Michel Houellebecq

Plattform

Roman
Cover: Plattform
DuMont Verlag, Köln 2002
ISBN 9783832156305
Gebunden, 370 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Uli Wittmann. Der Erzähler Michel ist Beamter im Kultusministerium. Vierzig, farblos, frustriert und nach Dienstschluss einsamer Peep-Show-Erotomane und Experte im TV-Zappen. Die Urlaubspauschalreise ins Traumland Thailand verspricht diesem "ziemlich mittelmäßigen Individuum" paradiesisches Glück und Erlösung: Sexgenuss mit Asiatinnen. Die Mitreisende Valerie, eine erfolgreiche Managerin in der Tourismusindustrie, lernt er erst nach der Rückkehr ins lieblose Paris wirklich kennen - und mit ihr ein tiefes menschliches Glück voller Obsessionen, und ohne Bezahlung. Zusammen erfinden Valerie und Michel ein rettendes Programm für die Reisebranche, die Plattform zum Glück...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.04.2002

Milo Rau sieht die Stärken des französischen Autors in der präzisen Beschreibung des "existenziellen "Verlusts", unter dessen Empfinden seine Protagonisten so leiden. Dagegen wirke die Hauptfigur des Romans Michel, der sich auf einer Thailandreise in die Mitreisende Valerie verliebt, wenn er glücklich ist, "uninteressant und unscharf", weshalb es der Rezensent als "Glück" bezeichnet, dass dieses Liebesglück auch sehr bald wieder zerstört wird, weil Valerie von einem Fundamentalisten erschossen wird. Denn für das Glück, bemerkt der Rezensent, herrscht bei Houellebecq geradezu ein "Bildverbot", es interessiert den Autor nicht. Erst "wo das Leben unerträglich ist", so Rau beeindruckt, entfaltet sich dessen "unvergleichliche Sprache", weshalb ihm der letzte Teil des Romans, in dem eine "Feinanalyse der Depression im Stadium ihrer Vollendung" entwickelt wird, am besten gefällt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.03.2002

"Michel Houellebecq ist ein Prophet", schwärmt Martina Meister gleich im ersten Satz ihrer Rezension. Ein Fan des Literaten ist die Rezensentin offenbar schon seit "Elementarteilchen". Im neuen Roman "Plattform", berichtet sie, lege sich der Schriftsteller nun mit Moslems, Feministinnen, Gegnern der Prostitution und des Sextourismus, mit karitativen und humanitären Verbänden an. Das Buch thematisiere die "zerrütteten Verhältnisse im alten Europa", wo Menschen alles hätten außer gutem Sex - den holten sie sich in Asien, denn dort verkauften die Menschen, weil sie nichts anderes hätten, gerne ihre Körper. Wäre da nur nicht der Islam... Wie immer bei Houellebecq, so Meister, gehe es um eine Spiegelung der Spaß- und Freizeitgesellschaft und um eine Desavouierung gesellschaftlicher Normen. Doch ist die Rezensentin dessen inzwischen doch etwas überdrüssig geworden. Der Stil werde "je praller die Brüste der Thai-Girls und je härter der Ständer des Ich-Erzählers" immer "platter". Das sei zwar gewissermaßen konsequent, aber auch "ein kleiner Tod" für die Lektüre. "Markerschütternde Schreie" könne der Autor mit seiner "Prosa der Pimmel und Mösen" dem Leser jedenfalls nicht mehr entlocken.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.02.2002

Das Provokative zuerst: Eine Provokation, so die Rezensentin, sei das Buch nicht, vielmehr eine "ziemlich harmlose Geschichte". Die "überall im Buch verstreuten sexistischen und religionsfeindlichen Parolen" findet sie "langweilig", was gegen den Islam gesagt wird, "erwartbar". Mit solchen Aussagen stellt sich Julia Encke klar gegen den Tenor der bisherigen Plattform-Lektüren. Was sie hingegen wirklich aufgebracht hat, ist der Umstand, dass der Autor beim Lesen sozusagen ständig zugegen ist. Encke erklärt sich das mit einem geschäftstauglichen Taschenspielertrick: Durch seine öffentlichen Äußerungen, etwa über den Islam, verwische Houellebecq die Grenze von Figuren- und Autorenrede. Für die Kritik eine missliche Situation, wie Encke findet: "Was soll sie eigentlich besprechen? Das Buch oder den Autor?" Dann doch lieber das Buch. Und das ist laut Encke "eine gute Bettlektüre". Was ausdrücklich als Kompliment gemeint ist.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.02.2002

Aus Anlass des Romans "Plattform" konstruiert Jens Jessen eine auf dem bekennenden Antimodernismus beider Autoren basierende Traditionslinie vom "meistgefürchteten Dichter des Fin de Siecle", Joris-Karl Huysmans, zum "Trüffelschwein für Verletzungspotenziale", Michel Houellebecq. Der Vergleich zielt jeweils auf das ganze Werk, und was dabei an Informationen zu Houellebecqs neuem Buch abfällt, ist eher wenig. Dass Houellebecq in diesem Buch mit seiner Islam-Beschimpfung einmal mehr "unter die Gürtellinie des reflektierten Bewusstseins" zielt, hält Jessen fest, aber auch, dass die Perfidie des Ganzen letztlich "nicht im Literarischen", sondern "in der öffentlichen Rezeption" zu suchen ist: "Ästhetisch ist der Roman eher ungelenk." Zur Frage, was die von Jessen unter anderem anhand der "Figur des schadenfrohen Einverständnisses mit dem eigenen Untergang" belegte Parallele zu Huysmans nun zuallererst möglich gemacht hat, vermutet der Rezensent dunkel: Ob es nicht die Abschaffung des Menschen durch den Fortschritt ist, die, einst nur erahnt, sich heute vollendet?

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.02.2002

In seinem neuen Roman, der in Frankreich nach seinem Erscheinen im letzten Sommer bereits für Aufruhr gesorgt hatte, läuft die "Provokationsmaschine auf Hochtouren", denkt Dirk Knipphals. Dabei hat Michel Houellebecq mit "Elementarteilchen" und "Ausweitung der Kampfzone" schon genug "Dirty Talks" und "explizite" Sexszenen geliefert. Was ist also an dem neuen Werk so schlimm, fragt sich der Rezensent und berichtet erst mal, worum's geht: Diesmal führe der Autor den Leser nach Bangkok, natürlich des Sex wegen, verkörpert in dem Erzähler Michel, einem durchschnittlichen Angestellten. In Bangkok kommt Michel auch auf seine Kosten, genießt den Sextourismus, beginnt ein Verhältnis mit Valerie, mit der er ebenfalls einfach nur Sex haben kann, erzählt der Rezensent. Gestört wird das dauerhafte Vergnügen durch islamische Terroristen, die dem Treiben ein blutiges Ende bereiten. All denen, die in Houellebecq ihr avanciertes Sprachrohr für gesellschaftskritische Exkurse sahen, erteilt dieser Roman eine eindeutige Absage, ist Knipphals überzeugt. "Ernsthafte Leser", warnt der Rezensent, müssten jetzt ganz tapfer sein, denn hier gehe es allein um guten käuflichen Sex, mehr nicht. Houellebecq halte sich von jedem psychologischen Diskurs fern und stelle stattdessen die Körper in den Mittelpunkt all seiner Betrachtungen.