Romane, Lyrik, Kinderbücher / Zweiter Weltkrieg / Politische Bücher / Sachbücher


Es lässt uns nicht los. Sechzig Jahre Kriegsende führen zu einer neuen Welle des Gedenkens. Wir haben hier Bücher unterschiedlichen Charakters zusammengestellt, wichtige neue Studien wie "Hitlers Volksstaat" von Götz Aly, aber auch Romane, Biografien und Erinnerungen.


Die Deutschen stimmten dem Nationalsozialismus auch deshalb zu, weil in von Raubzügen und Massenmord in "Hitlers Volksstaat" vor allem die einfachen Leute profitierten. Götz Alys Auffassung des Dritten Reichs als Gefälligkeitsdiktatur ist sicherlich das meistdiskutierte Buch der Saison. Aly hat hier ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet, schwärmt Hans Mommsen in der SZ, die FAZ bewundert das "faszinierende Interpretationsmuster", die FR das "staunenswert perfide" System. Die Zeit klassifiziert die Untersuchung als "Spätfrucht der materialistischen Geschichtsschreibung", möchte aber bei aller Umstürzlerei die ideologischen Grundlagen des NS-Regimes nicht vernachlässigt wissen. Nur der in Cambridge lehrende Wirtschaftshistoriker J. Adam Tooze schießt in der taz quer und stellt lapidar fest, Aly habe sich verrechnet, die provozierenden Behauptungen würden damit "vollkommen haltlos" - eine Kritik, die zu einem Disput der beiden in der taz führte. Hier eine

Um die Ähnlichkeiten zwischen Italien, Deutschland und den USA in den dreißiger Jahren, wie sie Wolfgang Schivelbusch in "Entfernte Verwandtschaft" feststellt, wird in den Redaktionen heftig gerungen. Zwischen wohlwollendem Interesse und entsetzter Ablehnung ist alles dabei. Auf der einen Seite des Spektrums findet die Zeit den Vergleich reizvoll und entdeckt "bemerkenswerte Gemeinsamkeiten" in allen drei Ländern, die NZZ dagegen schließt Ähnlichkeiten kategorisch aus, da helfen auch Schivelbuschs "argumentative Amokläufe" nicht weiter, meint sie. Einig sind sich alle, dass Schivelbusch die ohne Zweifel vorhandenen Unterschiede der jeweiligen Regime bei aller Vergleichslust ein wenig unter den Tisch kehrt.

Norbert Freis These von der Veränderung im Erinnern des Zweiten Weltkriegs ist in allen Feuilletons neugierig aufgenommen worden. Als anregend und hellsichtig loben die Kritiker die Feststellung, dass mit dem Verschwinden der letzten Zeitzeugen der Drang nach Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus paradoxerweise noch zunimmt. Dass der Generationenwechsel allein dafür verantwortlich sei, glauben zumindest taz und FR allerdings nicht so ganz. Alle hoffen allerdings frohgemut auf eine Fortsetzung der Diskussion. Frei habe mit "1945 und wir" den "Fehdehandschuh" geworfen, nun müsse ihn nur noch jemand aufgreifen.


Briefe / Tagebücher

Nach 25 Jahren hat Walter Kempowski sein "kollektives Tagebuch" nun mit dem zehnten Band "Abgesang 1945" abgeschlossen, und alle Kritiker knien nieder in Ehrfurcht. Mit dem letzten Teil des Echolots ist zugleich auch dessen künstlerischer Höhepunkt erreicht, notiert etwa Gustav Seibt in der SZ. Bisher hat nur die Zeit den Nachdruck der Briefe Margret Boveris registriert, die die Journalistin von Februar bis September 1945 aus Berlin verschickte. Die genauen Beobachtungen und Berichte lassen "Tage des Überlebens" () aus der Fülle der Erinnerungsliteratur herausragen, meint Haug von Kuenheim, der es jedem, der sich ein Bild von dieser Zeit machen will, "ans Herz" legt. Mehr Aufmerksamkeit erfährt Heike Görtemakers Biografie "Ein deutsches Leben" der "großen Journalistin" Boveri, die Rezensenten aller Zeitungen zufriedenstellt.

"Ein entsetzliches, ein grandioses, ein Jahrhundertbuch" nennt Elmar Krekeler in der Welt die Tagebücher des rumänisch-jüdischen Schrifstellers Mihail Sebastian aus den Jahren 1935 bis 1944. "Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt" () erlebt Sebastian den nationalistischen Größenwahn seiner intellektuellen Zeitgenossen Emil Cioran, Mircea Eliade und Camil Petrescu, während er selbst Ausgrenzung, Demütigungen und Berufsverbot erfährt. In englischer und französischer Übersetzung haben die Tagebücher bereits ein großes Echo gefunden, hierzulande immerhin einzelne bewegte Stimmen. Erschüttert ist der Schriftsteller Richard Wagner von diesem Dokument. Ebenfalls in der Welt bezeichnet Peter Motzan die Aufzeichnungen als "atemverschnürend" und lobt besonders die sorgfältige Übersetzung und Editierung durch Roland Erb und Edward Kanterian.

Heinrich Manns Tagebücher aus der Kriegzeit, die in dieser Form zum ersten Mal veröffentlicht werden, stoßen auf äußerst widersprüchliche Reaktionen. Joachim Fest hält Mann unter anderem wegen seiner Haltung zu Stalin für einen hoffnungslosen Fall, wobei er das Tagebuch dennoch als aufschlussreich empfiehlt. Willi Jasper nimmt Mann dagegen gegen die "traditionellen Vorurteilsreflexe" des übrigen Feuilletons in Schutz, denn gerade Manns Äußerungen gegen Stalin nach dem Hitler-Stalin-Pakt seien bisher unbekannt und bestächen durch Hellsichtigkeit.


Romane


Zwei deutsche Marinesoldaten werden am 10. Mai 1945 wegen Fahnenflucht hingerichtet, zwei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation. Jochen Missfeldt versucht in seinem Roman "Steilküste" die Kriegsgeneration vorurteilslos zu begreifen und führt damit eines jener Experimente durch, "die nach 1968 selten geworden sind", notiert die Zeit angetan. Und auch die taz lässt sich von diesem "hinreißenden Erzähler" restlos überzeugen. "Interessant seltsam" kommt es ihr vor, wie Missfeldt dieses Paradebeispiel nacheilenden Gehorsams in allen Facetten ausleuchtet. Sehr gelobt wurde auch Helga Schütz' neuer Roman "Knietief im Paradies" der von einem Mädchen erzählt, das die Dresdner Bombennacht überlebt und in der sowjetisch besetzten Zone aufwächst. "Glaubhaft und nachvollziehbar" findet die Zeit die damalige Atmosphäre wiedergegeben. Die taz nennt den Roman einen "leisen, poetischen Auftakt zum Gedenkmarathon des Jahres 2005".


"Kaputt" lautet der legendäre Titel eines ebenso berühmten wie vergessenen Romans von Curzio Malaparte, der alle politischen Irrtümer des letzten Jahrhunderts hingebungsvoll mitgemacht hat und sie sich hier von der Seele schreibt. Zsolnay legt das Buch neu auf. Für Yaak Karsunke in der FR die rätselhafte Neuauflage des schlechten Buchs eines Faschisten, der sich reinwaschen wollte. Für Kurt Flasch in der FAZ ein verlegerischer Glücksfall. Seine außergewöhnliche Aktualität verdanke das Buch den aktuellen Ereignissen in der Ukraine, der Diskussion über die Verbrechen der Wehrmacht sowie der Rückkehr Osteuropas ins Bewusstsein des Kontinents durch die EU-Osterweiterung.


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