Redaktionsblog - Im Ententeich

Wer zahlt, der findet

Von Anja Seeliger
15.05.2014. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen Google hat mit Datenschutz nicht viel zu tun. Es restauriert die Informationshierarchien der vordigitalen Zeit.
Das Urteil des EuGH wird die ganze Zeit unter dem Stichwort "Datenschutz" diskutiert. Das ist Unsinn. Die Daten werden nicht geschützt. Der EuGH hat nur sicher gestellt, dass ausschließlich eine Elite alle im Netz verfügbaren Daten zu sehen bekommt. Und er hat den Zeitungen einen Wettbewerbsvorteil gegen Google zugeschustert. Der Bürger, um dessen Schutz es hier angeblich geht, ist mit diesem Urteil gleich zweifach angeschmiert: Seine Daten dürfen nach wie vor veröffentlicht und weiter gegeben werden. Nur bekommt er im Zweifel nichts mehr davon mit.

Noch einmal kurz zu dem Fall, um den es ging. Der Spanier Mario Costeja González hatte 2010 gegen Google und die Zeitung La Vanguardia geklagt. Die Zeitung hatte etwa 15 Jahre zuvor auf ihren Seiten eine Anzeige veröffentlicht, "in der unter Nennung des Namens von Herrn Costeja González auf die Versteigerung eines Grundstücks im Zusammenhang mit einer wegen Forderungen der Sozialversicherung erfolgten Pfändung hingewiesen wurde", so der EuGH (RN 14). Costeja González forderte nun, dass diese Geschichte endlich vergessen werden sollte, Google den Hinweis auf die Seite aus seinen Suchergebnissen löschen sollte und La Vanguardia die Seite bei sich löscht oder zumindest Google - etwa mittels robots.txt - das Indexieren der Seite verbietet. Nach einer Entscheidung der spanischen Datenschutzagentur AEPD musste La Vanguardia die Seite weder löschen (im Print sowieso nicht, aber auch aus seinem digitalen Archiv) noch Google das Indexieren der Seite verbieten. Begründung: die Veröffentlichung in der Zeitung "sei rechtlich gerechtfertigt gewesen, da sie auf Anordnung des Arbeits- und Sozialministeriums und mit dem Ziel einer höchstmöglichen Publizität der Zwangsversteigerung und somit einer höchstmöglichen Zahl an Bietern erfolgt sei". Google - und jede andere Suchmaschine - aber darf nach dem Urteil des EuGH in seinen Suchergebnissen nicht mehr auf den Artikel hinweisen.

Der Artikel bleibt also weiterhin im Netz. Er darf auch gefunden werden - von jedem, nur nicht von einer Suchmaschine.

Was bedeutet das für das Informationsrecht der Öffentlichkeit? Angenommen, der Artikel hätte nicht in La Vanguardia gestanden, sondern in der Zeit. Das digitale Archiv der Zeit ist - wie das Archiv von etwa 300 vorwiegend deutschsprachigen Zeitungen - in der Geniosdatenbank durchsuchbar. Diese kostenpflichtige Datenbank wird vom Handelsblatt und der FAZ betrieben. Der Artikel über Costeja González wäre also öffentlich für alle, die dafür bezahlen. Alle anderen erfahren nichts. Möglicherweise hätte nicht einmal Herr Costeja González davon erfahren, dass diese Anzeige immer noch im Netz präsent ist.

Der EuGH hat uns gestern im Handstreich eine Zweiklassen-Informationsgesellschaft beschert. Die, die für Informationen bezahlen, wissen, wer pleite gemacht hat, wer schon mal verurteilt wurde oder wer vor zwanzig Jahren eine karriereschädliche Bemerkung gemacht hat. Die anderen - lernen von den Chinesen oder wissen es eben nicht. So wird die Informationshierarchie der vordigitalen Zeit langsam wieder restauriert.

Den Bezahlarchiven der Zeitungen könnten goldene Zeiten bevorstehen. Darüber sollten sie sich freuen. Nur über Datenschutz sollten die Zeitungen besser nicht mehr reden.

Anja Seeliger