Peter Handke

Die morawische Nacht

Erzählung
Cover: Die morawische Nacht
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518419502
Gebunden, 550 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Ort: der Balkan, die Morawa, ein Zufluss der Donau, ein Hausboot auf dem Fluss. Zeit: eine Nacht, vom späten Abend bis zum blauenden Tagesbeginn. Personen: Ein Autor, ein ehemaliger, ruft seine Freunde, sieben an der Zahl, auf das Hotelschiff, seine Enklave, wohin er sich ein Jahrzehnt zuvor zurückgezogen hat. Die erste Überraschung erleben die Bekannten gleich beim Betreten des Boots: Der für seine Distanz zu den Frauen berüchtigte Ex-Autor empfängt sie in Begleitung einer - Angestellten?, Gefährtin?, Geliebten? Auf das Abendmahl folgt eine lange Erzählung, in der die Stimme des Autors dominiert, in die sich zuweilen die Stimmen der anderen männlichen Anwesenden einpassen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.02.2008

In seiner Schönheit schlicht bezwingend scheint Michael Rutschky das neue Werk Peter Handkes, auch wenn dieser Autor für ihn eine ambivalente Figur bleibt, zumal wenn er sich politisch äußert. Skeptisch betrachtet er die jubelnden Kritiker, die kundtun, Handke habe seine Jugoslawien-Obsession hinter sich gelassen. Ein aktueller Zeitungsbericht, in dem Handke erklärt, er würde den Politiker Nikolevic von der radikalnationalistischen Partei zum Präsidenten wählen, wäre er Serbe, spricht für Rutschky hier eine andere Sprache. Nichtsdestoweniger räumt er im Blick auf das neue Buch ein, es sei schwer, "es nicht wunderschön zu finden". Er bewundert Handkes Prosa, die in seinen Augen einer "Ästhetik des Erscheinens" folgt, freut sich über Wortneuschöpfungen und amüsiert sich über Kalauer, die Veräppelung von Namen wie Gringo Bush, Josip Fisherman, A. Hüttler. Handkes literarisches Bestreben sieht Rutschky gegen das gerichtet, was diese Figuren repräsentieren: eine von außen aufgezwungene Normierung eines authentischen Lebenszusammenhangs, einer Landschaft, eines Orts. Insofern erkennt er bei Handke eine Annäherung an den Nationalismus des 19. Jahrhunderts, wobei er freilich präzisiert, es handle sich dabei um ein "literarisches Verfahren".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.01.2008

Als "selbstironische Bilanz (s)eines Dichterlebens" würdigt Andreas Breitenstein das neue Werk Peter Handkes, das ihn rundum überzeugt. Die Erzählung um einen ehemaligen Autor, der auf der Suche nach seinem verlorenen Selbst durch Europa reist, das Grab seines Vaters und seiner Mutter besucht, seinen Bruder, Politiker, Schulkameraden, Dichterkollegen trifft und mit Romanfiguren spricht, um am Ende wieder zu seinem Hausboot "Morawische Nacht" in Porodin zurückzukehren und mit Freunden zu feiern, nimmt nach Ansicht Breitensteins den entspannten Ton des Vorgängerwerks "Kali" auf, um ihn weiterzuführen Richtung "Revision und Versöhnung". Er würdigt die "gedankliche Reife" und "epische Weite" des Werks, das sich durch wunderbare Reise-Episoden, Meditationen und Alltagsbeobachtungen, autobiografische Erinnerungen und poetologische Reflexionen auszeichnet. Und nicht zuletzt findet er in dem Buch auch eine selbstironische Selbstprüfung Handkes.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.01.2008

Überrascht und begeistert zeigt sich Thomas Steinfeld von dieser neuen Erzählung von Peter Handke. So nämlich, wie er der Leserschaft hier kommt, habe man den Autor noch nicht erlebt. Natürlich sei er sprachlich und stilistisch wiederzuerkennen. In manchen Zügen schließt der Band auch sehr direkt an frühere Bücher Handkes an. Ganz erstaunlich aber findet Steinfeld die Offenheit, mit der sich der Autor hier nicht nur der Welt zugewandt zeigt, sondern auch, ansatzweise jedenfalls, mit sich selbst ins Gericht geht. Gerahmt ist das Buch durch eine Party, zu der sein Protagonist, ein Ex-Autor, Freunde auf sein Hausboot auf dem Donau-Nebenfluss Morawa lädt. Von dort aus aber wird gereist, auf die Insel "Cordura" (in der der Rezensent Krk wiedererkennt), aber auch nach Wien oder Kärnten. Die Reiseschilderungen werden zu literarischen Reportagen und zugleich geht es in der Erzählung um einen Erzähler, dem "die Zuhörer und Leser abhanden kamen", aber auch, so Steinfeld, immer um das Erzählen selbst. Der Rezensent ist, keine Frage, von diesem erstaunlich "jungen, klaren und rücksichtslosen" Peter Handke fasziniert.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.01.2008

Ausführlich bespricht Iris Radisch Peter Handkes neuen Roman, den sie als Fortschreibung seines "einzigen großen Lebensbuches" empfand, zu dem sie spätestens alle Bücher seit "Die Lehre des St. Victoire" gezählt wissen will. Dort nämlich habe Handke die entzauberte Welt zum ersten Mal zum Gegenstand gemacht und seitdem ein nicht unerhebliches Maß an literarischer Energie aufgebracht, sie schreibend zurück zu verzaubern. Im vorliegenden Fall führt das bei der Rezensentin jedoch schnell zur Überreizung. Auch wirkt Handkes Rückverzauberung im jüngsten Buch gelegentlich wie eine Computeranimation auf sie. Natürlich gibt es auch manches auf der Habenseite zu verbuchen: zum Beispiel eine gewisse Relativierung der nationalistischen Serbien-Ausflüge aus dem Jahr 1996. Aber auch gewohnte Qualitäten Handke'scher Prosa, meisterhafte Miniaturen beispielsweise, sorgen bei der Rezensentin mitunter für Lesegenuss. Insgesamt aber scheint angesichts weitgehend handlungsfreier Litaneien, "höherer Umstandskrämerei" und inszeniertem "Stottern, Verzögern, Fragen, Nachstoßen" ein gewisser Verdruss zu überwiegen. Vor lauter Budenzauber könne man aus Sicht der Rezensentin nämlich leicht das Herzstück dieses Buchs übersehen: die Rede der toten Mutter im Traum, die ihren verlorenen Sohn frei von der Schuld an ihrem Selbstmord spricht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.01.2008

Martin Krumbholz nimmt etwas überrascht und vielleicht auch ein bisschen erleichtert zur Kenntnis, dass das neue Buch von Peter Handke, das schon im Titel den Balkan als Reflexionszentrum angibt, keinerlei Zündstoff für politische Debatten enthält. Ein Schriftsteller, den man laut Rezensent getrost als Alter Ego Handkes lesen kann, wenn das Buch ansonsten auch keinen autobiografischen Hintergrund hat, hat Freunde auf sein Hausboot auf der Morawa eingeladen und erzählt ihnen eine Nacht lang von Erinnerungen einer Reise durch Europa, fasst der Rezensent zusammen. Politisch wie poetologisch gibt sich dieses Buch "defensiv" und beschwört nicht nur den "Balkan" als utopischen Ort jenseits politischer Auseinandersetzungen, sondern verteidigt auch die Literatur als Anschauungskunst gegenüber zweckgebundenem Schreiben. Für Krumbholz ist das jüngste Buch Handkes ein grandioses Werk, das, wenn es über ein Treffen von Maultrommlern in Wien oder über eine "multikulturelle Krypta" erzählt, mit wunderbar unmittelbaren und anschaulichen Beobachtungen aufwartet, die in dieser Form bei keinem anderen Autor heute zu finden sind, wie der Rezensent berückt preist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.01.2008

Als klar markierten Beginn von des Dichters Alterswerk begreift Rezensent Hubert Spiegel diese nicht eben schmal ausgefallene Erzählung von Peter Handke. Etwas wie eine lineare Handlung gibt es - vielleicht sollte man sagen: natürlich - nicht, dafür aber die Wiederbegegnung mit vielen von Handkes Lebensthemen. Der Balkan natürlich, bzw. ein seltsames Idealbild davon, dem der Dichter mit der bekannten Beharrlichkeit anhängt. Aber auch frühere Bücher: So taucht etwa Gregor Keuschnig aus "Die Stunde der wahren Empfindung" wieder auf, schreibt Spiegel. Es dominiere ein Erzähler, der freilich immer wieder auch beschimpft werde. Überhaupt scheint es vor allem die entschlossene Uneindeutigkeit des Tons, die den Rezensenten besonders fasziniert. Handke schwanke hier zwischen Satire und Autobiografischem, zwischen versponnenem Märchen und nicht zu unterschätzender Misogynie. Der Dichter "vergibt sich selbst", konstatiert Spiegel, der ihm da aber offensichtlich in nichts nachstehen will.
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