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First Things

1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 20.09.2022 - First Things

Der Islamismus wollte einst unbedingt modern sein, so modern, dass er eine erfolgreiche Alternative zum säkular-liberalen Staat westlicher Prägung sein würde, erzählt der amerikanische Islamwissenschaftler Shadi Hamid in einem interessanten Text über die Ideengeschichte des Islamismus. Das misslang, weil die Scharia nicht kodifiziert war, sondern ein "organischer und dezentralisierter Korpus kontingenter Urteile von Juristen und Richtern". Alle Versuche, sie dem Nationalstaat anzupassen, nützten am Ende dem Staat, nicht der Religion. "Die Modernisten - die prominentesten unter ihnen waren Männer wie der panislamische Ideologe Jamal al-Din al-Afghani (gest. 1897), der ägyptische Theologe Muhammad Abduh (gest. 1905) und der levantinische Theoretiker Rashid Rida (gest. 1935) - waren durch den Zustrom christlicher Missionare unter der Kolonialherrschaft alarmiert. Sie befürchteten, dass gewöhnliche Muslime, die ihrer Meinung nach an einem abergläubischen, mystischen Verständnis des Islams festhielten, den christlichen Argumenten über die Widersprüche des Korans und die allgemeine Minderwertigkeit des Islams auf den Leim gehen würden. Ihre Lösung war innovativ und ausgesprochen modern: Sie wollten die dem Islam innewohnende Rationalität bekräftigen. In dieser Hinsicht ist die Apologetik von Rashid Rida sehr anschaulich. Für Rida ist der Islam die 'Religion der Vernunft', 'der Verbündete der Wissenschaften' und 'näher an der angeborenen Veranlagung und Intelligenz des Menschen'. Er rät seinen Lesern: 'Ihr könnt die Wahrheiten eurer Religion durch logische Beweise und Indizien kennen lernen.' Rida stellt das Christentum dagegen als weltfremd und irrational dar - eine Religion des magischen Denkens. 'Das Wort 'Vernunft' wird in der Bibel nicht erwähnt', schreibt Rida mit spürbarer Verachtung. In einer etwas überarbeiteten Darstellung spielt Rida die Assoziation des Propheten Mohammed mit übernatürlichen Handlungen herunter und argumentiert, dass im siebten Jahrhundert 'die Menschheit in jenes Stadium der Reife und Unabhängigkeit eingetreten war, in dem der Verstand der Menschen nicht mehr bereit ist, sich dem Unglaublichen oder Unnatürlichen zu unterwerfen'. Es scheint seltsam, das Arabien des siebten Jahrhunderts als eine Quelle des Intellektualismus oder als einen Ort darzustellen, an dem der Glaube an Wunder verging. Aber Rida war ein Produkt einer ganz anderen Zeit; er versuchte, den Islam so modern wie möglich zu machen, als er angegriffen wurde, weil er angeblich das Gegenteil war."