Aline Masé

Naum Reichesberg (1867-1928)

Sozialwissenschaftler im Dienst der Arbeiterklasse
Cover: Naum Reichesberg (1867-1928)
Chronos Verlag, Zürich 2019
ISBN 9783034015448
Gebunden, 336 Seiten, 48,00 EUR

Klappentext

Leben und Werk des bedeutenden Sozialwissenschaftlers Naum Reichesberg sind kaum bekannt. In seiner Biografie spiegeln sich verschiedene Aspekte der Schweizer Geschichte des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts: die jüdische Bildungsmigration vom Zarenreich in die Schweiz, die Aktivitäten der russischen politischen EmigrantInnen, die Etablierung der Sozialwissenschaften und der Statistik, die Entstehung eines internationalen Arbeiterschutzes, der wachsende politische Einfluss der Sozialdemokratie sowie die Abschottungs- und Abwehrpolitik nach dem Ersten Weltkrieg.
Geboren 1867 im Südwesten des russischen Reichs, kam Naum Reichesberg als Student an die Universität Bern und lehrte hier von 1892 bis zu seinem Tod im Jahr 1928 als Privatdozent und später als Professor für Statistik und Nationalökonomie. Reichesberg ist vor allem als Herausgeber des rund 4000 Seiten umfassenden "Handwörterbuchs der Schweizerischen Volkswirtschaft, Socialpolitik und Verwaltung" bekannt. Er bemühte sich, Wissen für alle zugänglich zu machen, und setzte sich für eine wirksame Sozialpolitik ein. Er spielte eine zentrale Rolle in der russischen "Kolonie" in Bern, die sich im späten 19. Jahrhundert rund um die Universität bildete, und war in der schweizerischen Sozialdemokratie gut vernetzt. Trotz seines - auch vom Bundesrat anerkannten - Verdienstes um die Sozialpolitik in der Schweiz wurde Reichesberg das Schweizer Bürgerrecht, wohl hauptsächlich aufgrund seiner jüdischen Herkunft, verwehrt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.12.2019

Ein "helvetischer Patriot", schreibt Rezensent Urs Hafner, ist dieser russische Jude gewesen, der als Student in die Schweiz kam und blieb, als Jude jedoch nie Bürger werden durfte. Die Autorin führt der heutigen Schweiz vor, so der Kritiker, welche Weltoffenheit vor dem Ersten Weltkrieg herrschte, und in welch hohem Maße junge Russen und Russinnen sich zum Studium in schweizerischen Städten einfanden. Reichesberg war einer von ihnen, ein "Sozialist", der später als Professor für Statistik und Nationalökonomie auch in bürgerlichen Kreisen geschätzt wurde. Er gründete eine volkswirtschaftliche Gesellschaft in Bern und gab ein wichtiges Handbuch der schweizerischen Volkswirtschaft heraus, erfahren wir. Die Autorin bringt ihrem Gegenstand viel Sympathie entgegen, verliere aber nie die Distanz, lobt Hafner - allerdings sei Privates aus diesem Leben ohnehin kaum zu berichten gewesen.