Timothy Snyder

Bloodlands

Europa zwischen Hitler und Stalin
Cover: Bloodlands
C.H. Beck Verlag, München 2011
ISBN 9783406621840
Gebunden, 523 Seiten, 29,95 EUR

Klappentext

Mit zahlreichen Karten. Aus dem Englischen von Martin Richter. Timothy Snyder erzählt in seinem Buch drei miteinander verknüpfte Geschichten - Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen und die nichtjüdische Bevölkerung - so wie sie sich tatsächlich zugetragen haben: zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. "Bloodlands" gehört zu den historischen Büchern, die einen anderen Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts eröffnen. Noch bevor der Zweite Weltkrieg begann, hatte Hitlers zeitweiliger Partner und späterer Gegner Stalin bereits Millionen von Menschen umgebracht - und setzte dieses Morden während des Krieges fort. Bevor Hitler besiegt war, hatte er sechs Millionen Juden ermorden lassen - und ließ Millionen andere Menschen gezielt verhungern. All dies geschah auf einem einzigen Gebiet: den "Bloodlands" zwischen Russland und Deutschland. Doch als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, verschwand die Erinnerung an diesen millionenfachen Mord in der Dunkelheit hinter dem Eisernen Vorhang. Nicht nur unser Bild vom Holocaust erweist sich jedoch mit dem Blick auf die "Bloodlands" als unvollständig und westlich verzerrt. Auch die Geschichte Europas gewinnt ein verlorenes Terrain im Osten zurück: die gemeinsame Erinnerung an 14 Millionen Tote und die größte Tragödie der modernen Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.01.2012

Rezensent Sönke Neitzel mag sich gar nicht vorstellen, was Timothy Snyder passiert wäre, wenn er seine Geschichte zum großen Morden in den osteuropäischen Ländern vor zwanzig Jahren veröffentlicht hätte. Eine Zusammenschau von nationalsozialistischen und sowjetischen Verbrechen? Sich gegenseitig radikalisierende Gewaltherrschaften? Erleichtert registriert Neitzel daher, dass Snyders Buch überwiegend positiv aufgenommen wurde, denn es leistet Enormes: So eindrücklich hat der Rezensent noch nicht gelesen, wie sich die Massenmorde und Hungerpolitik in Polen, Weißrussland und der Ukraine zu einer gewaltigen Eruption der Gewalt hochschaukelten. Auf welche Fülle von osteuropäischen Sprachen der Autor dabei in der Literatur zurückgreifen kann, ringt dem Rezensenten großen Respekt ab. Im Einzelnen hat er jedoch durchaus Einwände anzubringen, vor allem einen Punkt findet er erstaunlich: Der Krieg selbst findet bei Snyder nicht statt, dabei lassen sich die Verbrechen an den Zivilisten in Neitzels Augen nicht von der brutalen Kriegsführung trennen, was besonders bei der Partisanenbekämpfung und den Rückzugsverbrechen der Wehrmacht der Fall sei.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.10.2011

Timothy Snyders Studie über die Massenmorde des NS- und Sowjetregimes richtet seine Untersuchung vor allem geografisch aus, stellt Jörg Später fest und das bereitet ihm Unbehagen. Die "Bloodlands" sind demnach Gebiete von den baltischen Staaten, Weißrussland und der Ukraine bis nach Westrussland und setzen mit den sowjetischen Hungersnöten von 1932 ein, erklärt der Rezensent. Für Später wird nicht recht ersichtlich, in welchem "Verhältnis" die Massenmorde zueinander stehen und wenn der Autor den Partisanenkrieg als Mitauslöser für den Naziterror bezeichnet, nimmt er bei Snyder durchaus "revisionistische" Tendenzen wahr. Indem Snyder einen "Gewaltraum" als ursächlich für den Holocaust und die stalinistischen Massenvernichtung ausmacht, knüpft er zwar an die "situationistischen" Thesen der aktuellen Gewaltforschung an. Hier kann es aber laut Rezensent nur dann zu tieferen Erkenntnissen kommen, wenn auch weitere Forschungen etwa zur Bedeutung des Antisemitismus mitbedacht werden, betont Später. Denn Snyders "Bloodlands" allein erklären nicht, warum beispielsweise die niederländischen und griechischen Juden in so großer Zahl der Vernichtungspolitik anheim fielen, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.09.2011

Anlass für einen neuen Historikerstreit bietet Timothy Snyders Werk über die Genozide Stalins und Hitlers nach Ansicht von Norbert Frei nicht, auch wenn das Buch ein Vierteljahrhundert nach dieser Debatte wie ein "finaler Kommentar" dazu erscheinen mag. Der Autor hält sich seines Erachtens allerdings nicht mit derartigen "programmatischen" Fragen auf. Die Intention Snyders sieht Frei darin, neben dem Leid der Juden, auch das der Polen, der Ukrainer und der Weißrussen  zu würdigen. "Beklemmender" als die statistischen Berechnungen des Autors, nach denen zwischen 1932 und 1945 14 Millionen Menschen in Osteuropa der Mordpolitik Stalins und Hitlers zum Opfer fielen, findet er die Schilderung der schrecklichen Details aus den Quellen. Er attestiert Snyder, die Vernichtungsaktionen Stalins und Hitlers in eindrucksvoller Dichte zu beschreiben und dabei immer wieder "ungewöhnliche Einsichten" zu liefern. Allerdings bleiben für ihn auch Fragen offen. So könne der Autor etwa nicht erklären, "warum der 'Krieg gegen die Juden' auch noch im Angesicht der Niederlage Priorität besaß". Frei moniert hier ein mangelndes Interesse Snyders an der NS-Ideologie. Auch sollte man sich in seinen Augen bewusst sein, dass dem Buch eine "historiografische Konstruktion" zugrunde liegt - "sowohl mit Blick auf ihren geographischen Raum wie auf ihren zeitlichen Rahmen".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.08.2011

Stefan Reinecke äußert sich durch und durch kritisch über Timothy Snyders Studie "Bloodlands", den teils hymnischen Besprechungen im englischen Sprachraum kann er sich jedenfalls nicht anschließen. Zwar bestreitet er nicht, dass das Werk Verdienste hat: etwa, dass Snyder das in vielen, kaum gelesenen Detailstudien angehäufte Wissen zusammenfasst und die "Realität des Terrors" in Osteuropa seitens Stalin und Hitler dem Leser leichter zugänglich macht. Nach Ansicht Reineckes unterläuft der Autor durch die These von der Gleichartigkeit des Hitler- und Stalin-Regimes seine eigene Absicht, die Opfer von Nationalsozialismus und Stalinismus in Osteuropa zu ihrem Recht zu verhelfen. An entscheidenden Punkten fehlt es Snyder für ihn an analytische Fähigkeiten und vor allem an Augenmaß.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.07.2011

Sehr skeptisch blickt Rezensent Ahlrich Meyer auf diese Studie Timothy Snyders, deren amerikanische Originalausgabe nicht einhellig, aber doch sehr kräftig gepriesen wurde. Einen "spatial turn" sieht Meyer hiermit in der Genozidforschung vollzogen, denn Snyder beschreibt das große Morden im Osten Europas aus dem politischen Raum heraus, ohne die Verbrechen aus den beiden totalitären Regimes heraus zu erklären, miteinander in Bezug zu setzen oder zu relativieren.  Nationalsozialistische und stalinistische Verbrechen reihen sich im Osten Polens, in Weißrussland und der Ukraine aneinander, erst die von Stalin herbeigeführte Hungersnot, der Terror und das Massaker von Katyn, dann die Erschießungen hunderttausender Juden durch die Wehrmacht und  die Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung. Meyer ist dabei unbehaglich. Zweifelhaft nennt er die Prämisse, dass die Konzentrationslager das Bild vom Holocaust etwas zu bestimmte, da die meisten Juden in Osteuropa erschossen wurden. Allerdings führt Meyer seine Zweifel daran nicht näher aus. Außerdem wirft er Snyder vor, den Partisanenkampf in seine große, etwas gleichmacherische Gewaltspirale einzuschließen und sich einer suggestiven Rhetorik zu bedienen, die keine Erklärungskraft besitze und mit der Zeit ermüde.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.07.2011

Viel hat sich der amerikanische Historiker Timothy Snyder in seinem Buch "Bloodlands" vorgenommen, und sein hier rezensierender Kollege Jörg Baberowski hat es mit großem Interesse zur Hand genommen hat: Snyder schildert darin die immensen Verbrechen, die Stalin und Hitler in Osteuropa begehen ließen. Keine andere Bevölkerung hat im Zweiten Weltkrieg einen solch hohen Blutzoll zahlen müssen wie die in der Ukraine und Weißrussland, wo erst die sowjetische Geheimpolizei wütete, dann die nationalsozialistischen Divisionen von SS, Wehrmacht und Polizei. Was das erzählerische Können betrifft, meint der Rezensent, hat Snyder ein Meisterwerk vorgelegt: Immer wieder gefror Baberowski beim Lesen der Schrecken das Blut in den Adern. Darüberhinaus will sich Baberowski den amerikanischen Lobeshymnen auf Snyders Buch aber nicht anschließen, seiner Ansicht nach bleibt Snyder, der chronologisch die Verbrechen erst der einen dann der anderen erzähle, nämlich die Antworten auf alle spannenden Fragen schuldig: In welchem Zusammenhang stehen diese Verbrechen denn? Bedingten, legitimierten und radikalisierten sie sich gegenseitig? Wie haben die Menschen diese Gewalträume selbst erlebt? Und wieso wurde überhaupt Osteuropa zu diesem Killing Field? Bei aller packenden Erzählung, meint Baberowski, Snyder hat sein Thema verschenkt.