Ingeborg Bachmann

Die Radiofamilie

Cover: Die Radiofamilie
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN 9783518422151
Gebunden, 411 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Joseph McVeigh. Im Herbst des Jahres 1951 tritt eine "kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar, die mehr flüsterte als sprach" in die Hörspielabteilung des amerikanischen Besatzungssenders Rot-Weiß-Rot in Wien ein. Ingeborg Bachmann, so der Name der jungen Frau, wird für die nächsten beiden Jahre das Unterhaltungsprogramm des Senders prägen und die Radiofamilie Floriani zur bekanntesten und beliebtesten Sendung der Nachkriegszeit machen. Sie sind bürgerlich, und sie sind verschroben, die Florianis: Da ist Hans, der Paterfamilias, Oberlandesgerichtsrat und ehrenhaft bis in die Knochen. Von den rotzfrechen Kindern wird er um den Finger gewickelt: "Ich bin eine komische Figur in meiner Familie", beklagt er sich bei seiner Frau Vilma, Generalstochter aus dem Ersten Weltkrieg, "also ein bisserl etwas Höheres", und in dieser Frage nicht gewillt, dem Herrn Gemahl zu widersprechen. Strenger geht sie da schon mit dem Onkel Guido ins Gericht, dem Halbbruder des Oberlandesgerichtsrats. Er war ein Nazi, aber ein kleiner, der sonst nichts angestellt hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.07.2011

Gerne wüsste Judith von Sternburg etwas mehr über die genauen Zusammenhänge dieser jetzt zur Verblüffung der Nachwelt aus den Archiven aufgetauchten frühen Radioarbeiten der später für anderes berühmten Ingeborg Bachmann. Hier geht es - bis 1953 unter Beteiligung Bachmanns - recht soapmäßig und im Sinne der Reedukation um eine Wiener Familie mit Namen Floriani. Das nicht immer tadellose Verhalten der Nazis kommt vor, sehr vieles jedoch ist einfach dialogisch beschriebenes Leben im Wiener Nachkriegs-Alltag. Wie stark sich die hier versammelten, von Bachmann (mit)geschriebenen Episoden von den anderen unterscheiden, ist dem Band zu von Sternburgs Bedauern nicht zu entnehmen. Sehr viel mehr als eine "Brotarbeit" sei das ohnehin nicht, allerdings auf literarisch deutlich höherem Niveau als etwa unsere Sonntags-Soap namens "Lindenstraße".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.07.2011

Rezensent Franz Haas hat zwar keine Angst, dass die Veröffentlichung von Ingeborg Bachmanns Beiträgen für die Radioserie "Die Radiofamilie" für den amerikanischen Besatzungssender "Rot-Weiß-Rot" in Wien den Ruf der Schriftstellerin ernsthaft beschädigen könnte. Zum Ruhm allerdings werden die seichten Unterhaltungsgeschichten um eine gutbürgerliche Wiener Familie, die die österreichischen Hörer der Nachkriegszeit "sanft umerziehen" sollten, auch nicht gereichen, davon ist der Rezensent überzeugt. Kaum auszuhalten sind für ihn die vielen Klischees, die Harmlosigkeit und die angepasste Biederkeit, mit der Bachmann das Alltagsleben der Familie Floriani schildert, genauso wie die "reflexartige" Lobhudelei der Kritik. Nur in der 20. Folge der "Radiofamilie", in der ein jugoslawischer Kriegsflüchtling auftaucht, geht die Autorin über die Klamauk-Grenze hinaus und erreicht eine gewisse Tiefe, das bleibt aber die einzige Ausnahme, wie Haas betont.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.07.2011

Mit Vergnügen hat Rezensent Friedmar Apel die 15 Folgen gelesen, die Ingeborg Bachmann im Nachkriegsösterreich für die Rundfunkserie "Die Radiofamilie" geschrieben hat. Auftrag war, am Beispiel einer Durchschnittsfamilie auf heitere Art die demokratischen Werte zu vermitteln, so der Rezensent. Bachmann nahm sich wohl die dialektgefärbten Dialoge von Nestroy, Schnitzler und Kraus zum Vorbild, denn alles in allem, meint Apel, erfüllte sie ihren Auftrag "mit leichter Hand". Manchmal konnte sie sogar weniger amüsante Episoden einstreuen, wie die um einen Serben, der von Deutschen, Kroaten und Österreichern mies behandelt wurde, erfahren wir.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.06.2011

Helmut Böttiger entdeckt in Ingeborg Bachmanns Anfang der 1950er Jahre für die Radio-Serie "Die Radiofamilie" verfassten Folgen eine von jedweder Schreibhemmung befreite Schriftstellerin, die trotz des Unterhaltungsanspruchs ihre Themen darin verfolgte. Die Autorin hat später ihre Mitarbeit an der Serie für den österreichischen US-Besatzungssender "Rot-Weiß-Rot" mehr oder minder verleugnet und die Texte waren lange verschwunden, bis sie in den 90er Jahren im Nachlass ihres Kollegen Jörg Mauthe wieder entdeckt wurden, lässt Böttiger wissen. Der Rezensent macht hier eine Überschneidung "mehrerer Selbstentwürfe" im Schaffen Bachmanns zwischen ihrem Auftreten in der Gruppe 47 als ambitionierte Lyrikerin und ihrer "verblüffend unbeschwerten" Radioproduktion aus. Er glaubt, die Autorin habe sich bei ihren Geschichten um den Oberlandesgerichtsrat Dr. Hans Floriani und seine Familie, die durchaus die jüngste Vergangenheit Österreichs aufgreifen, daneben aber auch viele komische Begebenheiten erzählen, Erholung von ihrer schwierigen Schriftstellerexistenz verschafft.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.05.2011

Mit großer Freude hat Ina Hartwig diese Edition aufgenommen, die Ingeborg Bachmann als Autorin einer Radioseifenoper outet. Bachmann hat sich mit ihrer Arbeit an der "Radiofamilie" um den ehrenwerten Oberlandesgerichtsrat Hans Floriani selbst eher bedeckt gehalten, Rezensentin Hartwig vermutet, dass die Dichterin um ihren Ruf fürchtete, begann Anfang der Fünfziger doch gerade ihr kometenhafter Aufstieg. Dabei findet die Rezensentin nicht, dass Bachmann mit der Arbeit hinterm Berg halten muss: Die Skripte sind natürlich keine hohe Kunst, aber clever konzipiert und volkspädagogisch wertvoll - die Sendung wurde vom österreichischen Alliiertensender Rot-Weiß-Rot ins Leben gerufen -, Bachmann arbeitete in den ersten beiden Jahren mit, bis sie 1953 von Wien nach Rom zog, später wurde die Serie vom Österreichischen Rundfunk ausgestrahlt. Doch so sehr Hartwig diesen Band begrüßt, mit der Interpretation des Herausgebers ist sie nicht einverstanden: Bachmann hat hier keine Dämonen gebannt; die Harmlosigkeit, mit der Nazi-Onkel Guido dargestellt wird, entsprang ganz bestimmt nicht Bachmanns Sinn für die zurückliegenden Abgründe.