Vorworte

Die Maschine muss nur machen - verstehen muss sie nicht

Über Bücher, die kommen. Von Angela Schader
02.06.2023. Klar, einer Maschine, die tagaus, tagein nur Bleche stanzt, bleibt viel erspart, wenn sie darüber nicht auch noch reflektieren muss. Aber wie gehen "intelligente" Geräte mit ihren Funktionen und deren Erbauer mit ihrer Verantwortung um - und wie prägen sie unser Leben? Der Schotte J. O. Morgan beleuchtet diese Frage aus elf ganz unterschiedlichen Perspektiven.
J. O. Morgan. Foto (C) Jack Rouncey
Karriereplanung sieht anders aus. Da setzt man sich nicht einfach so hin, irgendwo in Schottland, ein naturwissenschaftliches Studium im Rücken und keinerlei vertieftes poetologisches Wissen bei der Hand, und beginnt Langgedichte zu schreiben. Langgedichte. Ausgerechnet. Ein aus heutiger Sicht eher aus der Zeit gefallenes Genre, das wohl die meisten Verleger erst einmal zurückschaudern lässt.

Aber genau das hat J. O. Morgan getan. Und genau darum ist der 1978 in Edinburgh geborene Autor hierzulande und auch in Großbritannien einstweilen wenig bekannt. Er habe sich während des Studiums an kurzen, experimentellen Romanen versucht, erzählte er einer Reporterin des Scotsman, nachdem er 2018 mit "Assurances" eine fesselnde Perspektive auf die Zeit des Kalten Krieges eröffnet hatte, die ihm den Costa Poetry Award sowie einen Platz auf der Shortlist des Forward Prize for Poetry eintrug. "Weil meine Werke zunehmend kürzer und dichter wurden, musste ich dann einen neuen Ansatz finden, um den Worten Gewicht zu geben, und diese dichterischen Techniken flossen wie von selbst ein." Dabei habe er aber die Diktion immer zugänglich halten wollen: "Es ist zu einfach, ein kompliziertes Thema zu wählen und es kompliziert darzustellen, ohne dass man damit viel erreicht."

Eine klare Ansage. Wie Morgan sie dichterisch umsetzt, wird noch zu beleuchten sein, doch der deutschsprachigen Leserschaft wird er nun bezeichnenderweise nicht als Lyriker vorgestellt, sondern mit "Appliance", seinem zweiten, im Original 2022 erschienenen Roman, den Jan Schönherr unter dem Titel "Der Apparat" für Rowohlt übersetzt hat. Die Ankündigung des Buches löste bei der Planung der "Vorworte" eine Art Funkensprung aus, im Blick auf den unlängst hier vorgestellten neuen Roman des Briten Tom McCarthy - denn wie in diesem geht es auch bei J. O. Morgan um die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Technologie. Wo aber McCarthy in "Der Dreh von Inkarnation" ein atemberaubendes Panoptikum real existierender Technologien entwirft und diese allenfalls durch einen zentralen Handlungsstrang, in dem es um die Realisierung eines galaktischen Blockbusters geht, auf die Ebene der Science-Fiction projiziert, ließe sich Morgans Entwurf als moderate Form der Retro-Science-Fiction bezeichnen. Zu Beginn des Buches werden einige Marker gesetzt, die ins 20. Jahrhundert zurückverweisen: So wird der titelgebende Apparat mit den bombierten, zweitürigen Riesen-Kühlschränken verglichen, die in den Fünfzigerjahren der letzte Schrei waren, die provisorische Gebrauchsanleitung ist mit schwarz-rotem Schreibmaschinenband getippt, später ist von einem baumelnden Telefonhörer die Rede. Und während bei McCarthy die Technologie die unbestrittene Hauptrolle spielt und ihre Dominanz durch die weitgehende Ausblendung des "Faktors Mensch" noch betont wird, wählt Morgan den umgekehrten Ansatz. Sein Apparat bleibt skizzen- und dessen Funktionieren, durchaus beabsichtigterweise, schleierhaft, während das Verhalten der Menschen gegenüber der immer mächtiger ausgreifenden Innovation unter verschiedensten Aspekten ins Bild gesetzt wird. Nicht umsonst schaffte es das Buch unter die Finalisten für den Orwell Prize for Political Fiction.

Seinen ersten Auftritt hat das Gerät beim Ehepaar Pearson, das sein Haus für einen Testlauf zur Verfügung stellt. Das einem jener wuchtigen Kühlschränke ähnelnde Teil ist durch ein Kabel mit dem Institut verbunden, wo es entwickelt wurde, mit einem entsetzlichen Kreischen, "als zerfetzte irgendwer mit Stahlklauen die Luft", bringt es hervor, was es soll: einen kleinen weißen Plastiklöffel. Der Berg hat eine Maus geboren? Nicht ganz. Denn das Löffelchen wurde im Institut sozusagen seiner Substanz entkleidet, via Kabel übermittelt, und nahm im Apparat exakt und präzise wieder seine ursprüngliche Gestalt an. Nicht nur Rohstoffe und fertige Produkte sollen auf diesem Weg dereinst in Sekundenschnelle zwischen Ländern und Kontinenten verschoben werden, sondern auch Menschen. Eine immense Infrastruktur wird zu diesem Zweck aufgebaut - und wieder wegrationalisiert, als man auf kabelfreie Transmission umschaltet.

Ohne die Zeitspanne dieser Entwicklung genauer zu fixieren, hält O. J. Morgan sie in separaten, von immer neuen Figuren bestrittenen Erzählungen fest und rückt dabei neben menschlich-persönlichen Aspekten auch Grundsatzfragen ins Zentrum. Hier fällt ein lokales Widerstandsnest gegen die neue Technologie, dort demontiert ausgerechnet ein Fachmann, der "tiefer in der Branche steckt" als die meisten, nach einigen Drinks radikal ihren Mythos. Mal sind wir als Leser weit vom Schuss, in Gesellschaft zweier versunken mit einem billigen Modellflugzeug spielender Kinder, während der Lärm vom einstigen Flugplatz, der nun zum "Telehafen" umgebaut wird, nur von fern herüberklingt; mal dicht dran, wenn es für einen vorwitzigen Tech-Freak oder eine verzweifelte Mutter um Tod und Leben geht. Eine kultivierte ältere Dame, zum Umzug gezwungen, soll ihre Familienschätze dem neuen Transportmittel anvertrauen. Das zarte Reiskorn-Porzellan, das Mrs Carters Eltern einst aus Schanghai mitgebracht hatten? Nie und nimmer! Der Stutzflügel aus Nussbaumholz? Dieses komplexe, mit hoher Handwerkskunst gefertigte Gebilde? Nein! Dann bleibe das Instrument eben hier, bringen ihr die Möbelträger unsanft bei. Und wie ein händeringendes Gespenst eilt die Frau kurz darauf über den Rasen, um zu verhindern, dass das Porträt ihres Großvaters der Maschinerie überantwortet wird. Zu spät. Aber nicht zu spät für eine Lektion zu der Frage, die kein Geringerer als Walter Benjamin schon verhandelt hat. "Wie können Sie nur dulden", so kanzelt Mrs Carter die Technikerin des Transportunternehmens ab, "dass ein Kunstwerk, etwas, das mit Sorgfalt, mit Verständnis, in lauter winzig kleinen Schritten, Schicht auf Schicht von Menschenhand geschaffen wurde, etwas, das zugleich aus Farbe und noch etwas anderem, aus einem Mehr besteht, etwas, das den bloßen Stoff des Materials ins Transzendente, Schöne, Ewige erhebt … Wie kann so was bis aufs winzigste Atom zerlegt und hunderte von Kilometern weiter wieder zusammengesetzt werden? Wie könnte es dasselbe bleiben wie das Original? Eine Fälschung wird dadurch daraus, eine billige Kopie, eine erbärmliche Nachahmung."

Ihre Funktionsfähigkeit verdankt die neue Technologie jedoch nicht zuletzt dem Umstand ihrer Beschränktheit - und diese Idee bringt Morgan mit einer eigenwilligen gedanklichen Volte ein. Zu deren Genese bedarf es eines Ehepaars: Er ist der Entwickler, der für die zentrale Funktion des Apparats zuständig ist, nämlich "wie dieses Gerät verstand und dekodierte, was es sah, und wie es diese Daten effizient an seinen Benutzer übermittelte"; seine Frau ist eine leidenschaftliche, versierte Übersetzerin. Und von ihr kommt der für den Gatten entscheidende Denkanstoß, als sie über das ewige Dilemma ihrer Disziplin spricht: "Soll man den Text verändern, ja auch nur korrigieren, damit er in der Zielsprache mehr Sinn ergibt? Oder bleibt man so eng wie nur möglich am Original und verschleiert dadurch die Bedeutung?" Der Gedanke löst für ihn ein Kernproblem, denn er wollte - was nicht zu leisten war - die Maschine "verstehen lassen, was sie gar nicht verstehen musste". Nun erkennt er: "Sie musste nur machen. Analysieren, zerlegen, zusammensetzen. Ohne Verstehen." Die Frage freilich bleibt, was bei diesem Prozess genau geschieht und herauskommt. Darauf wird jener zuvor schon erwähnte, etwas alkoholisierte Insider eine ziemlich vernichtende Antwort geben; nicht umsonst steht sie in der sechsten der insgesamt elf Episoden, also genau im Zentrum des Buches.

Gegenüber dem facettenreichen "Apparat" fällt J. O. Morgans erster Versuch mit der größeren Form noch ab. Sein 2021 erschienener Roman "Pupa" präsentiert sich als sinistre, diesmal ganz technologiefreie Dystopie, in der zwei Menschen-Klassen weitgehend fraglos koexistieren. Geboren werden sie alle als "Larven", unscheinbare Kreaturen mit kahlen Köpfen und blaugrauer Haut, deren zahnlose Münder und magere Einkünfte nur öde Kost und eine glanzlose Existenz erlauben. Die klügeren und ambitionierteren Larven können sich jedoch, wie es der Titel schon andeutet, verpuppen und zu einem neuen Leben erwachen: größer, kräftiger, mit allem versehen, was im früheren Stadium fehlte, und mit anderen beruflichen Perspektiven. Im Zentrum des Romans steht ein junges Larven-Paar, Sal und Megan; während sie sich für den Weg nach oben entscheidet, hält Sal am bescheidenen Leben fest und kann doch nicht von der geliebten Freundin lassen. Die Geschichte dieser Beziehung ist feinfühlig entwickelt, die Szenerie des Romans entfaltet durchaus ihre beklemmende Atmosphäre; doch der Handlungsbogen bleibt flach, manche flankierenden Elemente sind nicht wirklich sinnfällig eingebunden.

Betritt man den eigentlichen literarischen Heimatboden des Autors, dann sollte man dies mit festem Schuhwerk und dem Fernglas in der Hand tun. Die zeitlichen und räumlichen Dimensionen, die seine Langgedichte übergreifen, sind beachtlich: Sie reichen von der Anverwandlung eines altenglischen Gedichtfragments, das die 991 geschlagene Schlacht von Maldon zum Thema hat, bis zur Rückkehr eines Mars-Menschen (im Wortsinn - es handelt sich um einen Nachfahr unserer vor der ökologischen Apokalypse auf den roten Planeten geflüchteten Spezies) auf die tote Erde. Oder von der primär durch lose formale und thematische Bezüge verbundenen Reflexion über Krankheit und Tod, Gesellschaft und Außenseitertum, Naturgewalt und die Grenzen der Wissenschaft, die Morgan in "Interference Pattern" unternimmt, bis zur Schilderung des harten Alltags einer nordischen Fischergemeinde, den der Band "In Casting Off" beleuchtet. In dieser bildstarken und nie sentimentalen Gedichtfolge werden gelegentlich aufscheinende naturmystische Motive etwa mit dem kalten Blick aufs Tagewerk einer Fabrikarbeiterin gekontert, die einen Fisch nach dem andern mit dem Messer zurichtet: "With front and back both gone / the flat pink ovals that stunt its silver torpedo could / be joined end to end, could go on forever: one flesh, / from which all subsequent fish could be sliced".

Die Dualität von Natur und Technik, die den Autor immer wieder beschäftigen wird, trägt schon das Erstlingswerk, "Natural Mechanical" (2008), im Titel. Das Bändchen fußt auf der Lebensgeschichte eines Freundes von Morgan, die er dann im drei Jahre später erschienenen "Long Cuts" fortschrieb. Iain Seoras Rockcliffe, kurz Rocky, heißt der eigensinnige Held, dessen Kindheit auf der Hebrideninsel Skye der erste Band in einer lockeren Gedichtfolge darstellt. Der Bub stammt aus ärmlichen Verhältnissen, kommt in der Schule nicht zurecht, weil er an einer - damals nicht diagnostizierten - Legasthenie leidet. So tritt er vorn ins Schulhaus ein, witscht hinten wieder raus und verbringt den Tag vagabundierend im Freien; flicht aus Brennnesseln Schlingen, mit denen er Kaninchen fängt, vertilgt Kartoffeln oder Rüben roh vom Acker, wenn ihn hungert. Der Vater verhaut ihn regelmäßig mit einem Gürtel, der gemein ins Fleisch schneidet, und ist doch einer, bei dem das Züchtigen die Liebe nicht ausschließt. "Sees himself in his son, but won't say", heißt es einmal in der herben, knappen Sprache, die den Charakteren auf den Leib geschneidert ist - und berührend ist die Szene, in welcher der Vater auf seltsam verhohlene Art dem Sohn seinen größten Wunsch erfüllt.

Schon im ersten Band deutet sich die Begabung an, die dem Jungen den Weg ins Berufsleben ebnen wird. Als die Nachbarssöhne Fahrräder geschenkt bekommen, bastelt er sich aus Schrott ein grimmiges Gefährt, das nur entfernt ans Wunschgebilde erinnert, aber allemal zur Fortbewegung taugt. Im zweiten Band tritt Rocky eine Lehre bei einer Ingenieurfirma an, lernt schnell und kaschiert clever sein schulisches Defizit: Wenn er den Lunch für die Belegschaft besorgen muss und die Arbeiter ihm ihre Wünsche diktieren, hält er diese im Notizbuch mit einem unter der Hand entwickelten Zeichensystem fest. Später heuert er als Mechaniker bei der Marine an, bereist die Welt von Fiji bis ins Eismeer, von China bis Vancouver, von Karachi bis Kairo. Exquisit ist die Episode in Australien, wo er auf eine winzige, autarke Kolonie vietnamesischer Perlentaucher stößt; amüsant die Szene auf dem Roten Fluss, wo Rocky die Nase pflichtschuldig ins Kleine Rote Buch senkt, während der Chinese, der ihn überwacht, selig in dem Pornoheft blättert, das ihm der Protagonist als Gegengabe überlässt. Und wer dächte schon, dass man auf einem Marineschiff mit einem Handgriff einen Rollentausch zwischen Offizieren und unteren Chargen herbeiführen kann? Rocky versucht's auf hoher See mittels der Notbremse - mit schlagendem Erfolg.

Solche Schelmenstücke haben in "At Maldon" (2013) nichts zu suchen. Morgan hält sich zwar an die Themenfolge des mittelalterlichen Gedichtfragments, baut dessen ganz auf den Verlauf der Schlacht und den Todesmut der gegen die Übermacht der Wikinger streitenden Angelsachsen fokussierte Erzählung aber nach vielen Seiten hin aus. In den Schilderungen des Geschehens, in der Figurenzeichnung und dem Blick auf das Erleben und Empfinden der Krieger markiert er zugleich menschliche Nähe und verfremdende Distanz; er blendet zwischendurch Szenerien abseits des Schlachtfelds ein, für die sich im Original kein Pendant findet, oder bricht das historische Setting auf. Wenn der Wikinger-Herold im Geschäftsanzug auftritt, wirkt das moderne Kostüm allerdings weniger irritierend als die abwertende Darstellung der gegnerischen Figur, auf die der ursprüngliche Text vornehm verzichtet. Umgekehrt dämpft Morgan die implizite Kritik, die das Original am angelsächsischen Heerführer übt, dessen "ofermōde" - stolzer Übermut - dem Verhängnis erst den Weg bahnte; andererseits aber zeigt er das Sterben des betagten Recken realistischer und weniger heroisch als das literarische Vorbild.

Mit "Assurances" legt der Lyriker 2018 das neuzeitliche Gegenstück zu diesem historischen Schlachtengemälde vor. Das Gedicht beleuchtet die Zeit des kalten Krieges, genauer: Großbritanniens Strategie der nuklearen Abschreckung, in die Morgans Vater bei der Royal Air Force direkt involviert war. Besonders eindrücklich ist die einleitende Passage, welche die offizielle Argumentation für die Notwendigkeit der mörderischen Aufrüstung vorträgt, wobei die Sätze immer wieder abbrechen; so macht Morgan das Unsägliche einer solchen Politik spürbar, ohne sie auf billige Art zu desavouieren. Das Langgedicht ist zwar fortlaufend gesetzt, aber in regelmäßig wechselnde Segmente gegliedert. Für Kontinuität sorgen die Passagen, welche die Zusammensetzung und Arbeit der speziell zur nuklearen Abschreckung aufgebauten Luftflotte, ihre Strategien und Probleme schildern; sie bestehen jeweils aus einem militärisch-nüchternen Prosatext und eingeschobenen, in Klammer gesetzten lyrischeren Verseinheiten. In diese Kernerzählung werden weitere, etwas anders gestaltete Streiflichter auf militärische Motive eingeschaltet, aber auch zwei Figuren nehmen allmählich Kontur an: ein Navigator, der seine Präzisionsuhr sachte nachkorrigiert, bis er damit den Lauf der Sterne kontrollieren kann, und eine Frau, die, vom Bombenalarm aus dem Schlaf geschreckt, im heraufdämmernden Morgen über die ersten und letzten Dinge nachsinnt und gerade in der gelassenen Selbstaufgabe "a way to cope, to carry on" findet. Man bedauert fast, dass der Autor dieser stillen Geste im letzten Gedicht des Bandes noch ein konventionelleres Happy End folgen lässt.

Angesichts von Russlands nuklearer Drohkulisse und einer insgesamt immer konfrontativeren Weltlage eignet "Assurances" eine beklemmende Aktualität. Nicht minder auf der Höhe der Zeit, wenn auch ganz aufs Imaginative statt aufs Faktische setzend, präsentiert sich auch J. O. Morgans jüngstes lyrisches Werk, "The Martian's Regress" - denn der 2020 erschienene Band thematisiert die andere, womöglich noch existenziellere Krise der Gegenwart: Hinter den derzeitigen Konflikten und Spannungen verfinstert und verengt sich unbarmherzig der für die Bewältigung der Klima- und Umweltkrise ausgesteckte Horizont.

Drei sich abwechselnde und überschneidende Themenkreise arrangiert Morgan in dieser Dichtung: Die Phase, während deren die Menschheit mit selbstherrlicher Blindheit durch die verödende Natur dem eigenen Ende entgegenschreitet, während manche Forscher es vorziehen, schon mal nach Alternativen im All zu suchen, statt die Dinge auf der Erde ins Lot zu bringen; die Besiedelung des Mars, die zwar glückt, aber nicht eben glimpflich vonstatten geht, sondern nach knallhart darwinistischen Regeln; der Rückflug eines auf Erkundungsmission zur Erde entsandten Marsbewohners, der dann mit seiner "Gefährtin" - einer nach dem alten Menschenbild modellierten Roboterfrau - auf dem ausgestorbenen Planeten zunehmend eigene Wege einschlägt. Dass Morgan der eher kruden Spezies der Marsmenschen eine schwarze Haut verpasst, könnte im heutigen Kontext leicht missverstanden werden, doch ist im Blick zu behalten, wie klar seine Kritik auf die Verwüstungen abzielt, welche zuallererst die westliche Gesellschaft zur Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards in Kauf nimmt.

Sein insgesamt finsteres Szenario erhellt der Autor da und dort mit scharfem Witz, anderswo mit packenden, atmosphärisch aufgeladenen Bildern. Wenn der zurückgekehrte Marsbewohner zur Jagd aufbricht, gibt es zwar kein Wild zu erlegen, aber nach etlichen Frustrationen ergattert er doch noch ein stattliches Beutestück - einen eisernen Feuerhaken, makellos und glatt, in den Augen des Protagonisten eine würdige Trophäe für den langen Weg zum alten Heimatplaneten. Gespenstisch dagegen die Exkursionen über zu Glas erstarrtes Ackerland, auf den zu "mineralischer Reinheit" abgetöteten Meeresboden, durch Städte, wo ihn das fiese Gefühl verfolgt, dass unter jedem Dach "some huge monstrosity" haust und ihn mit Blicken verfolgt. Und doch: Ein Keim von Menschlichkeit - heikel genug, das Wort im Rahmen solcher Lektüre zu verwenden - wächst in und zwischen dem Marsbewohner und seiner mechanischen Gefährtin heran, so dass sie sich in dem verlorenen Paradies niederlassen. Aber keine Sorge: Das Risiko, dass die Weltgeschichte wieder bei Adam und Eva beginnt, ist im Blick auf die besonderen Anlagen der Dame ausgeschlossen.


J. O. Morgan: Der Apparat
Roman
Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 240 Seiten, gebunden, 24 Euro.

Erscheint am 13. Juni 2023.

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