Mario Levi

Istanbul war ein Märchen

Roman
Cover: Istanbul war ein Märchen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518419977
Gebunden, 844 Seiten, 24,80 EUR

Klappentext

Aus dem Türkischen von Barbara und Hüseyin Yurtdas. Seit mehr als 500 Jahren haben Juden aus aller Welt am Bosporus eine neue Heimat gefunden. Sie pflegen ihre Bräuche, feiern ihre Feste, erinnern an die Verfolgung und das erlittene Leid. Ausgehend von seiner eigenen Familie und deren Geschichte, entwirft Levi ein Kaleidoskop menschlicher Schicksale. Es sind Geschichten von gelebten und ungelebten Träumen, von erfüllten und unerfüllten Hoffnungen. Levi erzählt von Madame Estrella, die ihre Familie verlässt, um einen Muslim zu heiraten; von Monsieur Jacques, der mit seinem patriarchalisch geführten "Laden" eine vielköpfige Familie ernährt, und von dessen Bruder Nesim, den seine Liebe zur deutschen Kultur nicht vor dem KZ bewahrt; von Robert, dem Spieler und Lebemann, und der kinobesessenen Tilda; von aufopferungsvollen Frauen wie Madame Roza, Eva und Rahel, die aus ihrem Schweigen Kraft gewinnen, und von jungen Leuten, die sich der Tradition entziehen und auswandern.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.10.2008

Nicht als großen Wurf aber als großen Entwurf feiert Martin Krumbholz den "Jahrhundertroman" des jüdischen Türken Mario Levi. Das opulente Werk kreist um die  Lebensgeschichten Istanbuler Künstler, Kaufleute und Müßiggänger, aber eigentlich handelt es von der Erzählung selbst, die Levi als prinzipiell unabschließbares Kontinuum begreift, ein ewiger Strom, der "sich hin zu anderen Leben, Geschichten, Möglichkeiten" öffne, wie Krumbholz zitiert. Im Kern geht es um den melancholischen und verträumten Monsieur Jacques, der dem Roman auch die "Moll-Tonart und eine herrliche Melodie des Träumens und Scheiterns" vorgibt; in seiner Existenz versammeln sich stellvertretend die Wahrheiten und Irrtümer eines Lebens. Rätselhaft ist dem Rezensenten allerdings, warum das Buch das Wort "Märchen" im Titel führt, da es nichts Metaphysisches an sich hat. Die Erzählproduktion speist sich aus "der Dokumentation über die Empathie zur Autofiktion", was ganz dem modernen subjektiven Romanverfahren entspricht. Auch die tadellose, auf Eigenheiten Rücksicht nehmende Übersetzung lobt Krumbholz.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008

Ausgesprochen angetan ist Carsten Hueck von diesem Istanbul-Roman, in dem Mario Levi die Stadt in einen "beseelten Erzählraum" verwandle. Der Sohn sephardischer Vorfahren setzt auf europäische Literatur und Erzähltechniken, um den Dialog anzubieten, von der Türkei nach Europa, als Repräsentant einer jüdischen Minderheit und als ausgezeichneter Sprachkünstler, resümiert der Rezensent. Erbe und Mythos der Stadt werden darin auf geschickte Art angesprochen, und das türkische Lebensgefühl "Hüzün", Melancholie und Wehmut, evoziert. Levi schaffe es sanfter als "ein kubistischer Maler", die Feinheiten und Flüchtigkeit einzelner Momente wahrzunehmen. Hueck konnte in den modernistischen Versen, die ihn an Joyce erinnern, "große poetische Schönheit" finden. Eine leichte Lektüre, fügt er hinzu, sei der Roman jedoch nicht. Man müsse sich erst auf ihn einlassen.