Günter Grass

Grimms Wörter

Cover: Grimms Wörter
Steidl Verlag, Göttingen 2010
ISBN 9783869301556
Gebunden, 360 Seiten, 29,80 EUR

Klappentext

Die Brüder Grimm erhalten im Jahr 1838 einen ehrenvollen Auftrag: Ein Wörterbuch der deutschen Sprache sollen sie erstellen. Voller Eifer machen sie sich ans Werk. Aberwitz, Angesicht, Atemkraft fleißig sammeln sie Wörter und Zitate, in wenigen Jahren sollte es zu schaffen sein. Barfuß, Bettelbrief, Biermörder sie erforschen Herkommen und Verwendung, sie verzetteln sich gründlich. Capriolen, Comödie, Creatur am Ende ihres Lebens haben Jacob und Wilhelm Grimm nur wenige Buchstaben bewältigt. Günter Grass erzählt das Leben der Brüder Grimm auf einzigartige Weise als Liebeserklärung an die deutsche Sprache und die Wörter, aus denen sie gefügt ist. Er schreibt über die Lebensstationen der Märchen-Brüder, über ihre uferlose Aufgabe und die Zeitgenossen an ihrer Seite: Familie und Verleger, Freunde, Verehrer und Verächter.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.01.2011

Gutes hat Rainer Moritz über dies jüngste und, so raunt sein Verfasser, möglicherweise auch letzte Buch von Günter Grass zu sagen. Schlechtes allerdings auch. Das Gute betrifft vor allem jene (vorderen) Teile, in denen es tatsächlich um die Brüder Grimm und dabei wiederum ihr großes, zu Lebzeiten sehr unvollendetes Wörterbuch-Projekt geht. Bald aber und allzu merklich schiebe sich dann eine andere Figur in den autobiografischen Vordergrund, die sich erstens für bedeutend, zweitens für beinahe unfehlbar und drittens auch noch für verhöhnt und verspottet halte Ecce Günter Grass. Dessen Stärken sieht der Rezensent im wortreichen Spiel mit der Sprache; allerdings neige er dabei leider auch stets zu Überschwang und Barock ohne rechtzeitigen Stopp. Bleibt also, summa summarum, ein sehr gemischtes Vergnügen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 01.09.2010

Christiane Pöhlmann zeigt sich von Günter Grass' jüngstem Buch enttäuscht. Wenn im Klappentext steht, es handele sich dabei um eine Lebensgeschichte der Grimms, so ist das in ihren Augen  "Etikettenschwindel". Denn auch bei diesem Buch spielt einmal mehr das Autobiografische eine prominente Rolle, wie sie betont. Das, was Grass über die Brüder Wilhelm und Jakob Grimm erzählt, ist nicht neu, und sie bleiben wie ihr historischer Kontext bei ihm merkwürdig konturlos, beschwert sich Pohlmann. Dabei muss sie aber doch zugeben, dass die ersten drei Kapitel, die sich wie die übrigen am Alphabet orientieren, durch Sprachlust und Fabulierfreude mitreißen. Doch schon beim Buchstaben D diagnostiziert die Rezensentin dann maliziös einen "Durchhänger". Erst hier bemerkt sie, wie stark der gelobte Anfang des Buches durchkomponiert war, denn jetzt vermisst sie des Öfteren eine tragfähige Struktur. Haben ihr die Alliterationen und Assoziationen zu Beginn noch richtig Spaß gemacht, sieht sie sich jetzt gar mit zum Teil nicht einmal kurzweiliger "Plauderei" konfrontiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2010

Richtig behaglich ist dem Rezensenten zumute bei dieser Lektüre. Tatsächlich findet Hans-Martin Gauger nichts Schlechtes am (vom Autor selbst so angekündigten) "wohl letzten Buch" von Günter Grass. Im Gegenteil scheint ihm der Versuch gelungen, eine Grimm-Biografie, eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache und den dritten Teil der Grass'schen Autobiografie zwischen zwei, wie der Rezensent sich freut, überdies schön anzuschauende und anzufassende Buchdeckel zu packen. So folgt Gauger dem Grass bereitwillig bei seinen assoziativen Sprüngen von A wie Abwrackprämie zu P wie persönlich Politischem. Eine Freude für jeden, der Spaß an der Sprache hat und Muße dazu, meint Gauger. Und dass dieser Autor Bescheidenheit im Leben nicht mehr lernt, da wettet Gauger drauf. Das schadet dem Buch aber nicht.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.08.2010

Der Autor, mutmaßt die Rezensentin, hatte seine Freude an diesem Buch. Judith von Sternburg allerdings auch. So sehr sie Günter Grass (und sich als seiner Leserin) mitunter Weisheit und Uneitelkeit wünscht, so sehr weiß sie, dass da nichts zu machen ist. Denn buchstäblich von A bis Z altertümelt und schweift der Autor ab in die eigene Biografie, erzählt von den Brüdern Grimm (nicht gerade ultramodern, meint die Rezensentin) und hat vor allem: Recht. Grass' Belege seines Recht-Habens in Sachen DDR, RAF und so weiter liest Sternburg mal belustigt, mal mit Rührung. Schließlich hört sie aus den Texten nicht weniger als das Vermächtnis des Günter Grass heraus, der hier noch einmal alles gibt, auch das Nervtötende.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.08.2010

Den "Glanz der guten alten Dinge" verströmt dieses Porträt der Brüder Grimm aus Sicht von Iris Radisch, die auch von "altfränkischem Wohlbehagen", und einer gelungenen Nachahmung "altbiedermeierlichen Schmuckstils" spricht. Grundsätzlich begegnet sie dem jüngsten Grass-Buch außerordentlich wohlwollend, begibt sich höchst willig auf dessen Weg von Grimm zu Grass und wieder zurück. Denn eigentlich sei dieser Gelehrtenroman eine Doppelbiografie, schreibt sie. Es führe in die sprachliche Wohlsortiertheit des Grimmschen Universums ebenso, wie es auch eine politische Autobiografie von Günter Grass selber sei. Dabei sei der Weg von Grimm zu Grass stets der denkbar kürzeste, und so sieht sie die Grass-Grimm-Vergleiche von Jahrhundert zu Jahrhundert fliegen. Die Einsicht in die Stimmigkeit dieser Vergleiche werde beim Leser stillschweigend vorausgesetzt. Auch das Granteln und Mahnen nimmt die Kritikerin grundsätzlich gleichmütig hin, schränkt allerdings ein, derlei sei zwar Grass' geliebtem Deutschland meist gut bekommen, nicht aber der Literatur.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.08.2010

Thomas Steinfeld mag das neue Buch von Günter Grass ganz eindeutig nicht. Die Brüder Grimm mag er, ihr Wörterbuch mag er, dieses große von ihnen hinterlassene Nationaldenkmal, und eine Liebesklärung an sie in Form einer "rhapsodischen Erzählung" würde er auch mögen. Und wenn sich Grass darauf konzentriert, gefallen ihm auch einige Passagen des Buchs. Dann staunt er, dass sich sogar ein Wörterbuch erzählen lässt (Kehllaute: "brauchen, fauchen, suchen, fluchen sowie versprochen, gebrochen, gerochen"). Allerdings stört sich Steinfeld daran, dass sich Grass immer wieder selbst in Bild setze, ihm fehlt die Dramaturgie, und Grass sprachliche Altertümelei mag er auch nicht - schließlich hatten die Brüder Grimm auf radikale Erneuerung gesetzt. Als Minus veranschlagt er außerdem Ressentiments gegen Ärzte sowie "gehässige Nachreden" gegen den Frankfurter Geldadel.
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