Gerhard Sawatzky

Wir selbst

Roman
Cover: Wir selbst
Galiani Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783869712048
Gebunden, 1088 Seiten, 36,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben, mit einem Nachwort und dokumentarischen Material zur deutschen Wolgarepublik und ihrer Literatur versehen von Carsten Gansel. Gerhard Sawatzkys Gesellschaftsroman "Wir selbst" erzählt von einer untergegangenen Welt, nämlich der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Diese wurde 1918 - u.a. auf Betreiben Ernst Reuters - gegründet, bis zu ihrem Ende 1941 ein höchst wechselvolles Schicksal erfuhr. Sein Autor, Gerhard Sawatzky, der als wichtigster Literat der Wolgadeutschen galt, wurde verhaftet, zu Zwangsarbeit verurteilt und starb in einem Lager in Sibirien, das Buch wurde verboten und vernichtet. Doch Sawatzkys Witwe gelang es, bei der Deportation nach Sibirien unter dramatischen Umständen das Urmanuskript zu retten. In einer deutschsprachigen Zeitschrift in der Sowjetunion wurden - allerdings bearbeitet und zensiert - in den achtziger Jahren Teile des Buches abgedruckt. Carsten Gansel hat nun das Urmanuskript in Russland aufgespürt.
"Wir selbst" erzählt in häufigen Szenenwechseln zwischen Land und Stadt aus der Zeit zwischen 1920 bis 1937 vor allem von einem jungen Liebespaar, Elly Kraus, der Tochter einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie, die als Kind auf der Flucht vor der Roten Armee allein in Russland zurückblieb, und von Heinrich Kempel, dessen Kindheit auf dem Land während des Krieges von Hunger und Entbehrung geprägt ist, und der schließlich Ingenieur wird. Auch wenn Sawatzky schon beim Schreiben die Angst vor stalinistischen Säuberungsaktionen im Nacken saß und er manches unterschlug bzw. beschönigte - sein Buch ist ein höchst bedeutendes Zeitzeugnis, das zudem durch Carsten Gansels umfangreiches Nachwort ergänzt und erschlossen wird.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 02.05.2020

Marianna Lieder lässt sich mit Gerhard Sawatzkys von Carsten Gansel herausgegebenen Roman in die Utopie der Wolgarepublik entführen. Bemerkenswert erscheint ihr das 1937 entstandene Buch vor allem durch seine literarischen Mängel und eine "penetrante ideologische Schlagseite", die sich laut Lieder in Form von systemkonformen Figuren in der dargestellten Dorfkolchose zeigt und in ihrer Einteilung in Gut und Böse: fleißige Kommunisten und egoistische Konterrevolutionäre, blonde Bärbels und berittene Kirgisen. Dass Sawatzkys sozialistischer Realismus Stalins Terror einfach ausblendet, findet Lieder wenig überraschend. Als Dokument einer Utopie im Scheitern taugt das Buch dennoch etwas, findet sie, und eine Liebesgeschichte enthält es auch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.2020

Rezensentin Christiane Pöhlmann liest Gerhard Sawatzkys "Hohelied der Kollektivierung" ohne Begeisterung. Auch wenn der Autor die Zwangskollektivierung und den Wirtschaftswandel in der Wolgarepublik plastisch beschreibt, fehlt ihr doch die "intellektuelle Herausforderung", da der Autor "Figuren ohne jede Psychologie" entwirft und seinen Text mit einer Liebesgeschichte zur "Produktionsschmonzette" hochjazzt. Pöhlmann zieht Platonow, Bulgakow und Babel vor. Deren Werke seien vergleichsweise facetten- und fantasiereich und erschütternd.
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