Tanguy Viel

Paris - Brest

Roman
Cover: Paris - Brest
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2010
ISBN 9783803132345
Gebunden, 140 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Die Großmutter erbt viel Geld und eine Putzfrau. Der Vater veruntreut die Kasse des lokalen Fußballvereins. Die tyrannische Mutter bemüht sich um Kontrolle der Situation. Der Bruder hat wenig Talent und ein Geheimnis. Und der Erzähler seinerseits will alles ans Licht bringen. Nachdem seine Familie der Bretagne gezwungenermaßen den Rücken gekehrt und sich im Süden niedergelassen hat, bleibt Louis, der Erzähler, bei seiner Großmutter in Brest und verbringt die Abende mit dem zwielichtigen Sohn ihrer Putzfrau, bei Rotwein und Zigaretten. Ein böser Plan entsteht. Und einmal mehr hört Louis auf seinen vermeintlichen Freund. Im Tonfall eines Geständnisses geschrieben ist dieser Familienkriminalroman ironisch und elegant. Es geht um viel Geld, um bodenlosen Verrat.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.02.2011

Olala, das hat Rezensent Georg Renöckl dann doch nicht erwartet. So schlank der Roman von Tanguy Viel daherkommt, so dick hat er's hinter den Eselsohren. Die kleine, spielerisch als Roman im Roman erzählte Geschichte um eine nicht ganz so normale, zwischen Paris und Brest und dem Languedoc verzweigte Familie hüpft munter zwischen den Zeiten hin und her und enthüllt dem Rezensenten Stück um Stück Hässlichkeiten, die so eine Familie im Lauf der Zeit anhäufen und unter den Teppich kehren kann. Alle? Nicht ganz. Doch so genau will Renöckl das vom Autor gar nicht wissen. So bleibt Raum für eigene Vorstellungen. Und unterdessen unterhält ihn das Buch mit Sitcom, Satire, Ironie, Ernst und Krimisuspense. Wenn das nichts ist.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.11.2010

"Eine kalte Familienaufstellung", schreibt Ulrich Rüdenauer fröstelnd über diesen Roman, der sich für ihn ein wenig wie die Schilderung der neurotischen Familienkonstellationen in Filmen Claude Chabrols angefühlt hat. Als heimliches Zentrum des Buches, das ihm wie andere Tanguy-Viel-Bücher zuvor, durch seine Unnachgiebigkeit begeistert, beschreibt Rüdenauer das Geld. Denn darum sieht er die Romanfiguren "wie die Geier" kreisen und das Geld löst seinen Informationen zufolge schließlich auch den Kriminalfall aus, den der Roman verhandelt. Den Kritiker fasziniert Viels kühle, ironische Schilderung seiner Charaktere, und er erkennt einen Meister der Psychologie in diesem Autor gerade deshalb, weil der sich jeder Psychologie verweigert. Stattdessen zeichne Viel die Welt mit kaltem Blick, dass sie in seinen Schilderungen schon beinahe surreal wirken würde. "Große Kunst" konstatiert der Kritiker schließlich.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.10.2010

Für Hans-Peter Kunisch gehört der 1973 geborene Bretone Tanguy Viel zu den sprachlich innovativsten Stimmen im Nachbarland. Seinen lässigen Umgang mit Genres und Parodien legt er auch dem jüngsten Buch, einem Familienroman mit kriminalistischen Elementen, zugrunde. Etwas oberlehrerhaft listet Kunisch schließlich die einzelnen Elemente auf, die der Autor aufbietet, um beim Leser Verwirrung zu stiften: die Preisgabe weniger Informationen als man benötigt, die Verzögerung der Information, der "Köder des Unbekannten", Zahlen. Bei der Wiedergabe des Inhalts hingegen schwächelt der Rezensent. Immerhin lässt sich soviel sagen: Es geht um im Familienverbund verschwundene oder auch vererbte 14 beziehungsweise 18 Millionen Francs.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.09.2010

Ein Tag genügt, aber der muss frei sein, frei von der Familie vor allem, um diesen Roman von Tanguy Viel zu lesen, den Jochen Schimmang schlicht hinreißend findet. Familienromane, das erklärt uns der Rezensent, sind eine sicher Bank, wenn es darum geht, den Deutschen Buchpreis zu gewinnen. Gut, dass dieses Buch anders ist, auch ein Familienroman, aber ein "schmutziger, kleiner", der die Familie als Ursprung allen Schreckens zeigt und nach dem Schimmang eigentlich keinen weiteren mehr lesen möchte. Nicht weil er genug davon hätte, sondern weil der Autor es schafft, klassische Familienroman-Topoi und sogar Gesellschaftskritik in eine Beckett'sche Ambivalenz von Trauer und Komik zu kleiden, die ihresgleichen sucht. Laut Schimmang.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.08.2010

Einen "Antifamilienroman" hat Tanguy Viel mit "Paris-Brest" geschrieben, findet Thomas Laux, und meint das nur positiv. Im Mittelpunkt steht der minderjährige Ich-Erzähler Louis, der seinen Bericht über das Leben seiner Familie gleichzeitig in einen Roman im Roman münden lässt: Louis entscheidet sich, bei seiner Großmutter in Paris zu leben, während seine Eltern nach Brest ziehen. Dann erbt die Großmutter 18 Millionen Francs, und ihre Familie hat es natürlich darauf abgesehen. Viel überschreite hier in schelmischer Marnier Genregrenzen, versteige sich zuweilen im B-Moviehaften und verpasse dem traditionellen Familienroman damit "einen ordentlichen Tritt", befindet der vergnügte Rezensent.