T Cooper

Lipshitz

Ein Roman
Cover: Lipshitz
Mare Verlag, Hamburg 2006
ISBN 9783936384338
Gebunden, 489 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. 1907: Als in Russland Pogrome ausbrechen, entkommt Familie Lipshitz nur mit knapper Not. Vater Hersch und Mutter Esther wandern mit ihren vier Kindern nach Amerika aus. Doch als sie endlich Ellis Island erreichen, ist Ruben, der jüngste Sohn, verschwunden. Esther hofft, den kleinen Blondschopf im Meer der dunkelhaarigen Einwanderer schnell zu finden. Doch Ruben taucht nicht wieder auf. 1927, über zwanzig Jahre später, liest Esther in der Zeitung von dem jungen Charles Lindbergh, der gerade mit der Spirit of St. Louis als erster Mensch nonstop den Atlantik überflogen hat. Auf der Titelseite prangt sein Foto: blond, blauäugig, 25 Jahre alt. Es trifft Esther wie ein Blitz. Für sie ist jeder Zweifel ausgeschlossen: Lindbergh ist ihr verlorener Sohn. 2002: T Cooper, letzter Spross der Lipshitz, heizt in New York auf Bar-Mizwas den kreischenden Kids als Eminem-Double ein. Als Ts Eltern bei einem Autounfall umkommen, kauft sich T einen Modellbausatz der Spirit of St. Louis und beginnt, Stück für Stück Lindberghs Flugzeug zusammenzusetzen, fest entschlossen, in eine Familienchronik voller Fragezeichen endlich eine verdammte Antwort einzutragen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.04.2007

Oliver Jungen ist der Quadratur des Kreises begegnet. Leben im Buch ist möglich, erklärt er begeistert nach der Lektüre von T Coopers Roman "Lipshitz". Verfall einer Familie, Szenen einer Ehe, Gesellschaftsroman, ja schon, alles irgendwie, meint Jungen, doch so wie hier, ist ihm das offenbar noch nicht passiert. Staunend rekonstruiert er die Brüche und Travestien des Romans, die ihm selbst in der Rückschau reizvoll ungelöst erscheinen, und schwelgt in der "episch-einfühlsamen" wie in der "abweisend-slanghaften" Tonart, derer sich die Autorin abwechselnd bedient. Groß findet Jungen die Losgelöstheit des Textes von bekannten Erzählmustern und Bezügen. Das Monolithische aber macht ihm keine Angst, dafür sorgen "Charme, mentalitätsgeschichtliche Versiertheit und analytische Schärfe" und ein "vorindustrieller", sprich empathischer Humor. Ach ja, zwei Romane, wie einige Kritikerkollegen zu sehen meinten, kann Jungen in diesem Buch nicht entdecken, nur einen mächtigen Zeitsprung, mit dem sich der Tonfall ändert.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.01.2007

Als "sehr vergnügliche literarische Gender Study" hat Rezensent Ulrich Baron T Coopers Familienroman aufgefasst, den er nicht nur für "Humor und Verve", sondern auch für die "gelungenste Modellbauszene der Weltliteratur" feiert. Coopers Roman schlägt Baron zufolge den Bogen von den antisemitischen Pogromen im zaristischen Russland bis in New Yorks Rapper-Szene. Heldin ist seinen Informationen zufolge ein Mädchen, das sich auf Bar Mitzwas als Eminem-Double verkauft, bis die jüdische Welt dann eines Tages erfährt, dass sie ein Mädchen ist. Auch Charles Lindbergh spielt, wie wir lesen, eine Rolle, weil die Familien-Stammmutter Esther in ihm ihren bei der Einwanderung nach Amerika verlorenen Sohn Ruben zu erkennen glaubt. Insgesamt kommt der Rezensent schließlich begeistert zu der Erkenntnis: "Auch Jugendkulturen haben ein Geschichtsbewusstsein".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2006

Als "glänzend durchkomponierten" , "leichtfüssig erzählten" Schmöker für lange Winterabende feiert Rezensent Ulrich Rüdenhauer diesen Familienroman über eine russisch-jüdische Familie, die Anfang des 20. Jahrhundert nach New York auswandert und der im Gewühl der Einwandererinsel Ellis Island ein Kind abhanden kommt. Dieser verschwundene Sohn werde zum geheimen Zentrum des Romans, der für den Rezensenten von seinen vielen Charakteren ebenso lebt wie von der sehr genau recherchierten und beschriebenen ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Die 1972 in Los Angeles geborene Autorin blende Zeitungsartikel und Archivmaterial ebenso in die Handlung ein, wie Autorenstimmen von Bert Brecht bis Philipp Roth. Doch bei aller erzählerischen Opulenz und epischen Breite werde der Roman niemals geschwätzig, gibt der Rezensent beeindruckt zu Protokoll. Denn der Autorin gelänge das Kunststück, all ihr Material jeweils aus den Geschichten ihrer Figuren heraus zu präsentieren - der Familienmutter Esther, den übrig gebliebenen Kindern und in Amerika geborenen Enkelkindern - weshalb sich die Atmosphäre des Romans für Rüdenhauer eher aus Details wie Dialogen und Alltagsgeschichten, aus der geschickten Mischung von Gefundenem und Erfundenem heraus entwickelt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.10.2006

Die Rezensentin Wiebke Porombka zeigt an drei historischen Romanen (Bernd Schroeders "Hau", Felicitas Hoppes "Johanna" und T. Coopers "Lipshitz"), was der historische Roman der Gegenwartsliteratur beizubringen hat: die Reflexion über das Verhältnis von Fakt und Fiktion und den Willen zur bedingungslosen, poetischen Aneignung des Geschehenen. In "Lipshitz" erzähle T. Cooper die Geschichte ihrer eigenen Familie, die in den 20er Jahren aus Russland in die USA ausgewandert ist. Beim Verlassen des Schiffes, erzählt die Rezensentin, geht der fünfjährige Ruben verloren und bleibt unauffindbar. Die Mutter versperre jedoch allem Vergessen oder Verdrängen den Weg, indem sie Jahre später der wahnhaften Überzeugung verfällt, es könne sich bei dem heldenhaften Piloten Charles Lindbergh nur um den verschwundenen Ruben handeln. Der letzte Teil des Buches, der etwas abrupt in die Gegenwart springt und sich mit den Umständen seiner eigenen Entstehung beschäftigt (ein Pappkarton auf dem elterlichen Dachboden), birgt für die Rezensentin den eigentlichen Reiz des Romans. Cooper nähere sich der Erinnerung auf fast "schnodderige" Weise, schwinge sich zu keinerlei metaphysischen Betrachtungen empor, doch ihr Schreiben setze den poetischen Willen zur Aneignung um: "Nicht ein Fitzel ist wahr, auch wenn einige Vorfälle stimmen, und andere auch, obwohl ich sie erfunden habe."