Magazinrundschau - Archiv

The Critic

3 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 16.04.2024 - The Critic

William Fear fragt sich, warum der Krieg im Sudan die Weltöffentlichkeit so gar nicht interessiert, obwohl die Milizen der Rapid Support Forces (RSF) Millionen Menschen vertrieben haben und an der Volksgruppe der Masalit einen regelrechten Völkermord verüben. Klar ist, dass die Vereinigten Arabischen Emirate eine aktive Rolle in der Unterstützung der RSF spielen und dass die USA mit den Emiraten verbündet sind. Aber ist das alles? "Niemand hängt sudanesische Flaggen ins Fenster oder boykottiert den Tourismus in den VAE als Folge des Konflikts. Schwer zu sagen, warum genau. Einige spekulieren, dass dies auf die historische Distanz zwischen dem Westen und dem Sudan zurückzuführen ist. Wenn Menschen gegen Israels Einmarsch in den Gazastreifen protestieren, verweisen viele auf die kollektive Rolle des Westens bei der Gründung Israels, das britische Weltreich und den Verkauf von Waffen aus westlicher Produktion an die IDF. All dies trifft natürlich auch auf den Konflikt im Sudan zu, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Der Sudan war einst eine britische Kolonie. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate kaufen Waffen aus dem Vereinigten Königreich. Wenn wir eine Verantwortung haben, uns um Palästina zu kümmern, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns um den Sudan zu kümmern."
Stichwörter: Sudan

Magazinrundschau vom 21.03.2023 - The Critic

George Orwell und Albert Camus hätten gut Freunde sein können, doch die Tuberkulose verhinderte ein persönliches Kennenlernen, erzählt William Fear: Beide waren antitotalitär und davon überzeugt, dass Wahrheit wichtiger ist als Ideologie - wofür sie von der Betonlinken einiges einstecken mussten. "Ironischerweise glaubten weder Orwell noch Camus wirklich an die objektive Wahrheit. Obwohl Orwell ein Verfechter der freien Meinungsäußerung und des Aussprechens der Wahrheit gegenüber der Macht war, räumte er ein, dass die 'objektive Wahrheit' selbst eine 'Illusion' sei, wenn auch eine nützliche und 'mächtige'. Ebenso bemerkte Orwell, dass die totalitäre Ideologie 'den Unglauben an die Existenz der objektiven Wahrheit selbst verlangt'. Das Schlüsselwort ist hier 'Unglaube'. Für Orwell war Wahrheit eher ein Bekenntnis zur Realität als ein philosophischer Rahmen für die Unterscheidung zwischen wahr und falsch. Vielleicht ist das der Grund, warum in Orwells Roman '1984' alle Versuche Winstons, eine Definition der Wahrheit zu formulieren, letztlich scheitern. Aber genau das ist der Punkt. Orwell verstand, dass Wahrheit eine Mentalität und keine Formel ist."
Stichwörter: Orwell, George, Camus, Albert

Magazinrundschau vom 11.01.2022 - The Critic


Wie sich die Zeiten ändern. In Granta 10 war das Reisen noch ein glamouröses Ereignis. In Granta 157 ist es so schuldbeladen, dass zu Hause bleiben die einzige Option zu sein scheint.

Tom Chesshyre erinnert sich noch gut daran, wie populär und wundervoll geschrieben in den 80ern Reisereportagen waren. Bill Buford gab 1983 Granta 10 heraus, eine Ausgabe mit literarischen Reportagen von Gabriel Garcia Marquez, Paul Theroux, Colin Thubron, Saul Bellow, Martha Gellhorn u.a.. Ja, selbst in den 00er Jahren, als der Perlentaucher seine Magazinrundschau auf die Beine stellte, waren Zeitungen und Magazine noch gespickt mit großen Auslandsreportagen. Die deutsche Sektion der Lettre vergab von 2003 bis 2006 den Lettre Ulysses Award, einen internationalen Preis für literarische Reportagen. Heute scheint diese Form der Erzählung mit ihrer Mischung aus Fakt und Fiktion aus der Mode gekommen zu sein. Es gibt mehrere Gründe dafür: Billige Flüge, die den Massentourismus in jede Ecke der Welt bringen, das Internet, die neue Vorliebe für Nabelschau und schließlich noch ein weiterer Grund: Die Reporter zweifeln heute offenbar oft an ihrer Berechtigung, von einem fremden Land zu erzählen, so Chesshyre. "In 'The Travel Writing Tribe' verweist Tim Hannigan auf eine wahrgenommene 'kulturelle Aneignung' durch privilegierte westliche Menschen, die oft 'sehr männlich, sehr weiß' und teuer ausgebildet sind und in fremden Ländern auftauchen und Fragen stellen. Der Akademiker Charles Sugnet geht noch einen Schritt weiter und beschuldigt die Chatwins und Therouxs, 'eine anspruchsvolle Version des Katalogs von Banana Republic zu sein... ihr Gepäck ist voll mit tragbaren Splittern des kolonialistischen Diskurses'. Der Gedanke, dass so gut wie niemand das Recht hat, irgendwohin zu reisen und darüber zu reflektieren, scheint sich durchgesetzt zu haben. Der Herausgeber der neuesten Ausgabe des Magazins, Granta 157, der Reiseschriftsteller William Atkins, beginnt seine Einführung in die Ausgabe zum Thema Reiseschriftstellerei mit dem Eingeständnis, dass er auf einer Reise nach Xinjiang in China (wo sich 'Umerziehungslager' für das verfolgte Volk der Uiguren befinden), 'nicht zum ersten Mal den Selbstekel des europäischen Reiseschriftstellers an einem unruhigen Ort gespürt habe, der - abgesehen von journalistischen Vorwänden - weder ein Nachrichtenkorrespondent noch ein internationaler Beobachter ist, sondern im Grunde ein Tourist mit einem Buch im Kopf'. Dies ist nur ein Aspekt dessen, was in einigen Kreisen eine fast vollständige Ablehnung - oder vielleicht ein tiefes Misstrauen - gegenüber der Reiseschriftstellerei zu sein scheint. Schon der Akt des Reisens scheint heikle Fragen über die Eignung des Genres aufzuwerfen. Jeder Langstreckenflug, so Atkins, 'kann aufgrund der Auswirkungen des Kohlenstoffs plausibel als ein Akt der Gewalt beschrieben werden'. Im Gegensatz zu Buford (dessen Titelbild eine glamouröse Frau und einen Piloten mit Koffern beim Aussteigen aus dem Flugzeug zeigte) wurden seine Autoren 'vom Fliegen abgehalten', und der Titel der Ausgabe - Should We Have Stayed At Home? - redet nicht um den heißen Brei herum. Die in der Luft hängende Antwort 'Ja' scheint die gesamte Literaturgattung zu 'canceln'."