George Steiner

Warum Denken traurig macht

Zehn (mögliche) Gründe
Cover: Warum Denken traurig macht
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518418413
Gebunden, 90 Seiten, 14,80 EUR

Klappentext

Mit einem Vorwort von Durs Grünbein. Aus dem Englischen von Nicolaus Bornhorn. Anwesend waren Traurigkeit, tristitia oder tristesse in George Steiners Prosa seit jeher: als Gedanke, Thema und Gestimmtheit. Nun aber stellt er sie, von Schelling ausgehend, in den Mittelpunkt einer Meditation über Glanz und Elend der Reflexion. Grundiert ist alles Denken durch Schwermut, die in jedem Gedanken vernehmbar bleibt und sich fortpflanzt - so die von Steiner gewählte kosmische Analogie - wie das Hintergrundrauschen als Echo des "Urknalls ". Zweiflerisch ist dieses Denken und durchdrungen vom Gefühl seiner Vergeblichkeit. Es ist unberechenbar und heillos individuell, verschwenderisch und kreisschlüssig, eingeschränkt in den Grenzen der Sprache, axiomatisch, neurophysiologisch determiniert. Es ist, als "Großes Denken", weit entfernt von Mehrheitsentscheidungen und allgemeiner Anerkennung. Es ist aussichtslos, führt schließlich zu nichts. Und doch ist es die einzig menschenwürdige Anstrengung. George Steiners Schrift ist eine Variation in zehn Sätzen auf ein Thema von Schelling, das Produkt einer persönlichen Ästhetik, ein Stück Gedankenmusik, ein logisches Gedicht.

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

George Steiners Buch "Warum Denken traurig macht" ist ein bitteres Rondo in zehn Sätzen, die herzerweichende Bilanz eines Gelehrtenlebens. Am Ende eines jeden Nachdenkens - so Steiner - steht die Einsicht in seine Vergeblichkeit. Die Suche nach Wahrheit wird nicht durch Erkenntnis belohnt, sondern durch "Zweifel und Frustration". Das Ergebnis ist immer ein Widerspruch. Alle Anstrengung geht ins Leere. Seit Parmenides wurde nichts Neues entdeckt. Die Arbeit am Begriff fördert nichts zu Tage. Je mehr man nachdenkt, desto tiefer gerät man ins schwarze Loch der Melancholie. Man mag das Denken preisen, die Wahrheit aber ist: Man entkommt ihm nicht. Der Mensch - und wahrscheinlich nicht nur er - ist ein Lebewesen, das gar nicht anders kann als denken. Selbst die paar Sekunden, die er den Atem anhält, kann er nicht aufhören zu denken. "Denk doch mal nach!" - diese pädagogische Ermahnung heißt in Wahrheit: Hör' auf selbst zu denken, denke gefälligst, was ich möchte, dass Du denkst. Man mag das Denken, so Steiner, als Lust empfinden, aber es ist eine Fron, der man nicht entkommt...
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2006

Mit großem intellektuellen Vergnügen hat sich Rezensent Martin Krumbholz diesen "pathetischen, furiosen" und "durchaus kulturpessimistischen Gedankenrausch" zu Gemüte geführt. Wesentliche These George Steiners scheint zu sein, dass Denken sinnlos ist. Selbst die größten Denker hätten in der Regel ein bis zwei Gedanken in ihrem Leben. Der Rest sei als Endlosschleife von Wiederholungen und Variationen nur Makulatur. Krumbholz findet es ein bisschen schade, dass Steiner sich nicht dezidierter mit der Schelling-These auseinander gesetzt hat, die er seinem Essay als eine Art Motto vorangestellt hat - dass nämlich der Mensch auf der Welt sei, um seine Traurigkeit durch Erkenntnis zu überwinden. Auch liegen für den Rezensenten einige Möglichkeiten, Steiners Thesen komplett auseinander zunehmen, ziemlich klar auf der Hand. Aber weil er spürt, dass hinter Steiners "leidenschaftlichem Plädoyer" für die "Lust an der Traurigkeit" eigentlich die Verzweiflung eines "engagierten Monotheisten" über die Gottlosigkeit dieser Welt steckt, verwirft er alle argumentative Gegenwehr gegen Steiners Pessimismus als kontraproduktiv.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.11.2006

Scharf geht Jens Bisky mit Georg Steiners Überlegungen zur Frage "Warum Denken traurig macht" ins Gericht. Er hält dem angesehenen Literaturwissenschaftler vor, ein "sattes Behagen an der Traurigkeit" zu praktizieren. Damit nicht genug. Die Ausführungen Steiners können Bisky in keiner Weise überzeugen: die Begriffe des Denkens und der Traurigkeit bleiben für ihn höchst unklar und vage, die aus der abendländischen Geistesgeschichte bekannten Motive und Argumente über den Zusammenhang von Melancholie und Denken werden seines Erachtens sträflich "vergröbert und verwässert", die dem Traktat zugrundeliegenden Schelling-Zitate gekürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Die Antworten, die Steiner auf die Titelfrage gibt, scheinen Bisky von einer nichtssagenden "leeren Allgemeintheit". Mit Nachdenken über die menschliche Natur hat das Ganze nichts zu tun. Er sieht hier vielmehr die banalen Ängste und Wünsche einer Mittelstandsgesellschaft am Werk, die ihre "Hässlichkeit und Nichtigkeit zur conditio humana" hochstilisiert.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 21.11.2006

Martin Meyer sieht sich nach der Lektüre von George Steiners Traktat über die Traurigkeit des Denkens veranlasst, ihm ein aufmunterndes "Kopf hoch, Herr Professor" entgegen zu rufen. Gar zu trist gerät ihm offenbar Steiners Buch, das er in die Traditionslinie melancholischer Philosophen wie Schopenhauer, Heidegger und Adorno eingebettet sieht. Dabei stelle Steiner mit der Trauer und Melancholie, in die das Denken seiner Überzeugung nach führe, ein Kernproblem seines um Hinfälligkeit kreisenden Werkes ins Zentrum dieses Buches. Steiner handle in zehn Punkten ab, warum der Denker an einem unausweichlichen Ungenügen seines Denkens leide. In Optimismusverdacht gerät Steiner mit seinen Ausführungen wohl kaum, beobachtet der Rezensent, und kontrastiert Steiners trübseligen Befund mit erbaulicheren Denkpositionen, die die Grenzen des Denkens nicht betrauern, sondern sie anpackend zu überbrücken suchen (wie Leonardo) oder ihnen mit Humor begegnen (wie der Nietzsche der "Fröhlichen Wissenschaft").

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

Existenziell berührt zeigt sich Rezensent Christian Geyer von George Steiners Buch über das Denken, auf das er eine begeisterte, nicht enden wollende Lobeshymne anstimmt. Ein Buch, so verspricht er, das den Leser unweigerlich in den Bann ziehen, quälen, verzaubern, erschüttern, verändern wird. Selten hat Geyer auf so knappen Raum so tief Gedachtes, so Substanzielles über das Thema Menschsein und seine Freiheit gelesen. Denn darum geht es Steiner seines Erachtens: die unheimliche und mitunter beklemmende Freiheit des Denkens, die unsere Kultur der Freiheit erst eigentlich begründet, und den radikalen Gegensatz zu jeder Art von Fundamentalismus darstellt. Die Reflexionen Steiners vergegenwärtigen für Geyer besonders eindringlich die Bedeutung und Wichtigkeit von Konzentration in einer Kultur, die von Ablenkung, Zerstreuung und Ungeduld geprägt ist. Auch vor der literarischen Qualität dieses Essays, den er als "leichthin und dicht", "wuchtig und zart", "bezwingend poetisch und im tiefsten philosophisch" beschreibt, kann sich Geyer nur verneigen und wird darüber selbst poetisch, etwa wenn er die Wirkung des Buchs beschreibt, das uns zwinge, "den Blitz mit bloßen Händen zu fangen". Mit diesem kleinen Alterwerk ist Steiner seines Ansicht nach schlicht etwas "Einmaliges" gelungen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2006

George Steiners Reflexionen über die Frage "Warum Denken traurig macht" haben Rezensent Rolf-Bernhard Essig nicht wirklich überzeugt. Allenfalls als persönliches Bekenntnis und Bekundung einer subjektive Wahrheit mag er das Buch durchgehen lassen. Ansonsten fühlt er sich durch die unplausiblen Thesen des Autors geradezu provoziert. Steiners Behauptung, in Wirklichkeit wüssten wir gar nicht, was Denken sei, kanzelt er ab mit der Frage, warum dieser dann so ausführlich darüber schreibe. Das als Ausgangspunkt von Steiners Überlegungen dienende Zitat von Schelling hat der Autor seiner Ansicht nach unzulässig verkürzt und überdies falsch gedeutet. Außerdem kritisiert er die begrifflichen und sprachlichen Unschärfen, von denen es im Text nur so wimmelt. Immerhin hält er dem Autor zu Gute, mit seinen Überlegungen dazu zu treiben, wieder einmal bei anderen Autoren wie Lessing, Lichtenberg oder Schopenhauer nachzuschlagen.

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