Frank Westerman

Ingenieure der Seele

Schriftsteller unter Stalin - Eine Erkundungsreise
Cover: Ingenieure der Seele
Ch. Links Verlag, Berlin 2003
ISBN 9783861533047
Gebunden, 288 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Niederländischen von G. Busse und V. Kiefer. Stalin träumte davon, mit Hilfe großangelegter Bewässerungsprojekte den technischen Fortschritt voranzutreiben und zugleich seinen Ruhm zu verewigen: Er wollte den Lauf großer Flüsse umkehren, die kasachische Steppe bewässern und ein Netzwerk von Schiffahrtskanälen anlegen. In dieser Gigantomanie sollten ihn die Schriftsteller unterstützen, denen er große Aufgaben bei der Umgestaltung des Denkens und Fühlens der Arbeiter zugedacht hatte. An der Seite der Wasserbauingenieure sah er in ihnen die "Ingenieure der Seele". Im Laufe der 30er Jahre erschienen so zahlreiche Romane und Erzählungen über den Bau von Staudämmen, Kanälen und Schleusen als Sinnbild der Schaffenskraft des sozialistischen Menschen und der Überlegenheit der sowjetischen Gesellschaft. Frank Westerman begibt sich auf eine abenteuerliche Reise durch das postsozialistische Rußland zu den Stätten des einstigen Geschehens und recherchiert zugleich die dramatischen Ereignisse um die Entstehung der Werke von Gorki, Paustowski und anderer Autoren.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2003

Mit seiner "literarischen Reportage" hat Frank Westerman den Geschmack Dietrich Geyers getroffen. Der ursprüngliche Wasserbauexperte und spätere Moskaukorrespondent einer niederländischen Tageszeitung hat mit seiner Reise zu den Originalschauplätzen der besprochenen Erzählungen einen "packend geschriebenen Bericht" vorgelegt, findet der Rezensent. Dass sich der Autor in seiner Erkundungsreise über die "Ingenieure der Seele" auf vier "namhafte Schriftsteller" beschränkt, findet er auch ganz in Ordnung. Allerdings habe der Autor zu Maxim Gorki nur "wenig mitzuteilen", was nicht schon altbekannt sei. "Anrührend" hingegen seien die Mitteilungen über Boris Pilnjak. Ausführlicher widme sich Westerman zwar auch Andrej Platonow, doch hat Geyer die "Glanzstücke des Buches" in den Kapiteln zum "Grandseigneur der Sowjetliteratur", Konstantin Paustowski, ausgemacht. Zwar könnten die "rasch wechselnden Zeitschnitte und Szenarien ... mitunter auch Verwirrung stiften", doch ist der Erfahrungsbericht des Autors ohne Zweifel "lesenswert", so der Rezensent abschließend.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Diese Buch über Schriftsteller der Stalinzeit hat drei Themenschwerpunkte, stellt der Rezensent Thomas Schmid fest: die Auswirkungen des Stalinismus auf die sowjetische Literatur, die "gigantischen Kanalisierungsprojekte" Stalins, und die ökologischen Konsequenzen dieser Unternehmungen. Der holländische Autor Frank Westerman, Moskau-Korrespondent, Hydrologe und intensiv an russischer Literatur interessiert, hat sich auf eine spannende Reise begeben, die ihn zu allererst zur Bucht Kara-Bugas am Kaspischen Meer geführt hat, teilt Schmid mit. Ihn beeindruckt das "mitunter atemberaubende Tempo" mit dem der Autor seine Leser durch die russischen Weiten jagt. Äußerst eindrucksvoll schildere Westerman die "wahnwitzigen" Projekte Stalins, der die Natur genauso wie die Menschen nach seinen Vorstellungen zu formen versuchte. Der Rezensent räumt ein, dass der Tonfall des Autors manchmal ziemlich "flapsig" ist, aber das sieht er der Absurdität der sowjetischen Zustände geschuldet. Ein "amüsantes Buch", lobt der Rezensent, obwohl er weiß, dass die darin geschriebene Geschichte, sowohl die der Literatur als auch die der Natur, "ziemlich traurig" ist. Aber immerhin ist Westerman dabei weder "peinlich" noch "zynisch", so Schmid anerkennend. Für ihn stellt das Buch eine sehr gelungene Mischung aus "Literaturgeschichte und Reportage" dar, und er preist es deshalb auch nicht zuletzt als "dramaturgische Meisterleistung".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.10.2003

Wladimir Kaminer kommt ins Schwärmen. Für ihn ist das Buch des Holländers Frank Westerman das beste, das er in den letzten Jahren über Russland gelesen hat. Wie Kaminer darstellt, ist es kein das Thema abschließend behandelnder Bericht über die Literatur unter Stalin. Vielmehr erzählt das Buch von einer wilden Entdeckungsreise, die den Autor an unerwartete Orte geführt hat: "Je mehr Westermann sich in die Recherche vertieft, umso unübersichtlicher werden seine Ergebnisse, die immer neue Fragen aufwerfen, statt Antworten zu geben". Neben seinen Ausflügen in ungewöhnliche Forschungsregionen arbeitet sich der Autor auch am Kanon ab: "Parallel dazu untersucht Westerman den sozialistischen Realismus, trifft sich mit den Nachfahren berühmter sowjetischer Schriftsteller". Kaminers abschließendes Fazit ist jedenfalls sehr enthusiastisch: "Noch zwei, drei solcher Holländer, und die russische Geschichte wird neu geschrieben".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.09.2003

Ein Glück und ein Fluch zugleich sei es, das mit Frank Westermann ein Reporter eine Geschichtserzählung liefert, schreibt Evelyn Finger. Die ersten Kapitel seines Buches, in dem er "das Wesen des Stalinismus anhand seiner Wasserbauwerke" - der großangelegte, mit Zwangsarbeitern durchgeführte, aber gescheiterte Plan zur Bewässerung der Wüste - beschreibt, seien "stellenweise unlesbar": lauter "peinliche Selbstauskünfte" und unwichtige Informationen. Doch Westermann fahre auch "ohne Visum in Salzwüsten, die noch kein Historiker betreten hat", und da erweise sich der Reporter als Glücksfall, zumal er auch die literarischen Quellen gründlich studiert habe. Denn Westermanns Thema ist eigentlich der "Überbau zu Stalins Staudämmen": die Schriftsteller, die gemäß Lenins Diktum von der Kunst als Machtinstrument das Loblied der großartigen Bauwerke singen sollten, die das auch taten, die sich aber nie darauf verlassen konnten, dass ihre neueste Hymne auf den Aufbau der kommunistischen Zukunft nicht im nächsten Augenblick Anlass bieten würde für eine Deportation oder gar Hinrichtung. Die "Erzieher des so genannten neuen Menschen" bewegten sich auf zwangsläufig unsicherem Boden, denn sie waren der "absurden Logik des Überwachungsstaates" ausgeliefert, so Finger, die sich in Westermanns "mäandernden Erzählungen" anschaulich erschließe - Reporter hin oder her.