Hans Ulrich Gumbrecht

Die Macht der Philologie

Über einen verborgenen Impuls im wissenschaftlichen Umgang mit Texten
Cover: Die Macht der Philologie
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518583685
Broschiert, 137 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Philologie ist seit mehr als zwei Jahrtausenden die Beschränkung auf die Pflege historischer Texte gewesen, wie sie für die eher bescheidenen Nachgeborenen von "großen Epochen" in der westlichen Kultur typisch war. Philologie konzentriert sich auf das Sammeln, Restaurieren, Rekonstruieren und Kommentieren von Texten aus meist entlegenen Vergangenheiten. In seinem neuen Buch bezieht Hans Ulrich Gumbrecht eine prägnante Position zwischen den neuen, durch stetige Expansion vom Konturenschwund bedrohten Kulturwissenschaften und der Tradition einer selbstgenügsamen Konzentration allein auf Texte.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.11.2003

Die Macht der Philologie, erklärt Rolf-Bernhard Essig, ist für Hans Ulrich Gumbrecht eine, die ihre Wirkung gerade in der Zweckfreiheit entfaltet. Sie schaffe die Bedingung, "sich einer geistigen Herausforderung stellen zu dürfen, ohne zu einer raschen Reaktion oder gar zu einer schnellen Lösung verpflichtet zu sein", zitiert Essig Gumbrechts These. Luxus also, aber einer, auf den man nicht verzichten kann. Doch auch wenn Essig dem Philologen darin gern beipflichten mag, erscheint ihm der von Gumbrecht eingeschlagene Weg dahin recht umständlich. Er charakterisiert den Text als einen parkähnlichen Großessay, dessen Gedankengänge "teils zugewuchert, teils ausgetreten, teils verschlungen" seien, geleitet von Assoziationen und Suggestionen, von Hypothesen und Behauptungen. Doch dafür entschädigen Essig Selbstkritik und Selbstironie des Autors sowie eine alles in allem "blütenreiche Flora".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.09.2003

Nichts geringeres als einen ausgeprägten, durchaus psychoanalytisch zu erläuternden Willen zur Macht, genauer vielleicht: Bemächtigung, wittert Hans Ulrich Gumbrecht im - wie der Rezensent Michael Adrian formuliert - "vermeintlich so staubtrockenen" Geschäft des Philologen. Jeder philologische Kommentar, überspitzt gesagt, ein "Begehren nach Präsenz", der Wunsch, sich an die Stelle dessen zu setzen, den man kommentiert. Die Kehrseite dieses Verlangens ist der notwendige Entzug des Textes, der es erst ausgelöst hat, was das ganze zu einer, so Adrian, "eigentlich perversen Tätigkeit" mache. Bis dahin scheint der Rezensent Gumbrecht beinahe folgen zu wollen - macht dann aber seine grundsätzlichen Bedenken deutlich. Das alles nämlich laufe bei Grumbrecht auf einen erstaunlichen Traditionalismus hinaus, etwa im Bemühen, die Autorenintention als Kohärenzgarantie zu rehabiliteren. Was bei der Imagination des direkten Kontakts des Forschersubjekts mit einem Autorensubjekt verschwindet, so die Warnung des Rezensenten, ist dann das für die Philologie doch eigentlich Entscheidende: der Text.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.06.2003

Hans Ulrich Gumbrecht: Die Macht der Philologie Was für ein eleganter Essay, lobt Kersten Knipp - eines Philologen und Romanisten, der eine Lanze für die historische Textarbeit und Textpflege bricht, durchaus würdig. Er steht allerdings in einem gewissen Kontrast, merkt Knipp an, zu Gumbrechts älterer Schrift über die Romanistenzunft, in der er die einstige Größe seines Fachs für unwiederbringlich verloren erklärt hatte. Die fremdsprachliche Philologie, für die sich Gumbrecht so mitreißend erwärmt, das Zusammenfügen der Fragmente, ihre Verortung, Verbindung und anschließende Kommentierung, das alles leistet in diesem Sinne keine reale oder politische Mittlerschaft mehr, wie sie die Romanistik einst betrieb, kommentiert Knipp. Um so sympathischer findet er Gumbrechts offenes Bekenntnis, dass die Welt durchaus auch ohne Philologen auskäme, der Philologe jedoch einige nützliche Tugenden einübe wie "Ausdauer, Wendigkeit, Bescheidenheit". Hinzu kommt, dass der Umgang mit historischen Texten und alten Büchern bei Gumbrecht zu einer sinnlichen Erfahrung wird - mit ansteckender Wirkung.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.05.2003

Hans Ulrich Gumbrechts "Macht der Philologie" hat Rezensent Valentin Groebner bestens gefallen. Mit "Verve" und in "vergnügtem Plauderton", freut sich Groebner, erzählt Gumbrecht von der literaturwissenschaftlichen Arbeitspraxis und von der Begeisterung der Gelehrten für das Fragment. Das Edieren charakterisiere Gumbrecht als den Wunsch des Herausgebers, "den toten Autor selber buchstäblich zu verkörpern und sich in seinen Text einzuschreiben", die Praxis des Kommentierens "als unaufhörliches gelehrtes Vollschreiben der Ränder", hält Groebner fest. Wenn sich Gumbrecht gegen die Krisenwahrnehmung des eigenen Fachs wendet, ist ihm der Beifall des Rezensenten sicher. Ein wenig bedauerlich findet Groebner allerdings, dass Gumbrecht nichts zu den Institutionen sagt, in denen Philologen arbeiten, den Universitäten "mit ihrem Netzen von Patronage, Abhängigkeit, Klientelbeziehungen und mit dem guten alten Klebstoff kollegialen Neides". Aber vielleicht, so die Hoffnung des Rezensenten, schreibt Gumbrecht in einer Fortsetzung darüber.
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