Hans-Jürgen Döscher

Seilschaften

Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts
Cover: Seilschaften
Propyläen Verlag, Berlin 2005
ISBN 9783549072677
Gebunden, 383 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Hans-Jürgen Döscher hat als erster Historiker die einst geheimen oder vertraulichen Protokolle früherer Untersuchungsausschüsse zu personalpolitischen Missständen im Auswärtigen Amt eingesehen, deren Glaubwürdigkeit in deutschen und amerikanischen Archiven quellenkritisch überprüft und die Grenzen parlamentarischer Kontrollen aufgezeigt. Seine Befunde werfen ein neues Licht auf die nationalsozialistische Vergangenheit und personelle Kontinuität im Außenamt sowie auf die von Seilschaften und Cliquen geübte fragwürdige Kumpanei mit belasteten Diplomaten. Die von Außenminister Scheel bereits 1970 angekündigte "wissenschaftliche Geschichte des Auswärtigen Amtes" ist nie erschienen. Döschers Buch liefert einen unverzichtbaren Beitrag zu der immer noch ausstehenden Auseinandersetzung des Auswärtigen Amts mit seiner NS-Vergangenheit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2006

Ohne wesentliche neue Quellen sei Hans-Jürgen Döschers drittes Buch über das Auswärtige Amt nicht mehr als eine "Zusammenfassung" der vorherigen, schimpft Henning Köhler. Das Vorhaben, dem Auswärtigen Amt nach 1945 sowohl eine Kontinuität zur Nazizeit nachzuweisen als auch seine Verstrickung bei der Ermordung der Juden, werde hier noch "zugespitzer" verfolgt. Warum, fragt der Rezensent, nennt der Autor dann nicht die genaue Zahl der Parteimitglieder samt dem Eintrittsdatum? Im Falle von Franz Krapf behaupte Döscher "kühn" dessen Mitarbeit beim Sicherheitsdienst, was aber nicht belegt sei. Auch bei dessen Perspektivenwechsel "vom eifernden Antifaschisten zum modischen Antiamerikanismus", so der Rezesent, arbeite Döscher mit "reinen Vermutungen". Köhler hätte stattdessen viel lieber gelesen, mit welchen Problemen das Auswärtige Amt seine Arbeit begonnen hat. Diese Frage werde von Döscher aber "vernachlässigt", ebenso wie die Rolle Konrad Adenauers. Laut Rezensent sind alle drei Bücher Döschers über das Auswärtige Amt sogar nichts weiter als eine "Pflege von Ressentiments".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.03.2006

Hans-Jürgen Döschers schonungsloses Buch über die nationalsozialistische Vergangenheit des Auswärtigen Amts ist bereits im Jahr 1995 erschienen. Die Neuauflage rechtfertigt für Rezensent Jörg Später die Debatte um die Nachrufe für Diplomaten, die in den nationalsozialistischen Apparat verstrickt waren. Döscher zeige zum einen in seinem Buch, wie stark das Auswärtige Amt in den nationalsozialistischen Apparat integriert war, wie gern sich die Diplomaten der NSDAP angeschlossen habe und wie einzelne Abteilungen an den Deportationen von Juden mitgewirkt haben. Zum anderen zeige er, wie wenig nach 1945 eine NS-Karriere einem Diplomaten geschadet habe. Im Gegenteil, in kaum einem Berufszweig wurden Altnazis derartig protegiert, wie Später feststellt. Nicht sei daher "absurder" als das Bild des vornehm-neutralen Diplomaten, der im eher Widerstand geleistet hätte als sich dem Regime anzudienen. Allerdings muss Später auch einräumen, dass das buch erhebliche Schwächen aufweist. Es sei recht ermüdend geschrieben, weder sonderlich spannend noch analytisch bestechend geschrieben. Und es lasse wichtige Fragen offen. Inhaltlich scheint es den Rezensenten trotzdem überzeugt zu haben.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.01.2006

Hans-Jürgen Döschers Untersuchung über das Außenministerium der frühen Bundesrepublik weist nach Ansicht von Rezensent Hans Arnold einige Schwachpunkte auf. Zwar wertet er die ausführliche Dokumentation einer Artikelreihe der Frankfurter Rundschau 1951, die sich mit dem personellen Aufbau des neuen Auswärtigen Amts (AA) befasste, sowie des daraufhin 1952 eingesetzten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages durchaus positiv. Auch die detaillierten Lebensläufe fast aller aus dem alten in das neue AA übernommenen Diplomaten erwähnt Arnold lobend. Diese Leistungen aber sieht Arnold durch einige Wermutstropfen getrübt. So findet er das Thema zu stark auf die Jahre 1951/52 eingegrenzt. Döscher verliere dabei aus dem Blick, dass der neue Auswärtige Dienst in der Zeit danach schnell auf über 1.000 Angehörige anwuchs, wodurch der Anteil von Altbeamten am gesamten Dienst kontinuierlich abnahm. Zudem relativieren sich für Arnold oft die Belastungen deutscher Diplomaten aus der Nazizeit, die der Autor als besonders gravierend herausstelle. Weiter kritisiert er, dass der historische Kontext in der Nazizeit wie auch in der Aufbauzeit des neuen AA unterbelichtet bleibt. Und schließlich hält er dem Autor vor, die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Jahre 1945 bis 1955 "völlig" zu verkennen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.11.2005

Nein, dieses Buch über die NS-Verstrickung des Auswärtigen Amts behagt dem Historiker Daniel Koerfer überhaupt nicht, auch wenn man glauben könnte, dass es eine kürzlich noch sehr beklagte Lücke füllen könne. Döscher behandelt die Neugründung des Auswärtigen Amtes unter Konrad Adenauer, der es, wie er 1950 erklärte, so wenig wie möglich "mit den alten Leuten" besetzen wollte. Allerdings kamen dann doch 158 der 576 hochrangigen Beschäftigten aus dem alten Ministerium. Doch hierbei, findet Koerfer, urteile Döscher viel zu einseitig: "Ich kann kein schmutziges Wasser wegschütten, wenn ich kein sauberes habe", zitiert er Adenauer und wirft Döscher vor, nicht schmutziges Wasser zu sehen, sondern nur "brackige Jauche". Denn das Auswärtige Amt sei auch unter Hitler keine "Mörderhöhle" gewesen, schreibt Koerfer. Viele Beamte mögen als hilfreiche Helfer fungiert haben, aber sie waren keine Verbrecher, und oft genug, entschuldigt Koerfer auch, mit SS-Ehrenrängen gelockt und absichtlich korrumpiert.