tourismus und einer Parallelökonomie illegaler Immigranten zusammentrifft. In einer raffiniert verzweigten Landkarte aus Essays, Bildargumentationen, Datenvisualisierungen und Interviews wird das globalisierte Territorium Venedigs mikroskopisch seziert und als urbanes Gleichnis erklärt: Die Stadt wird zum "Atlas einer globalen Situation".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.03.2010

Mit viel Lob bedenkt Rezensent Christoph Hennig diese zweibändige, 1344 Seiten umfassende Analyse Venedigs, die der Philosoph Wolfgang Scheppe zusammen mit Assistenten und Studenten venezianischen Architektur-Universität vorgelegt hat. Die Studie hat für ihn das Zeug, zu einem "Klassiker der Stadtsoziologie" zu werden, auch weil die Autoren Neuland betreten. Neben einigen, relativ kurzen Essays bilden nach Auskunft Hennings nämlich Interviews sowie kommentierte Fotos, Schaubilder und Statistiken den Schwerpunkt der Arbeit. Er sieht darin auch eine Kritik der "Gesellschaft des Spektakels" mit ihren eigenen visuellen Mitteln, eine Auseinandersetzung mit Venedig, die sämtliche Klischeebilder der Lagunenstadt hinweg fegt. Venedig erscheint in seinen Augen darin als "Prototyp einer Stadt im Schnittpunkt und Griff der internationalen Waren- und Personenströme", deren Leben nicht mehr von ihrer historischen Besonderheit, sondern von den Mechanismen der Globalisierung bestimmt wird. Neben der Rolle der Touristen wird laut Henning insbesondere die der Immigranten in den Blick genommen. Deren Geschichten, Arbeits- und Wohnsituation sichtbar zu machen, zählt er zu den großen Verdiensten dieses Werks. Dagegen kritisiert der Rezensent, dass das Leben der Einheimischen und damit auch das "politisch brisante Thema der Konflikte" zwischen Venezianern, Touristen und Einwanderern ausgeblendet bleibt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.12.2009

Aktuell gibt es aus Sicht von Thomas Hummitzsch keinen besseren Gegenwartsreport als dieses "qualitativ und quantitativ hochkompakte Buch", das Venedig als Akkumulationspunkt verschiedener Globalisierungsprozesse begreift. Der Philosoph Wolfgang Scheppe habe mit Architekturstudenten an der Universität Venedig am Beispiel der Lagunenstadt die "Eskalationen der Globalisierung" untersucht und nach Ansicht des Kritikers ist in dieser 1.500 Seiten umfassenden Dokumentation aus Fotos, Grafiken, Einzelfallstudien, Essays und Bewegungsprofilen einerseits das Bild eines "urbanen Prototyps der Festung Europa" entstanden. Andererseits biete der Touristenmagnet reiches Anschauungsmaterial über den Fluss von Menschen- und Warenströmen, lesen wir, prallen Tourismus und Migration hier unmittelbar aufeinander. Während die Ureinwohner der Stadt zunehmend vor dem Menschenansturm die Flucht ergriffen, beschreibe das Buch in minutiöser Weise, wie in Venedigs Zentrum die zugereisten Menschenströme in einen einzigartigen ökonomischen Verwicklungsprozess gerieten: eine Darstellung, deren Skizzierung durch den Kritiker getragen von seiner Faszination über diese Beobachtungen ist.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.11.2009

Rezensent Martino Stierli ist sehr beeindruckt von dieser Studie zu Venedig, in der der Soziologe Wolfgang Scheppe zusammen mit seinen Studenten die Stadt als Knotenpunkt von Tourismus, Migration und Fernhandel beleuchtet. Das Buch hat ihm zufolge viele theoretische Vorläufer: die situationistisch inspirierte Strategie des "derive" gehört ebenso dazu wie die Ideen von John Ruskin oder Georg Simmel und die Forschungsstrategien von Robert Venturi oder Denise Scott Brown. Dem Rezensenten gefällt, dass es ausgerechnet Fotos sind, die "Aufschluss über das wahre Gesicht der Stadt geben" - wo doch in Venedig alles dafür getan wird, das "pittoreske" Erscheinungsbild der Stadt aufrechtzuerhalten: ein extremes Beispiel für die "Musealisierung der Innenstädte" und damit auch ein "Prototyp einer Stadt im Zeitalter der Globalisierung". Überzeugt ist Stierli auch, dass sich die Ergebnisse dieser Studie auch "auf jede andere (europäische) Stadt übertragen lassen".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.10.2009

Sehr eingehend befasst sich Rezensent Thomas Steinfeld mit dem Band "Migropolis", in dem Wolfgang Scheppe, gemeinsam mit Assistenten und Studenten der Universität für Architektur in Venedig einen "Atlas der Globalisierung" für Venedig erstellt, und aus jeder Zeile spricht Bewunderung und Faszination. Der Rezensent rühmt den Band als umfassendes Stadtporträt, das in Essays, Fotografien, Statistiken und Diagrammen sämtliche Aspekte einer globalen Stadt unter die Lupe nimmt. Als geradezu Augen öffnend preist Steinfeld die vielen Einzelstudien, wie zum Beispiel die Untersuchung zu den Werbetafeln Venedigs. Und er kann nicht verhehlen, dass ihn die Erkenntnisse wie der Zusammenhang von "symbolisch aufgeladenem Ort" und touristischem Kaufwahn oder illegalen Einwanderern und Tourismus tief beunruhigen. Zudem lobt der begeisterte Rezensent das Vorwort Scheppes als kenntnisreich, "klug" und "politisch". Der deutsche Philosoph, Kurator und Kreativ-Direktor markiert darin Venedig als "dual city" und charakterisiert die soziale Schere als "notwendige und dauerhafte Konsequenz einer Wirtschaftsform". Schließlich betont Steinfeld, dass der Band, der parallel zu einer heute eröffnenden Ausstellung in Venedig entstand, mit seinen vielen Fotos, seiner Typografie und seinen "seriellen Figuren" ein veritables Kunstwerk darstellt, das eine "aufschließende, erhellende, oft schlagartig aufklärende Wirkung" hat, wie Steinfeld überwältigt applaudiert.
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