Mariusz Szczygiel

Gottland

Reportagen
Cover: Gottland
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518419663
Gebunden, 271 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Mit einem Nachwort von Martin Pollack. Im Juli 2006 wurde bei Prag ein Museum für Karel Gott eröffnet. "Gottland" prangt in Neonlettern über dem Eingang. Das Personal führt die Besucher in drei Sprachen durch die Räume. "Eine Welt ohne Gott ist nicht möglich, deshalb spielt der Sänger im atheistischsten aller Länder die entspreche Rolle", bemerkt der polnische Reporter Mariusz Szczygiel, der diesem Land eine Reportagensammlung gewidmet hat. Szczygiel erzählt von Menschen des 20. Jahrhunderts, die im kollektiven Bewusstsein der Tschechen bis heute eine Rolle spielen: von der Schauspielerin Lida Baarova, der Geliebten von Goebbels, dem Bildhauer Otokar Svec, der das Stalin-Denkmal in Prag schuf und an diesem monströsen Werk zugrunde ging, bis hin zu der Sängerin Marta Kubisova, die nach jahrzehntelangem Verbot erst nach 1989 wieder auftreten durfte. Szczygiel schildert die oft tragischen, absurden Lebensläufe: ein fortlaufender Bericht aus einem kafkaesken Land, in dem die Angst die Hauptrolle spielte, eine Angst, wie sie in Polen nicht denkbar gewesen wäre.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.01.2009

Daran, dass es sich bei den gesammelten Reportagen von Mariusz Szcygiel um hohe Kunst handelt, hat Rezensentin Katharina Granzin keinen Zweifel. Schwer beeindruckt zeigt sich die Rezensentin nicht nur von Szcygiels Rechercheleistung und seiner Fähigkeit, das Sammeln von Material und das Bekanntmachen verborgener Tatsachen selbst als Teil der Geschichte zu verkaufen. Granzin staunt auch über die Zielsicherheit, mit der die Texte mitten ins Zentrum der tschechischen Seele hineinführen. Deutlich erkennt die Rezensentin darin die Brüche der tschechischen Geschichte. Und wenn sie ganz genau aufpasst, kann sie sogar Karel Gott singen hören.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.2008

Grandios findet Judith Leister die Reportagen Mariusz Szczygiels von der "Gazeta Wyborcza". Über das Tschechien des vergangenen Jahrhunderts und über die Funktionsweise des Kommunismus durfte sie in den über Miniatur-Szenen zum Sprung in die große Historie ansetzenden Texten eine Menge erfahren. Formal eigenwillig nennt Leister das. Der Erkenntnisgewinn, etwa zum Fortleben Stalins im Prag unserer Tage, zur kubistischen Persönlichkeit Eduard Kirchberger, zur Schuhdynastie Bata oder zur fragwürdigen Identifikationsfigur Gott (Karel), erscheint ihr allerdings ausgesprochen hoch.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.07.2008

Selten genug erscheint Christoph Bartmann der Fall, dass ein Pole - oder ein Deutscher? - sich für die Tschechen interessiert. Und wie Mariusz Szczygiel das anstellt, hat ihm gleich noch einmal Eindruck gemacht. Es ist der enthnografische Blick für das scheinbar Unsensationelle und das Absurde, den Bartmann so schätzt und den der Autor ganz im Stil seiner essayistischen Reportagen für die "Gazeta Wyborcza" hier pflegt. Im Zentrum des Interesses steht die CSSR, die heutige Tschechische Republik ab 1968. Und Bartmann weiß, warum. Szczygiel suche nach Gründen, wieso sich diese Nation nach dem Prager Frühling mit dem kommunistischen System arrangieren konnte. Wenn der Autor dem Rezensenten auch keine Antworten anbietet, die "böhmischen Geschichten" um die Anpassungskunst der Menschen - und die Unterwerfungsgesten etwa eines Karel Gotts - in den wechselnden politischen Systemen sind ihm die Lektüre wert.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.05.2008

Von der "meisterlichen Prosa" des polnischen Reporters Marius Szczygiel ist Rezensent Karl-Markus Gauß restlos begeistert. Zwei dieser Reportagen über Tschechien scheinen den Rezensenten, der vom "überzeugenden Erfindungsreichtum" des "originellen literarischen Arrangeurs" Szczygiel schwärmt, auch inhaltlich besonders beeindruckt zu haben: Zum einen der Bericht über Bau und Demontage des größten Stalin-Denkmals der Welt auf einem Hügel über Prag. Dessen "aberwitzige Geschichte" vermittelt Szczygiel, indem er die Geschichte des Bildhauers Otakar Svec erzählt, der das Denkmal, an dem sechs Jahre gebaut wurde, entworfen hat, nur um zuzusehen, wie es sechs weitere Jahre später, 1961, gesprengt wurde. Es ist aber auch die Geschichte des Sprengmeisters, der das Ungetüm in die Luft jagen musste, ohne ganz Prag dabei mitzunehmen - und auch, ohne allzuviel Eifer an der Arbeit zu zeigen, was ihm als Antikommunismus hätte ausgelegt werden können. Ausgezeichnet fand Gauß auch die Reportage über die "tschechische Nachtigall" Karel Gott, dem der Band auch seinen Namen "Gottland" verdankt. Der Schlagersänger hat offenbar eine Neigung zum Vergessen und Relativieren der eigenen Verstrickungen in die Diktatur - für den Rezensenten ist er damit auch ein Repräsentant von "Millionen Verstrickter", die in Karel Gott eine Legitimationsfigur für ihr eigenes Fehlverhalten erblicken.