Alain Corbin

Auf den Spuren eines Unbekannten

Ein Historiker rekonstruiert ein ganz gewöhnliches Leben
Cover: Auf den Spuren eines Unbekannten
Campus Verlag, Frankfurt am Main 1999
ISBN 9783593361758
gebunden, 331 Seiten, 29,65 EUR

Klappentext

Alain Corbin stellt am Beispiel des Holzschuhmachers Louis-Francois Pinagot (1798-1876) dar, wie ein Historiker quasi aus dem Nichts das Porträt eines Unbekannten und seiner Zeit schaffen kann. Ein Prozess, den man Schritt für Schritt mitverfolgen kann, bis sich schließlich das Gesamtbild eines lange vergessenen Menschen puzzleartig zusammenfügt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.12.1999

Peter Schöttler hält Corbins Versuch, die Welt eines Menschen zu beschreiben - ohne dabei in Spekulationen zu verfallen -, von dem man fast nichts wissen kann, für gelungen. "Fantasievolle Grundlagenforschung" nennt Schöttler dies und ist spürbar fasziniert von Corbins Ergebnissen. Man erfahre nicht nur etwas über Pinagots soziales, wirtschaftliches und politisches Umfeld. Sogar "seine Sprache und den Klang seiner Holzschuhe" beschreibe Corbin. Dass Pinagot als Individuum letztlich unfassbar bleibt, stört den Rezensenten nicht. Wenn nicht ausgerechnet das Verzeichnis der Wehrpflichtigen seines Jahrgangs verschollen wäre, hätte man sogar etwas über seine Haar- und Augenfarbe erfahren können. Ansonsten aber bietet dieses Buch über sein eigentliches Thema hinaus auch einen guten Einblick in das französische Archiv- und Verwaltungswesen dieser Zeit, wie Schöttler findet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.10.1999

Volker Reinhardt bespricht Alain Corbins Biografie eines historischen Niemands mit der Verve eines Liebenden. Er ärgert sich, er kann an dem Buch kein gutes Haar lassen, er sieht jede Menge Fehlgriffe - und dennoch feiert er den Historiker Corbin und leidet mit ihm. Mit viel Wortwitz und ebenso viel Charme stellt er Corbins Versuch vor, eine historische Null ins Leben zurückzurufen: Den Holzschuhschnitzer Louis-Francois Pinagot aus Origny-le-Butin im Nordwesten Frankreichs, über den man nur weiß, was in den Akten der Behörden festgehalten wurde, nämlich Geburts-, Hochzeits- und Todestag. Wahrscheinlich erging es Reinhardt beim Lesen des Buches genau wie dem Leser seiner Rezension. Man erkennt sofort die Schwachpunkte und bleibt trotzdem dabei. Zwei Punkte hebt Reinhardt hervor: Erstens interessiert sich wirklich kein Mensch für Louis-Francois Pinagot, auch nicht für seinen Herkunftsort. Und zweitens ist es paradox, ein Individuum aus dem geschichtlichen Umfeld heraus zu bestimmen. Und dennoch ist Reinhardt fasziniert von diesem "oft geistreichen, immer gelehrten" Buch.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.10.1999

Urs Hafner macht keinen Hehl daraus, dass er Corbins Versuch, in diesem Buch einen "Namenlosen" auferstehen zu lassen, für gescheitert hält. Per saldo habe Corbin gegen seine eigene Absicht Mikrohistorie betrieben, in dem er - zwangsläufig - mehr die Lebensbedingungen und den möglichen Alltag Pinagots beschrieben habe als die Person selbst. Gravierender findet der Rezensent jedoch, dass es Corbin nicht gelingt, dem Leser eine Vorstellung von Pinagots Persönlichkeit zu vermitteln. Kaum sein Name bleibe nach der Lektüre im Gedächtnis des Lesers haften.