Magazinrundschau - Archiv

CT 24

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 16.03.2021 - CT 24

Vor 100 Jahren veröffentlichte Jaroslav Hašek den ersten Band seiner Abenteuer um den braven Soldaten Schwejk, der seither als typisch für den tschechischen Nationalcharakter gilt. Wie viel ist da dran, will der Kulturkanal des Tschechischen Fernsehens wissen. Die Schriftstellerin Pavla Horáková meint, interessant sei nicht nur die Frage, ob Hašeks Figur seinerzeit typische tschechische Wesenszüge getroffen habe, sondern auch, in wieweit die Tschechen sich diese Züge in hundert Jahren angeeignet hätten. "In den nationalen Schwejk vermögen sich nämlich auch die hineinzustilisieren, die den Roman gar nicht gelesen haben." Das heutige, touristische Bild des Schwejk habe dabei mehr mit den zeichnerischen und filmischen Bearbeitungen zu tun als mit dem literarischen Original. "Und gerade dieser popularisierte Schwejk verkörpert einen sicher nicht unerheblichen Teil tschechischer Männlichkeit", meint Horáková, die zwei Aspekte des Schwejk unterscheidt: Der Schwejk "an sich" sei ein Schlitzohr, ein Schwätzer und Säufer, der weder Frau noch Familie braucht, ein ewiges Kind ohne Sorgen und Verpflichtungen, ein zwar freundliches, aber recht gefühlloses Wesen. Der andere Aspekt des Schwejk sei sein Verhältnis zur Macht: "Nur ausnahmsweise stellt er sich Willkür und Unrecht entgegen, meistens stellt er dem Bösen nur verstohlen ein Bein. Er wirkt harmlos, ist aber in Wahrheit ein rücksichtsloser Manipulator. (…) Dieser Schwejk ist Pate all jener Tschechen, die gegen den Totalitarismus per Autodestruktion in den Kneipen ankämpften (…) Die Bier-Résistance wurde zum gefragten, ja gefeierten Lebensstil, und noch heute sieht man in dieser vergeudeten Generation von Tschechen gerne Helden. Doch gerade jetzt zahlt sich diese Lebensstrategie für uns nicht aus - gegen die Pandemie wehren wir uns genauso effektiv wie gegen die Besatzungsmächte des 20. Jahrhunderts. Der passive Widerstand wird zu Passivität und zu völliger Resignation. Und hinter dieser Untätigkeit steht keine daoistisch erleuchtete Weisheit, sondern Trotzköpfigkeit."

Magazinrundschau vom 03.02.2015 - CT 24

Aus Anlass des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz sprach der Schriftsteller Ivan Klíma, der als Kind im KZ Theresienstadt interniert war, mit Zuzana Tvarůžková vom tschechischen Fernsehsender CT 24. Man kann das Interview als Video hier auf Tschechisch hören und in einer gekürzten Transkription lesen. Auf den zunehmenden Antisemitismus in Europa angesprochen, sagt Klíma: "In Tschechien lebt man als Jude nicht gefährlich. Ich bin bei uns keinerlei aktivem Antisemitismus begegnet. Ich fühle mich hier ganz zu Hause. Und ich empfinde mich auch vor allem als Tscheche. Ich habe nicht das Gefühl, von hier fliehen zu müssen. Ganz im Gegenteil: In der Zeit, als ich hier komplett verboten war und von den Bolschewiken verfolgt wurde, hatte ich die Möglichheit, in Amerika zu unterrichten. Und trotzdem bin ich zurückgekehrt, weil das hier meine Heimat ist, weil ich mich hier zu Hause fühle." Zum russisch-ukrainischen Konflikt und Europas Haltung meint Klíma recht skeptisch: "Russland kann man nicht einfach umpolen. Und Europa hat keinerlei Lust auf einen Krieg. Die Russen würden schon eher in den Kampf ziehen, wenn es nötig ist. (…) Die üblichen Mittel, die in den westlichen Staaten Wirkung haben, wirken in Russland überhaupt nicht. Wenn man gegen die Russen ein Embargo verhängt, halten die das aus; der Russe ist gewohnt, dass er nichts hat."