Emmanuel Carrere

Brief an eine Zoowärterin aus Calais

Cover: Brief an eine Zoowärterin aus Calais
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2017
ISBN 9783957574480
Kartoniert, 71 Seiten, 12,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Claudia Hamm. "Nicht auch noch Sie! Calais ist zu einem Zoo geworden, und ich bin eine Kassenfrau in diesem Zoo", schreibt eine Bewohnerin von Calais an Emmanuel Carrère, als er im Frühjahr 2016 in der nordfranzösischen Stadt eintrifft, um eine Reportage zu schreiben. Früher berühmt für die Herstellung von Webspitze, ist Calais heute für seinen "Dschungel" berüchtigt, das mittlerweile geräumte, größte Flüchtlingslager Europas, Sinnbild für das Versagen von Politik, für empathielos zur Schau gestelltes Mitleid, für ein Europa im Zangengriff seiner eigenen Werte und Interessen, aber auch für das Ankämpfen gegen all das.
Nein, Carrère schreibt nicht über den "Dschungel", sondern antwortet mit einer politischen Reportage in Briefform, in der er die Einwohner von Calais, ihre Verelendung, Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit, aber auch ihren Idealismus und ihre hochgehaltenen Hoffnungen zu verstehen versucht. Er trifft Menschen aus allen Schichten und mit verschiedensten politischen Ansichten und zeichnet ein überraschendes Bild einer französischen Gesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2017

Rezensent Gero von Randow lernt in dieser, wie er findet, grandiosen Reportage des Schriftstellers Emmanuel Carrere jene Seite von Calais kennen, die die zahlreichen Journalisten bei ihren Besuchen in den Flüchtlingscamps an der Stadtgrenze übersahen. Denn Carrere interessiert sich insbesondere für die Bewohner der ehemaligen Industriestadt, erzählt der Kritiker, der den Autor hier etwa in das verkommene Stadtviertel Beau-Marais begleitet, Armut und Hoffnungslosigkeit erlebt und staunt, wie eindringlich Carrere von seinen Erlebnissen zu erzählen weiß, ohne diese dabei zur These zu reduzieren. Dass der Autor auch als Regisseur tätig ist, merkt man dem spannenden und reich bebilderten Text an, schließt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.10.2017

Rezensentin Lena Bopp schätzt den Blick Emmanuel Carrères auf den Dschungel Calais. Dem Vorwurf des Sensationsjournalismus begegnet der Autor in seinem kurzen Text, geschrieben ursprünglich für eine Zeitschrift, laut Bopp mit einem Trick: Er lässt den Leser teilhaben an der Entstehung, indem er sich selbst als handelnde Figur einzieht, und er antwortet darin auf einen Brief einer ansässigen Journalistin, die ihn mit ebenjenem Vorwurf konfrontiert. Nicht zuletzt aber lenkt der Autor die Aufmerksamkeit einmal weg vom Lager und hin zu der Stadt und ihren Bewohnern, so Bopp, er begegnet Rassisten und Idealisten und fängt die Verzweiflung ein.
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